Kardinal Arborelius fordert Evangelisierung in säkularer Gesellschaft

"Eine Aufgabe für jede getaufte Person"

Wenn Menschen nur auf Konsum und Hedonismus aus sind, merken sie schnell, dass etwas fehlt. Diese Erfahrung macht der schwedische Kardinal Anders Arborelius in seiner Heimat. Er wünscht sich eine Evangelisierung mit Worten und Taten.

Autor/in:
Roland Müller
Kardinal Anders Arborelius / © Andreas Kaiser (Bonifatiuswerk)

DOMRADIO.DE: Herr Kardinal, in Ihren eigenen Worten: Was ist Evangelisierung?

Kardinal Anders Arborelius OCD (Bischof von Stockholm): Eigentlich ist es sehr einfach: Durch Taufe und Firmung sind wir Zeugen des Evangeliums. Die Kirche lebt, weil Menschen an Christus und sein Evangelium glauben – und das auch weitergeben wollen. Evangelisierung ist eine Aufgabe für jede getaufte Person, denn durch mein Leben mit Christus kann ich anderen Menschen helfen, ihn und seine Frohe Botschaft zu finden. 

Lars Anders Kardinal Arborelius, Bischof von Stockholm / © Cristian Gennari (DR)
Lars Anders Kardinal Arborelius, Bischof von Stockholm / © Cristian Gennari ( DR )
Kardinal Anders Arborelius ist Bischof der schwedischen Hauptstadt Stockholm.

DOMRADIO.DE: Sie kommen aus Schweden, einem Land, das durch eine sehr säkulare Gesellschaft geprägt ist. Was bedeutet es, in diesem Umfeld vom Evangelium zu sprechen?

Arborelius: In unserer Situation in Schweden zeigt sich deutlich, dass jeder getaufte Katholik die Verantwortung hat, den Glauben weiterzugeben. Wir merken, dass sich immer mehr Menschen für die Kirche interessieren, auch junge Leute. Das säkulare Klima hat auch positive Folgen: Die Menschen sind einfach nicht zufrieden, allein mit dem Materiellen und dem, was Spaß macht. Sie verlangen nach mehr! 

DOMRADIO.DE: Jedenfalls in Deutschland ist es so, dass sich viele Menschen schwer damit tun, von ihrem Glauben und vom Evangelium zu sprechen. Gibt es einen Tipp, diese anfängliche Hemmschwelle zu überwinden?

Arborelius: Es sollte für jeden Christen etwas Natürliches sein, dass man – mit Worten und Taten – seinen Glauben an Christus zeigen will. Denn es ist doch eine große Freude, das Evangelium zu teilen. Auch in Schweden sind die Menschen in dieser Beziehung etwas scheu. Aber wenn wir mit Christus verbunden sind, können wir einfach durch unser alltägliches Leben die Zuversicht aufscheinen lassen, die uns der Glaube gibt.

Kardinal Anders Arborelius

"Paradoxerweise hilft die hedonistische Gesellschaft den Menschen dabei, die Innerlichkeit zu entdecken."

DOMRADIO.DE: Sie gehören dem Orden der Unbeschuhten Karmeliten an, einer Gemeinschaft, in deren Spiritualität das Schweigen und lange Zeiten der Stille eine große Rolle spielen. Wie lässt sich das mit Evangelisierung vereinbaren?

Arborelius: Es ist besonders interessant zu sehen, dass es gerade das geistliche Leben ist, das für viele Katholiken wichtig wird, die als Erwachsene den Glauben kennenlernen. Bei uns in Schweden entdecken viele Menschen den Glauben durch die Heiligen, die Mystiker, das Gebet und die Spiritualität. Ich denke, dass es in allen auf Konsum und Technologie ausgerichteten Gesellschaften diese Tendenz gibt, dass die Menschen merken: Ich habe eine Seele und kann Gott finden. Paradoxerweise hilft die hedonistische Gesellschaft den Menschen dabei, die Innerlichkeit zu entdecken.

DOMRADIO.DE: In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Berichte darüber, dass die Kirche in den westlichen Gesellschaften vermehrt Zulauf erhält. Jüngst haben Theologen in Deutschland kritisiert, dass sich Menschen taufen lassen, die mit dem christlichen Glauben stark konservative Positionen auch im politischen Bereich verbinden. Wie ist Ihre Erfahrung in Schweden?

Arborelius: Ich nehme wahr, dass es bei uns ganz normale Menschen – vor allem junge Männer – sind, die sich für den katholischen Glauben interessieren. Sie merken, dass sie mehr nötig haben als die materiellen Dinge. Unsere Neugetauften kommen aus sehr verschiedenen Hintergründen, einige sind sehr gut ausgebildet, andere stammen aus muslimischen Familien. Für mich ist das ein Zeichen, dass der Heilige Geist auch in einer sehr säkularen Gesellschaft wirkt. 

Kardinal Anders Arborelius

"Es ist ein prophetisches Zeichen für unsere Zeit, dass Menschen aus aller Welt friedlich eine Gemeinschaft sein können."

DOMRADIO.DE: Welche Begleitung brauchen Katholiken, die als Erwachsene die Taufe empfangen haben und sich erst seit Kurzem für den Glauben interessieren, um ihre Beziehung zu Christus zu vertiefen?

Arborelius: Es ist wichtig, dass die neugetauften Katholiken in der Gemeinschaft der Kirche beheimatet werden. Unsere Kirchengemeinden in Schweden sind sehr katholisch in der Hinsicht, dass ihr Menschen aus aller Welt angehören. Es gibt bei uns im Land viel mehr ausländische Katholiken als schwedische. Für viele meiner Landsleute ist es bereichernd, dass sie sehen, dass die Welt größer als Schweden und unsere Gesellschaft ist. In einer Zeit, in der der Nationalismus stärker wird, ist es wichtig zu zeigen, dass man sehr gut mit Menschen aus verschiedenen Kulturen und Nationen zusammenleben kann. Es ist ein prophetisches Zeichen für unsere Zeit, dass Menschen aus aller Welt friedlich eine Gemeinschaft sein können. 

Papst Leo XIV. im Libanon / © Lola Gomez/CNS photo/KNA (KNA)
Papst Leo XIV. im Libanon / © Lola Gomez/CNS photo/KNA ( KNA )

DOMRADIO.DE: Vor 50 Jahren wurde das Apostolische Schreiben "Evangelii nuntiandi" von Paul VI. veröffentlicht. Darin geht es um die Evangelisierung in der Welt von heute. Wird sich auch Papst Leo XIV. zu diesem Thema äußern?

Arborelius: Davon gehe ich stark aus. Seine erste Auslandsreise in die Türkei und den Libanon hat gezeigt, dass Papst Leo die Einheit der Christen sehr wichtig ist. Alle Getauften egal welcher Konfession haben dieselbe Grundaufgabe: Mit Christus, in Christus und durch Christus zu leben und diesen Glauben lebendig zu halten. Da können wir Katholiken viel von den Ostkirchen und den Protestanten lernen – und umgekehrt. Deshalb denke ich, dass Leo XIV. in der Linie von Paul VI. steht.

Das Interview führte Roland Müller

Katholische Kirche in Schweden

Das Bistum Stockholm umfasst ganz Schweden. Auf einer Fläche von 450.000 qkm wohnen über 9,7 Millionen Einwohner. 110.000 von ihnen sind katholisch (knapp 1,1 Prozent). Ca. 80 Prozent von ihnen sind Einwanderer aus mehr als 90 verschiedenen Nationen. 161 Priester sind für sie in 44 Pfarreien seelsorglich tätig.

Bischof ist seit 1998 als erster Schwede der im Schweizer Tessin von schwedischen Eltern 1949 geborene Karmelitermönch Anders Arborelius, der mit 20 Jahren zum katholischen Glauben konvertiert war. Im Jahr 2017 wurde er zum Kardinal ernannt.

Schwedens Flagge / © akedesign (shutterstock)
Quelle:
DR

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