Sie kochen zusammen, spielen Fußball oder treffen sich zu Diskussionsabenden - so will die Jugendbewegung Coexister Menschen verschiedener Religionen und Herkünfte in Kontakt bringen. "Wie können wir als Gesellschaft gemeinsam miteinander, anstatt nebeneinanderher leben und miteinander statt übereinander reden?", pointiert Vorstandsmitglied Sherin Ahmed die Idee von Coexister. An diesem Freitagabend erhielt der Verein den Deutschen Engagementpreis in Berlin.
Coexister wurde 2009 in Frankreich gegründet, um sich für ein friedliches Zusammenleben einzusetzen. Nicht nur religiöse Menschen sind eingeladen, sondern auch Atheisten und Agnostiker. In Deutschland ist Coexister jung - 2021 gegründet, hat der Verein fünf aktive Lokalgruppen und rund 100 Mitglieder. "Wir erreichen aber deutlich mehr Menschen über die Aktivitäten in den Lokalgruppen und über Instagram", sagt Ahmed. Und laut der 25-jährigen Muslimin wirkt das, was jede und jeder bei Coexister erfährt, auch darüber hinaus: "Ich kenne viele, die nur in ihren eigenen Familien oder Gemeinden bleiben. Dadurch, dass ich erzähle, dass ich beim jüdischen Schabbat oder beim Gottesdienst oder so war, animiere ich vielleicht auch andere, ihre Komfortzone zu verlassen."
Nicht nur dagegen sein, auch dafür
Carolin Hillenbrand hat den deutschen Verein mitgegründet. Am Beispiel ihrer Lokalgruppe Rheinland nennt sie die drei Säulen von Coexister. "Eine davon ist Dialog", sagt die 32-jährige Katholikin und Religionssoziologin. "Das heißt konkret, dass wir zum Beispiel gemeinsam Gotteshäuser besuchen und religiöse Feste feiern." Der zweite Kernaspekt seien Solidaritätsaktionen. So habe die Gruppe Spielenachmittage für Kinder in Flüchtlingsunterkünften organisiert. "Typisch Coexister ist es auch, zusammen zu Blutspenden zu gehen. Das hat in Frankreich gestartet: Mit der Idee, dass durch uns alle, egal welche Religion, egal welche Herkunft, das gleiche Blut fließt." Drittens gehen die Mitglieder in Schulen und versuchen Vorurteile abzubauen. "Wir wollen das weitergeben, was wir unter uns erleben".
"Viele andere Gruppen sind immer gegen etwas: gegen Rassismus, gegen dies, das", sagt Hillenbrand. "Das sind wir natürlich auch, aber wir wollen ein positives Zeichen setzen, wie Zusammenhalt gelingen kann." Manchmal trage das auch zu Integration bei. Sie erzählt von einem Mann, der vor drei Jahren ganz neu in Deutschland war, keinerlei Deutsch konnte, und mit zum Vereinswochenende gefahren ist. Im vergangenen Jahr habe er es dann schon selbst für alle vorbereitet.
Nicht nur monotheistische Religionen dabei
Helene Braun ist 28 und studiert jüdische Theologie in Potsdam. "Ich finde vor allem die niedrigschwelligen Angebote total wichtig, um sich kennen zu lernen", sagt die angehende Rabbinerin. Coexister will Analphabetinnen und Analphabeten genauso erreichen wie Akademikerinnen und Akademiker. "Außerdem habe ich noch nirgendwo sonst so erlebt, dass bei interreligiösem Dialog nicht nur an die drei monotheistischen Religionen gedacht wird." Sie wisse jetzt aus erster Hand zum Beispiel mehr über das Jesidentum und die Bahai-Religion.
Religiöse Angebote sind Teil von Coexister, aber kein Zwang. Außerdem wird Wert darauf gelegt, Religiöses nicht zu verallgemeinern, weil innerhalb der verschiedenen Gemeinschaften die Diversität groß ist. "Wir haben zum Beispiel mal zu sechst einen muslimischen Impuls vorbereiten wollen und uns richtig gestritten, wie wir das machen", sagt Ahmed.
Wie geht Coexister mit Konflikten um? Spannungsfrei ist das Zusammensein nicht. "Ich sehe das als gutes Zeichen, weil es zeigt, dass wir nicht zu homogen sind", sagt Sherin Ahmed. Und Carolin Hillenbrand beschreibt die Streitkultur, die sich in den letzten Jahren entwickelt habe: "Manchmal gehen wir am Ende aus Diskussionen und das einzige, auf das wir uns einigen konnten, ist, dass wir nicht einig werden." Trotzdem sei man danach nicht zerstritten, sondern merke, dass weiter eine Verbundenheit da ist, oft bei Alltagsaktivitäten wie Kochen.
Konfliktpunkt Nahostkrieg
Auch große Konflikte wie der Krieg in Nahost bleiben nicht außen vor. "Wir hatten nach dem 7. Oktober Diskussionen darüber, inwiefern wir uns öffentlich positionieren und wie wir mit bestimmten Meinungen in Whatsapp-Gruppen oder bei Instagram umgehen - natürlich gibt’s bei uns sehr unterschiedliche Meinungen", sagt Hillenbrand. Die Münchener Sozialpädagogin Ahmed ergänzt: "Ich glaube, das, was ich in Coexister gelernt habe, hilft mir auch in anderen Beziehungen. Wenn ich zum Beispiel sehe, dass Leute sich radikalisieren und problematische Sachen posten, dann versuche ich, die Beziehung zu erhalten, bin deshalb aber nicht unbedingt der gleichen Meinung." "Eigentlich sagen wir gerade: Interreligiöser Dialog - jetzt erst recht!", sagt Hillenbrand.
Helene Braun ist es wichtig, dass Coexister nicht realitätsfern wahrgenommen wird: "Eher im Gegenteil", sagt die Berlinerin. Bei Coexister werde nicht - wie sonst oft - Vielfalt lautstark gefordert, Menschen dann aber doch schnell abgewertet. Bei Coexister könne man offen alles und jeden fragen und zum Beispiel werde niemand in eine Ecke gestellt, weil er nicht wisse, was Gendern sei. "Alle können dabei sein, niemand muss sich für irgendwas blöd fühlen. Auch dass wir altersmäßig offen sind, finde ich schön. Zum Beispiel sind Familien mit Kindern dabei." Der Verein wächst zur Freude der drei Frauen. "Hier funktioniert Weltfrieden im Kleinen", sagt Hillenbrand.