DOMRADIO.DE: Israels Militär hat bei einem Angriff in der libanesischen Hauptstadt Beirut einen ranghohen Anführer der pro-iranischen Hisbollah-Miliz getötet. Nach offiziellen libanesischen Angaben wurden insgesamt fünf Menschen getötet und 28 weitere verletzt. Es war der erste israelische Angriff im Großraum Beirut seit Monaten. Getroffen wurde ein mehrstöckiges Gebäude. Wie empfinden Sie die Situation in Beirut eine Woche vor dem Papstbesuch?
Stella Männer (Journalistin in Beirut): Die Lage ist hier in der Tat sehr angespannt. Durch die gestrigen Angriffe auf Beirut ist ein neues Eskalationslevel erreicht. Dass es diese Angriffe überhaupt gegeben hat, ist erst einmal nichts Überraschendes, denn die israelische Armee attackiert trotz der Waffenruhe, die seit fast einem Jahr gilt, fast täglich den Libanon. Meistens sind es Ziele im Süd-Libanon. Die Blauhelmsoldaten der Vereinten Nationen, die hier im Libanon stationiert sind, haben bisher mehr als 10.000 Verstöße der israelischen Armee gegen dieses Abkommen gezählt.
Die Tatsache, dass jetzt die Hauptstadt Beirut angegriffen wurde und das auch noch ohne Vorwarnung, ist auf jeden Fall eine nächste Stufe der Eskalation und eine Provokation. Dementsprechend haben die Menschen hier auch gerade sehr große Sorgen, dass sich der Konflikt wieder zu einem landesweiten Krieg ausweiten könnte.
DOMRADIO.DE: Will Israel vor dem Papstbesuch schnell Fakten schaffen?
Männer: Eine Zuspitzung des Konfliktes hatte sich schon in den letzten Wochen angekündigt. Die israelische Armee fordert im Moment gerade die vollständige Entwaffnung der Hisbollah und droht, dass es sonst wieder einen Krieg gebe. In den letzten Wochen hat sie ihre Angriffe einfach noch mal massiv hochgefahren, auch Ziele tiefer im Landesinneren des Libanons bombardiert.
Analystinnen sagen auch, dass der Zeitpunkt dieses Angriffes gestern bewusst gewählt wurde. In dem Sinne, dass er ungefähr eine Woche vor dem Papstbesuch stattfand und man davon ausgeht, dass Israel die Angriffe während des Besuches des Papstes herunterfahren wird.
DOMRADIO.DE: Kann der Papst überhaupt in eine solche Krisensituation reisen?
Männer: Abgesehen von dem Angriff gestern ist die Sicherheitslage in Beirut normal und relativ sicher. Das ist auch so im Norden des Libanons, wo sich der Papst vor allem aufhalten wird. Papst Leo XIV. ist US-Amerikaner. Die USA sind enge Verbündete Israels und deswegen ist davon auszugehen, dass die israelische Armee während des Besuchs des Papstes die Füße stillhalten und wahrscheinlich von größeren Angriffen und Anschlägen auf das Land absehen wird.
DOMRADIO.DE: Wie bereitet sich das Land auf den Besuch vor?
Männer: Der Libanon ist ein multikonfessionelles Land mit mehr als 16 Religionsgemeinschaften. Darunter sind auch sehr viele christliche Gemeinschaften. Die fiebern schon seit Wochen auf den Besuch hin. Das merkt man nicht nur, wenn man mit Menschen spricht, sondern auch, wenn man hier einfach durch das Land fährt.
Es gibt gerade sehr viele Plakate, nicht nur in Beirut, sondern im ganzen Land: Große Poster mit Fotos vom Papst und Willkommensbotschaften, die der Papst dann sehen wird, wenn er am nächsten Wochenende in den Libanon kommt.
DOMRADIO.DE: Welche Erwartungen haben die Christen an den Besuch?
Männer: Viele hier empfinden es als Zeichen der Ehre und als Zeichen des Friedens, dass ausgerechnet ein amerikanischer Papst seine erste Reise in den Libanon antritt. Die Menschen hier vor Ort leiden sehr unter dem anhaltenden Konflikt mit Israel. Sie fühlen sich angesichts dieser Verstöße gegen die Waffenruhe von der internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen.
Daher sehen sehr viele den Besuch des Papstes als ein Zeichen der Hoffnung und als das, was der Libanon jetzt braucht. Sie erhoffen sich auch, dass sich auf internationaler Ebene daraus etwas ergeben wird.
Das Interview führte Johannes Schröer.