DOMRADIO.DE: Wir stehen kurz vor dem Jubiläum "1.700 Jahre Konzil von Nizäa". Papst Leo XIV. wird aus diesem Anlass Ende November die Türkei besuchen. Sie haben bei der EKD-Synode in Dresden dieses Ereignis hervorgehoben. Wenn wir auf die heutige Türkei blicken und auf die Frage der Religionsfreiheit, wie sieht da die Situation aus?
Thomas Rachel (EKD-Ratsmitglied, Bundesvorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU und Beauftragter der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit): Uns beschwert sehr, dass die Türkei die Theologische Hochschule in Chalki seit Jahren und Jahrzehnten geschlossen hat. (Anm. d. Red.: Die theologische Hochschule von Chalki (auch Priesterseminar von Chalki) ist eine ehemalige, wichtige theologische Ausbildungsstätte des Patriarchats von Konstantinopel, die 1971 von der türkischen Regierung geschlossen wurde. Sie wurde bis zu ihrer Schließung als führende orthodoxe theologische Schule weltweit angesehen und hatte Absolventen wie den jetzigen Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus I.)
Das bedeutet, dass das Ökumenische Patriarchat in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, nicht mehr die Möglichkeit hat, den eigenen orthodoxen Priesternachwuchs auszubilden. Das ist ein fundamentaler Eingriff in die Religionsfreiheit, denn die Ausbildung des eigenen Nachwuchses ist natürlich grundlegend für die Zukunftsfähigkeit der Orthodoxie. Staatspräsident Erdogan sollte - und dafür werbe ich aus Anlass des Besuchs von Papst Leo XIV. bei Patriarch Bartholomäus I. - die Wiedereröffnung der Theologischen Hochschule von Chalki ermöglichen. Das wäre ein kraftvolles Signal für Religionsfreiheit und zugleich ein Zeichen des Respekts gegenüber der Orthodoxie.
DOMRADIO.DE: Was könnte denn der Besuch des Papstes bewirken?
Rachel: Das Treffen von Papst Leo XIV. und dem ökumenischen Patriarchen Bartholomäus I. in der Türkei ist ein kirchenhistorisch absolut herausragendes und bedeutsames Ereignis. Es bietet die Riesenchance, sich erneut auf die gemeinsamen Elemente des Verständnisses des christlichen Glaubens zu verständigen und ein Zeichen der Einheit des Christentums in die Welt hinauszusenden. Dafür bin ich sehr dankbar. Wir haben alle die Hoffnung, dass die beiden Kirchenführer diese Gelegenheit nutzen werden, um Christinnen und Christen in der ganzen Welt anzusprechen und das Miteinander der Menschen, die religiös geprägt sind, zu fördern.
DOMRADIO.DE: Sie werden auch selbst in die Türkei reisen. Was erwarten Sie sich von Ihrem Besuch?
Rachel: Spirituell wird es sicherlich eine besondere Situation werden, weil sich die Orthodoxie in der Art und Weise, wie sie ihren Messen feiert, zum Beispiel von der römisch-katholischen Kirche unterscheidet. Beides ist sehr beeindruckend. Als Protestant, Mitglied im Rat der EKD und Bundesvorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU habe ich wiederum noch einen anderen Bezug in der Spiritualität. All das aus den verschiedenen Perspektiven zu erleben, wird etwas ganz Besonderes sein.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.