Der Name passt und doch wieder nicht. Spindeltal heißt diese Gegend hier auf der Südlichen Frankenalb, im Osten des Landkreises Eichstätt in Oberbayern. Ja, in dieser waldreichen Hügellandschaft wachsen viele Spindelsträucher. Doch jahrhundertelang gedieh hier eines fast noch besser: der Zankapfel.
Grund dafür ist ein besonderes Gotteshaus, heute bekannt als "Ruinenkirche Zu unserer lieben Frau im Spindeltal". In den vergangenen knapp 600 Jahren war der abgelegen zwischen Wald und Wiese stehende Bau immer wieder mal mehr Kirche, mal mehr Ruine - und als letztere lange im Dornröschenschlaf. Spindeltal passt also auch insofern: War es doch eine Spindel, an der die Prinzessin sich stach und im Schlummer versank - durch den Fluch einer bösen Fee. Und ein Fluch, so scheint's, lastete lange auch auf der Spindeltalkirche. Doch wie im Märchen: Am Ende steht ein Happy End.
Aber der Reihe nach. Die Geschichte beginnt 1477/78. "Na, eigentlich noch früher", sagt Edmund Hausfelder beim Gespräch über die Ruinenkirche in ebendieser. "1477/78 wurde das Gotteshaus erbaut - allerdings anstelle einer älteren Marienkapelle. Im Bistum Augsburg, gleich an der Grenze zum Bistum Eichstätt."
Pilgergeld weckt Begehrlichkeit
Hausfelder ist gebürtiger Wellheimer, stammt also aus jenem Ort, zu dem die Ruinenkirche gehört. Außerdem war der 69-Jährige lange Stadtarchivar von Ingolstadt. Und er zählt zu den Gründungsmitgliedern und zum Vorstand des Vereins "Freunde der Spindeltalkirche". Bis dieser aber am Horizont der Zeitläufte auftauchen wird, braucht's jetzt einen ordentlichen Ritt durch die Jahrhunderte.
1477/78 also, da ließ Graf Georg von Helfenstein, Herrscher über Wellheim, die Kirche im Spindeltal errichten. Rasch entwickelte sich ein reges Wallfahrtstreiben. Warum, ist unklar. Dafür weiß man, dass ebenso fix Begehrlichkeiten wuchsen. "Die Pilger bringen gutes Geld her - damals wie heute", sagt Hausfelder. 1536 beanspruchte auf einmal Ottheinrich, der Pfalzgraf von Pfalz-Neuburg, eines nicht weit entfernten Territoriums, das Kirchenvermögen. Er ließ die Opfergaben kurzerhand an den Pfarrer von Rögling überweisen.
Pfalzgraf macht den Putin
Aber - Ottheinrich hatte doch im Spindeltal gar nichts zu melden? Und wieso Rögling? Dieser einige Kilometer von der Kirche entfernte Ort liegt im Eichstätter Bistum, nicht im Augsburger. Hausfelder zuckt mit den Schultern: "Das mit Rögling ist wirklich ein Rätsel."
Und Ottheinrich? Nun, der habe gewissermaßen den Putin gemacht - also buchstäblich Grenzen ausgetestet. "Und der inzwischen in Wellheim herrschende Ulrich von Helfenstein, Georgs Stiefsohn, wusste dem offenbar nichts entgegenzusetzen." Weiter mit den Wirrungen ging's 1542; da wurde Ottheinrich Protestant. Die katholische Wallfahrt war ihm plötzlich ein Dorn im Auge, er ließ die Spindeltalkirche schließen. Eine Renaissance erlebte die Kirche erst 1727.
Zwei Unfälle
Damals stürzte der oberste Finanzbeamte des mittlerweile wieder katholischen Herzogtums Pfalz-Neuburg bei der Ruine mit seinem Pferd und ward unter ihm begraben. "Angeblich blieb er völlig unverletzt", berichtet Hausfelder. "Als er kurz darauf erfuhr, dass seine Frau daheim zur selben Zeit ebenfalls einen Unfall unbeschadet überstanden hatte, sah der Beamte höhere Mächte im Spiel. So brachte er ein Marienbild in der Kirche an." Die Wallfahrt nahm wieder Fahrt auf - und mit ihr die Gier.
Zunächst besann sich der Pfarrer von Rögling der einstigen Einnahmequelle. Er ließ 1728/29 Schutt wegräumen sowie Chor und Sakristei erneuern. Sodann schnappte sich der Pfarrer von Wellheim einfach mal die Opfergelder. Jener von Ensfeld - einem weiteren Nachbarort, wie Rögling im Bistum Eichstätt gelegen - tat bald darauf dasselbe; alles gute Katholiken wohlgemerkt. Und dann? Zeter und Mordio? "Da muss ich sagen: Ich war leider nicht dabei", sagt Edmund Hausfelder und lächelt verschmitzt. Was man ihm fast nicht glauben mag - so lebendig, wie er mit aufgerissenen Augen und fuchtelndem Zeigefinger erzählt. Jedenfalls gäben die Quellen nichts dazu her.
Anbau für Eremiten
Die Wallfahrtsgelder scheinen aber in der Hauptsache weiter nach Rögling geflossen zu sein. Von dort aus veranlasste man 1747 einen Anbau für Eremiten. 1749 war die Kirche wieder voll ausgestattet. "Nach einigen Jahren der Ruhe ging die Gaudi 1780 wieder los", fährt Hausfelder fort. "Wellheim bekam einen neuen Pfarrer, einen Offizierssohn. Der hatte von daheim wohl Kriegslust mitbekommen. Wellheim pochte sodann auf die Einnahmen, außerdem gab's mit Rögling Zank um die Öffnungszeiten der Kirche. Unzählige Schriftsätze zwischen den Ordinariaten in Augsburg und Eichstätt gingen hin und her."
Ergebnis: Eichstätt ließ um 1782 die Schlösser an den Kirchtüren demontieren und gab angeblich auch den Auftrag, das Gotteshaus zu demolieren. Augsburg stellte sich dem entgegen. Am Ende überließ man den Bau erneut dem Verfall. Die Wallfahrt erlosch, Gestrüpp überwucherte den Ort, Dornröschen lässt grüßen.
Am Ende geschieht Ungewöhnliches
Der Wachküss-Prinz, das war dann Otto Maurer, Pfarrer aus Ammerfeld, einem weiteren Nachbarort im Bistum Eichstätt. Er organisierte ab 1983 Prozessionen zur Ruine und ließ dort Sträucher und Schutt beseitigen. Sieben Jahre später bekam Wellheim mal wieder einen neuen Pfarrer, Hermann Drischberger. Und nun geschah ganz Ungewöhnliches im Spindeltal: "Die beiden solidarisierten sich", sagt Hausfelder. Der Rest ist Geschichte: 1991 gründete sich der Verein "Freunde der Spindeltalkirche", die Kirche wurde behutsam wieder aufgebaut, heute gibt's dort wieder regelmäßig Andachten und Hochzeiten. Einige Tausend Menschen besuchen den Ort im Jahr.
Das Gotteshaus hat nun zwar wieder Dach, Fenster und Türen, aber die uralten Grundmauern sind im rohsteinernen Original belassen. Innen hängt es voll von Rosenkränzen und Votivtafeln mit Danksagungen an die Maria aus dem Spindeltal. Immer wieder soll es hier unerklärliche Heilungen gegeben haben. Aber vielleicht ist das ja das größte bWunder: dass ein jahrhundertelanger Zank doch noch friedlich enden kann.