Nigerias Anglikaner brechen mit Mutterkirche

Kritik an Mullallys Haltung zur Homosexualität

Die Drohgebärden sind alt, doch nun folgen offenbar Taten. Die anglikanische Kirche von Nigeria will fortan nicht mehr Teil der Weltgemeinschaft ihrer Konfession sein. Reizfigur ist die neue Erzbischöfin von Canterbury, Sarah Mullally.

Autor/in:
Katrin Gänsler
Gleichgeschlechtliches Paar als Ampelzeichen: Ein homosexuelles Pärchen hält sich an der Hand und leuchtet rot an einer Fußgängerampel am 8. Februar 2023 in Bielefeld. / © Harald Oppitz (KNA)
Gleichgeschlechtliches Paar als Ampelzeichen: Ein homosexuelles Pärchen hält sich an der Hand und leuchtet rot an einer Fußgängerampel am 8. Februar 2023 in Bielefeld. / © Harald Oppitz ( KNA )

Die Wahl von Sarah Mullally zur Erzbischöfin von Canterbury liegt keine zwei Wochen zurück. Am 3. Oktober ernannte König Charles III. sie zum geistlichen Oberhaupt der anglikanischen Kirche von England. Damit ist sie die erste Frau in diesem Amt mit weltweiter Verantwortung. Die anglikanische Gemeinschaft unter der Leitung der Erzbischöfin von Canterbury hat eigenen Angaben zufolge rund 85 Millionen Mitglieder; und zwar mehrheitlich außerhalb Englands und vor allem in den einstigen Kolonien Afrikas, etwa in Uganda, Kenia und Nigeria. 

Sarah Mullally (The archbishop of canterbury)

Dort hat man sich vielerorts – und meist zähneknirschend – längst an predigende Frauen gewöhnen müssen. Grund dafür sind die zahlreichen Freikirchen, die bis heute in vielen Ländern ohne jegliche Kontrolle gegründet werden können. In Nigeria ist sogar Präsident Bola Tinubu, ein Muslim, mit einer Pastorin verheiratet. Oluremi - Remi - Tinubu wurde 2018 Pfarrerin in der nigerianischen Pfingstkirche Redeemed Christian Church of God.

Doch Mullally geht vielen eindeutig zu weit. Erzbischof Henry C. Ndukuba, Primas der anglikanischen Kirche von Nigeria, zog deshalb Konsequenzen und kündigte auf der Plattform Facebook an, die "Führung der Church of England und des Erzbischofs von Canterbury nicht länger zu akzeptieren".

Frau und Befürworterin der Homo-Ehe

In seinem Statement kritisiert er die "Unempfindlichkeit gegenüber der Überzeugung der Mehrheit der Anglikaner, die sich nicht mit der weiblichen Führung des Episkopats abfinden können". Verlässliche Zahlen dazu gibt es freilich nicht. Aber weitaus schlimmer für ihn: "Bischöfin Sarah Mullally ist eine entschiedene Befürworterin der gleichgeschlechtlichen Ehe." Durch die unterschiedlichen Ansichten dazu sei die anglikanische Gemeinschaft bereits zerrissen.

Überraschend kommt die scharfe Kritik aber nicht: Ende Juli kritisierte Ndukuba, damals noch auf der offiziellen Homepage der Church of Nigeria, die Wahl von Cherry Vann zur Erzbischöfin von Wales. "Dass eine offen lesbische Frau die 'im Moment richtige Führungspersönlichkeit' der Church of Wales ist, zeigt, wie tief die Kirche gesunken ist", heißt es in der offiziellen Stellungnahme. Weiter ist zu lesen: Man hoffe, dass die Kirche von England einem solchen Schritt nicht folgen werde.

Seriöse "MainlineChurches" in Nigeria

Was Nigerias Bruch mit der Kirche von England nun praktisch bedeutet, ist bisher unklar. Trennungsdrohungen gab es schon lange, etwa von Ndukubas Vorvorgänger Peter Akinola. Doch bisher raufte man sich zusammen. Die Anglikaner gehören in Nigeria zu den "Mainline Churches", lang etablierte christliche Kirchen, zu denen auch Katholiken und Lutheraner zählen, die vor und während der Kolonialzeit ins Land kamen. Sie gelten - anders als die überall aus dem Boden sprießenden Freikirchen - vielfach als verlässlich, seriös sowie an Ökumene und interreligiösem Dialog interessiert.

Unklar ist außerdem, wie viele Mitglieder die Kirche von Nigeria tatsächlich hat. Teilweise ist die Rede von bis zu 22 Millionen, aktuell wird die Einwohnerzahl in Nigeria auf 235 Millionen geschätzt. Zwar verzeichnen auch die etablierten Kirchen steigende Mitgliederzahlen, was aber vor allem am Bevölkerungswachstum liegt. 

Das wurde für 2024 auf plus 2,5 Prozent geschätzt. Als echte Gewinner gelten die neuen Pfingst- und Freikirchen, die so ihren Einfluss innerhalb der nigerianischen Gesellschaft ausbauen.

Kritik an Mullally ist auch aus anderen afrikanischen Ländern zu hören, wo an der Spitze der jeweiligen anglikanischen Kirche eher Traditionalisten stehen. Laurent Mbanda, Erzbischof in Ruanda, schrieb, die Wahl würde die Kirche weiter spalten. Mbanda ist Vorsitzender der Global Anglican Future Conference (Gafcon), in der sich 2008 vor allem konservative Kirchenvertreter zusammengeschlossen haben.

Das passt in die aktuellen Debatten, die in vielen Ländern des Kontinents geführt werden: Jüngst stellte Burkina Faso - mehrheitlich muslimisch - Homosexualität unter Strafe. Länder wie Kenia, Uganda und Ghana sind zunehmend homophob. Menschenrechtsorganisationen kritisieren diese Entwicklungen scharf.

Glückwünsche aus Südafrika

Anders jedoch Südafrika, wo das erste schwule Paar im Jahr 2006 heiratete und die Verfassung bereits seit 1997 Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung verbietet. Das spiegelt auch die anglikanische Kirche in Südafrika. Erzbischof Thabo Makgoba gratulierte Mullally umgehend und nannte ihre Wahl eine "spannende Entwicklung".

Geeinter sind hingegen die katholischen Bischöfe in Afrika. Sie betonten Anfang 2024 in einem gemeinsamen Schreiben, dass es für gleichgeschlechtliche Paare nirgendwo auf dem Kontinent eine Segnung gebe. Sehr diplomatisch äußerte sich 2017 auch der lutherische nigerianische Erzbischof Musa Panti Filibus, der von 2017 bis 2023 Präsident des Lutherischen Weltbunds war. Auf die Frage, wie dieser mit den unterschiedlichen Einstellungen zu Homosexualität umgehe, sagte er: "Die Kirche im jeweiligen Land entscheidet selbst, wie sie sich zu dieser Frage positioniert." Von so viel Einheit - oder Toleranz - ist die anglikanische Kirche heute meilenweit entfernt.

Anglikanische Kirche

Die anglikanische Kirche entstand zur Zeit der Reformation in England. König Heinrich VIII. brach 1533 mit dem Papst, weil dieser sich weigerte, die Ehe des Königs zu annullieren. Als Oberhaupt einer neuen Staatskirche setzte sich Heinrich VIII. 1534 selbst ein. In Glaubensfragen blieben die Anglikaner zunächst bei der katholischen Lehre; später setzten sich protestantische Einflüsse durch. 1549 erschien das erste anglikanische Glaubensbuch, das "Book of Common Prayer".

Die Kathedrale von Canterbury, Sitz des anglikanischen Erzbischofs / © Sambraus, Daniel (epd)
Die Kathedrale von Canterbury, Sitz des anglikanischen Erzbischofs / © Sambraus, Daniel ( epd )
Quelle:
KNA