England bekommt erstmals eine anglikanische Primas: Sarah Mullally (63), bislang anglikanische Bischöfin von London, wird die Nummer eins der Kirche von England. Sie wurde am Freitag zur Nachfolgerin von Justin Welby (69) ernannt, wie der britische Sender BBC berichtete. Als 106. Erzbischof von Canterbury bleibt die frühere Krankenpflegerin die höchstrangige Frau in der Geschichte der anglikanischen Staatskirche.
Mullally ist die erste Frau in diesem Amt und die 105. Nachfolgerin des heiligen Augustinus von Canterbury, der um 597 von Papst Gregor I. nach England gesandt wurde, um die Angelsachsen zu missionieren. Er war der Gründer der englischen Kirche, die seit der Reformation im 16. Jahrhundert nicht mehr katholisch ist, sondern protestantisch wurde.
Die gelernte Krankenpflegerin Mullally wechselte 1999 für fünf Jahre als Leiterin Pflege ins britische Gesundheitsministerium. 2001 erhielt sie die Diakonenweihe und 2006 die Priesterweihe. Im Juli 2015 wurde sie vom anglikanischen Primas Welby zur Bischöfin geweiht; in Exeter war sie Englands zweite Diözesanbischöfin. Seit 1987 ist Mullally verheiratet; sie hat zwei Kinder.
"The King's Bishop"
Als Bischöfin von London war sie seit 2017 nicht nur die Nummer drei in der anglikanischen Hierarchie nach den Erzbischöfen von Canterbury und York. Als einer von fünf "Geistlichen Lords" ist der Bischof von London geborenes Mitglied des Oberhauses. Zudem ist er auch Dekan der - rechtlich eigenständigen - königlichen Kapellen, was ihm einen privilegierten Zugang zur Royal Family gibt. Wegen dieser Nähe wird er auch als "the King's Bishop" bezeichnet.
Ziemlich genau ein Dritteljahrhundert dauerte es, bis eine Frau jetzt die oberste Stufe der Karriereleiter in der Kirche von England erklommen hat. Im November 1992, vor 33 Jahren, beschloss die Generalsynode die Zulassung von Frauen zum Priesteramt - mit einer hauchdünnen Mehrheit. Die Freigabe des Frauenpriestertums führte die Kirche an den Rand der Spaltung; der Beschluss löste eine regelrechte Abwanderungswelle zum Katholizismus aus.
Exeter - London - Canterbury
Der Beschluss ist heute längst unumkehrbar. Inzwischen ist bereits jeder dritte anglikanische Geistliche in England weiblich. 2014 wurden Frauen auch zum Bischofsamt zugelassen. Nach der Ernennung zweier Weihbischöfinnen wurde im März 2015 Rachel Treweek in Gloucester die erste Diözesanbischöfin der englischen Kirchengeschichte. Kurz darauf folgte Mullally in Exeter.
Erzbischof John Sentamu von York hatte im Januar 2015 bei der Bischofsweihe der ersten Weihbischöfin Libby Lane gesagt, es sei "höchste Zeit für Frauen im Bischofsamt". Schon seit dem frühen Christentum seien Frauen "das Rückgrat der Kirche", "unentdeckt, unbesungen und unschätzbar". Bereits in wenigen Jahren werde man sich fragen, wie man je ohne Bischöfinnen habe auskommen können.
Ein potenzieller Pflegefall?
Die neue Primas der Kirche von England hat gleich genügend Baustellen. Und es entbehrt nicht einer gewissen Symbolik, dass Mullally über 35 Jahre als Krankenpflegerin im britischen Gesundheitssystem NHS gearbeitet hat, zuletzt bis 2004 als Leiterin Pflege im Gesundheitsministerium.
Ein potenzieller Pflegefall ist die anglikanische Kirche selbst. Noch unversöhnt beim Thema Missbrauch; weltweit innerlich zerstritten über Fragen der Kirchendisziplin, nicht zuletzt die Frauenfrage, aber auch den pastoralen Umgang mit Homosexuellen, Homosexualität und kirchlichem Amt. Hier könnte eine Erzbischöfin aus der Mutterkirche von England, selbst Mutter zweier Kinder, eine prägende Rolle spielen.