Nichts ist so endgültig wie der Tod – diese Meinung vertreten sicherlich nicht wenige Menschen. Doch der Umgang mit den sterblichen Überresten eines Menschen zeigt, dass es nicht egal ist, was nach dem Ableben mit dem Körper einer Person passiert. Besonders deutlich wird das im militärischen Konflikt zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas. Den Angehörigen der entführten israelischen Geiseln ist es sehr wichtig, dass die Leichname der Verstorbenen zurückgegeben werden.
Doch nun hat sich anhand einer genetische Untersuchung im forensischen Institut in Tel Aviv herausgestellt: Eine der vier am Dienstagabend von der Hamas übergebenen Leichen ist keine der Geiseln. Damit verbleiben noch 19 getötete Verschleppte im Gazastreifen.
"Es ist wichtig, dass jetzt nicht nur die Lebenden, sondern eben auch die toten Geiseln nach Hause kommen", sagt die katholische Theologin Eva-Maria Will. Sie ist Diözesanreferentin mit Schwerpunkt Trauerpastoral im Erzbistum Köln. "Die Geiseln sind in der Fremde gestorben oder getötet worden, sie sollten zurück nach Hause kommen, um dort in Frieden zu ruhen." Zudem sollte es immer die Möglichkeit geben, dem Toten noch einmal die letzte Ehre zu geben und damit auch die Würde des Menschen wieder herzustellen, sagt Will.
"Der Mensch ist dem jüdisch-christlichen Glauben nach Gottes Ebenbild. Also repräsentiert der Körper den Menschen." Man könnte ihn als Realsymbol des Menschen bezeichnen oder gar als Tempel des Heiligen Geistes – so hat der Apostel Paulus es genannt. Völlig klar ist für die Theologin: "Die Würde des Menschen endet nicht mit seinem Tod."
Mit der Bedeutsamkeit von Bestattungen und dem Vorhandensein eines Grabes, eines Trauerortes für die Hinterbliebenen, sind auch die Mitarbeitenden des Vereins Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. täglich beschäftigt. Auch heute, 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, gelten noch rund zwei Millionen Menschen als vermisst. Teils kommen die Suchanfragen von noch lebenden Ehefrauen, die wesentlich jünger als ihre Männer waren, teils sind es Anfragen von Enkeln und Urenkeln.
Auch hier geht es darum, zu wissen: Der Mensch, der zu meiner Familie gehörte, hat einen Platz gefunden und ein würdiges Grab. "Diese Unwissenheit fühlen die Hinterbliebenen der Vermissten oft als eine Art blinden Fleck, als Lücke", sagt Diane Tempel-Bornett. "Wenn wir mit unseren Recherchen die Beerdigungsstätte eines gefallenen Soldaten oder auch verstorbenen Zivilisten finden und die sterblichen Überreste zuordnen konnten, fällt den Hinterbliebenen oft ein riesengroßer Stein vom Herzen. Ein häufig genutztes Bild ist, dass sich der Kreis schließt", erläutert die Pressesprecherin des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge.
Sehr selten bitten die Angehörigen dann um eine Überführung der Gebeine an ihre Heimatadresse. In den meisten Fällen hilft es den Menschen schon, den Ort zu kennen, an dem der Gefallene begraben ist. Keine Seltenheit ist, dass, mit dem Einverständnis der Angehörigen, die Gebeine dann in eine Kriegsgräberstätte eingebettet werden. Diese liegt in der Regel nahe dem Ort, an dem der Mensch fiel, und wo auch seine Kameraden starben. Dort werden die Namen der Verstorbenen angebracht – und allein das hat eine große Bedeutung, sagt Tempel-Bornett.
"Ein Gedenkort, an dem der Name verewigt ist, ist etwas sehr Wichtiges für die Angehörigen, das stellen wir beim Volksbund immer wieder fest." Wenn sich einmal nicht mehr nachvollziehen ließe, ob der Mensch auf diesem oder jenem russischen Friedhof liege, reiche manchmal auch nur der Name auf dem Stein. "Das Wissen: dort ist er, sein Name steht noch da."
Für die Arbeit des Volksbundes hat auch Eva-Maria Will viel Wertschätzung. Manchmal erfahren die Angehörigen durch die Recherchearbeit des 1919 gegründeten Vereins sogar noch etwas darüber, wie die Toten gestorben sind – auch das hilft bei der Trauer.
"Zu wissen, wo das Grab ist, heißt ja auch, für die Hinterbliebenen zu begreifen, dass der andere wirklich tot ist. Und die Ungewissheit, ob ein Vermisster irgendwann wiederkommt oder doch tot ist, ist für die Angehörigen immer wieder kaum erträglich." Weil die Seele dann kaum zur Ruhe kommen könne, seien Gräber, psychologisch betrachtet, ganz wichtige Orte der Trauer und auch der Erinnerung, bringt Will es auf den Punkt. Und erinnert: "Der Besuch des Grabes ist auch ein Zeichen der Solidarität mit den Toten."
Wie wichtig dieses Wissen um eine Grabstätte ist, zeigt sich auch darin, dass beim Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes weltweit allein im vergangenen Jahr immer noch 2.400 Anfragen nach Vermissten eingegangen sind. Auf der Suche nach diesen sterblichen Überresten und vor allem deren Identifizierung, nutzt der Volksbund unter anderem Listen, Pläne und Akten über die sogenannten Wehrmachtsfriedhöfe. Die wurden im Zweiten Weltkrieg, der ab dem ersten Tag Tote forderte, gleich zu Beginn angelegt.
Nach der Bergung helfen dann bei der Identifizierung der Leichen etwa sogenannte Beifunde. "Manchmal ist die Erkennungsmarke noch dabei, ansonsten ist es viel Recherchearbeit", sagt Tempel-Bornett. "Es kann zum Beispiel ein Ehering mit Gravur sein, oder ein Soldbuch. Eine Brille oder gravierte Zigaretten-Dosen, auch ins Essgeschirr eingekratzte Initialen können hilfreich sein zur Identifizierung."
Manchmal werden bei Bauarbeiten für Parkplätze oder Supermärkte Gebeine gefunden, viele an einer Stelle. Auch dann versucht der Verein, den Toten ihre Namen zurückzugeben, wenn irgend möglich auch eine Biografie und im besten Fall werden sie auch noch ihren Angehörigen zurückgegeben. Für diese kann solch eine "zufällige Schicksalsaufklärung" ein Segen sein. So wie vor zwei Jahren: Damals konnten die Teams des Volksbunds in Breslau getötete Zivilisten zuordnen – Dank einer gefundenen Liste.
"Da haben die Kolleginnen dann über eine Einwohner-Meldeamt-Anfrage herausgefunden, wer die Enkelin eines der Toten ist." Die Frau, die bisher nur gewusst hatte, dass Ihr Großvater in einem Massengrab läge, war sehr angerührt und dankbar. Nicht nur in solchen Momenten wird Diane Tempel-Bornett wieder klar: "Wir arbeiten nicht für Steine. Es ist für die Lebenden. Wir konnten sie begleiten und auch die Einbettung miterleben – ihr Opa hatte nach 80 Jahren ein würdiges Grab gefunden."