DOMRADIO.DE: Seit vergangenem Jahr hält die AfD in Thüringen die Mehrheit im Landesparlament. Hat das die Stimmung im Bundesland verändert?
Willi Wild (Chefredakteur der evangelischen Wochenzeitung Glaube und Heimat in Weimar): Ich kann auf diese Frage aus Sicht eines kirchlichen Mediums antworten. Wir begleiten sogenannte Verständigungsorte, die von unserer Landeskirche eingerichtet wurden und an denen man versucht, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Dazu gehören auch AfD-Wähler. Wir hören dort einfach zu, was die Menschen bewogen hat, diese Partei zu wählen. Wir wollen verstehen, was sie vermissen und aufzeigen, dass Kirche eine andere Sicht als die AfD vertritt.
DOMRADIO.DE: Und was antworten die Menschen Ihnen an diesen Verständigungsorten?
Wild: Viele sind unzufrieden mit der aktuellen Situation. Da gibt es manchmal auch so etwas wie Phantomschmerz, dass man sich also über Dinge beklagt, die eigentlich nur vom Hörensagen bekannt sind. Mit diesen Menschen in Kontakt zu kommen, ist der erste Weg zu sagen, dass man zuhören und – wenn es denn möglich ist – auch mit ihnen reden möchte.
DOMRADIO.DE: Die katholischen Bischöfe haben im vergangenen Jahr einstimmig ein Dokument gegen völkischen Nationalismus verabschiedet. Wie gehen Ihre Landeskirchen mit der AfD um?
Wild: Ein Beispiel: Es gab vor kurzem Gemeindekirchenratswahlen in unserem Verbreitungsgebiet. Das bedeutet, etwa 575.000 evangelische Kirchenmitglieder waren dazu aufgerufen,1.750 Gemeindekirchenräte zu wählen. Das sind insgesamt 11.000 sogenannte Kirchenälteste. Zuvor mussten die Kandidaten für dieses Ehrenamt aber eine Erklärung unterzeichnen, dass sie keiner Partei angehören, die als rechtsextremistisch vom Verfassungsschutz eingestuft worden ist.
DOMRADIO.DE: Vor kurzem hat der noch amtierende Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, seine Biografie veröffentlicht, in der er besonders seine Identifikation mit den Werten des Christentums betont. Damit ist er in Ostdeutschland kein Einzelfall. Warum gehen gerade ostdeutsche Politiker so offen mit ihrem Glauben um?
Wild: Ich habe Haseloffs Biografie auch gelesen und finde sie beeindruckend. Es ist eine ganz andere Biografie eines Politikers, als man sie sonst kennt. Ich finde es wirklich sehr bemerkenswert, wenn er darüber berichtet, wie er seinen Glauben auch in der DDR gelebt hat. Ich vermute, dass gerade ostdeutsche Christen sich wegen ihres Glaubens in so verantwortliche Positionen wählen lassen. Sie wollen Verantwortung übernehmen und wissen sich von ihren christlichen Werten getragen.
DOMRADIO.DE: Die Kirchenbindung sinkt bundesweit, in Thüringen auch. Welche Rolle spielt die Kirche bei Ihnen noch? Wird ihre Stimme überhaupt noch in der Gesellschaft wahrgenommen?
Wild: Wir dürfen uns als Kirchen nicht verzwergen, denn nach wie vor sind die Kirchenmitglieder – seien sie nun katholisch oder evangelisch – die größte organisierte zivilgesellschaftliche Gruppe. Das gilt auch im Osten und damit sind wir natürlich auch die größte Wählergruppe. Insofern müssen wir wirklich dafür Sorge tragen, dass man unsere Stimme hören kann. Dafür sorgen etwa wir als christliches Medium. Wir sind kirchennah, aber nicht das Verlautbarungsorgan der Kirchenleitung. Das ist sehr wichtig, weil wir unsere Aufgabe darin sehen, auf der einen Seite kritische Begleiter der Kirche zu sein, aber eben auch eine gesellschaftliche Aufgabe wahrzunehmen, indem wir Kirche sichtbar machen.
DOMRADIO.DE: Wie sieht es in Thüringen mit dem Miteinander der Konfessionen aus?
Wild: Wir sind als kirchliches Medium sehr ökumenisch ausgerichtet. Nächste Woche fliegen wir mit einer Lesergruppe zum Papst nach Rom. Bodo Ramelow wird uns dabei begleiten. Der freut sich natürlich besonders, dass er bereits dem dritten Papst die Hand schütteln kann. Ökumene wird bei uns tatsächlich sehr groß geschrieben. Das war schon zu DDR-Zeiten so, weil es wichtig war, dass sich die Christen zusammentun. Es spielte keine Rolle, welcher Konfession man angehörte, sondern wir haben unsere gemeinsame Basis betont: den Glauben an Jesus Christus. Das ist das, was uns verbindet.
Das Interview führte Lara Burghardt.