Vatikan balanciert seit rund 80 Jahren zwischen Palästina und Israel

Der Papst und die verfeindeten Völker im Heiligen Land

157 Staaten erkennen inzwischen Palästina als Staat an, Tendenz steigend. Im Fall Israels sind es 162. Hier ist die Zahl seit Jahren rückläufig. Der Heilige Stuhl hält schon lange Beziehungen zu beiden. Ein historischer Überblick.

Autor/in:
Ludwig Ring-Eifel
Historische Begegnung 1986: Papst Johannes Paul II. und Rabbi Elio Toaff / © Romano Siciliani (KNA)
Historische Begegnung 1986: Papst Johannes Paul II. und Rabbi Elio Toaff / © Romano Siciliani ( KNA )

In der internationalen Debatte um die symbolträchtige Anerkennung eines palästinensischen Staates nimmt der Heilige Stuhl eine Sonderstellung ein. Kein anderes Völkerrechtssubjekt hat Palästina so früh anerkannt wie der Heilige Stuhl - auch als Palästina noch nicht einmal ansatzweise ein Staat war, sondern lediglich als geografischer Begriff existierte.

Im offiziellen vatikanischen Verzeichnis der Päpstlichen Auslandsvertretungen findet sich schon seit vielen Jahrzehnten ein Eintrag mit dem Titel "Jerusalem und Palästina", dahinter steht in Klammern ein Datum: 11. Februar 1948. Dieses Datum erinnert daran, dass Papst Pius XII. bereits im Februar 1948 das Gebiet Palästina für wichtig hielt und einen Kirchen-Diplomaten im Rang eines "Apostolischen Delegaten" nach Jerusalem entsandte.

Papst Pius XII. im Vatikan (KNA)
Papst Pius XII. im Vatikan / ( KNA )

Erst drei Monate später rief David Ben Gurion die Existenz eines Staates Israel aus. Dieser Staat Israel wiederum, den als Erste die USA und die Sowjetunion anerkannten, war aus vatikanischer Sicht noch etliche Jahre inexistent.

Die teils kirchliche, teils völkerrechtliche Institution eines Apostolischen Delegaten in "Jerusalem und Palästina" überdauerte hingegen die wechselvolle Geschichte in der Region. In Aufständen und Kriegen, Eroberungen und Vertreibungen versuchte der Delegat des Papstes, eine leise, vermittelnde Rolle einzunehmen. Dabei wurde er auch zu einer Art informeller Anlaufstelle für die Christen unterschiedlicher Konfessionen vor Ort. Bis heute sprechen die meisten Christen im Heiligen Land arabisch, die Mehrheit definiert sich als Palästinenser.

Beziehungen zu Israel sehr viel später

Mit dem durch erfolgreiche Verteidigungskriege stetig wachsenden Staat Israel nahm der Vatikan sehr viel später diplomatische Beziehungen auf. Erst mussten durch die Konzils-Erklärung "Nostra aetate" von 1965 sowie durch mehrere historische Gesten von Papst Johannes Paul II. die über Jahrhunderte vergifteten Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und dem Judentum bereinigt werden.

Papst Johannes Paul II. betet an der Klagemauer in Jerusalem in Israel am 26. März 2000. Neben ihm steht Rabbiner Michael Melchior / © Arturo Mari/CNS photo/KNA (KNA)
Papst Johannes Paul II. betet an der Klagemauer in Jerusalem in Israel am 26. März 2000. Neben ihm steht Rabbiner Michael Melchior / © Arturo Mari/CNS photo/KNA ( KNA )

Dabei gingen der religiöse Dialog zwischen Judentum und Kirche und der diplomatische Dialog zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Staat Israel Hand in Hand. So erwähnte der Vatikan 1984 den Staat Israel erstmals in einem offiziellen Dokument, zwei Jahre später besuchte Johannes Paul II. als erster Papst die Synagoge in Rom und nannte die Juden die "älteren Brüder im Glauben".

1993 wurde dann nach langen, komplizierten Verhandlungen ein Grundlagenvertrag zwischen Israel und dem Heiligen Stuhl unterzeichnet, im Jahr darauf folgte die Aufnahme diplomatischer Beziehungen, sechs Jahre später die historische Papstreise ins Heilige Land.

Der Apostolische Delegat in Jerusalem bekam 1994 Doppelfunktion

Der Apostolische Delegat in Jerusalem übernahm seit 1994 praktischerweise in Personalunion auch die Aufgabe des Papst-Botschafters (Apostolischer Nuntius) in Israel - mit einem zusätzlichen Dienstsitz in Tel Aviv. Diese Doppelfunktion eines Papstvertreters in Israel und in Palästina ist ein weltweit einmaliges Konstrukt auf der diplomatischen Bühne. Auf der Gegenseite in Rom wurde eine israelische Botschaft "beim Heiligen Stuhl" eingerichtet. Die Botschafter Israels haben seither stets eine sehr aktive politische Rolle in Rom eingenommen und sich bei Bedarf auch lautstark und kritisch zu päpstlichen Stellungnahmen geäußert.

Etwas stiller ist es um den palästinensischen Botschafter beim Heiligen Stuhl. Bis 2015 wurde er als "Repräsentant der PLO" im Vatikan-Verzeichnis aufgeführt, seither firmiert er als "Repräsentant des Staates Palästina". Das Jahr 2015 gilt als das Jahr der Anerkennung eines modernen Palästinenserstaats durch den Heiligen Stuhl - im Sinne der "Zweistaatenlösung", wie sie seit den 1990er Jahren von vielen UN-Mitgliedern angestrebt und in den Friedensverhandlungen von Oslo unterschriftsreif verhandelt wurde.

Papst Leo XIV.: Schwierige Balance auch im Gaza-Krieg

In der aktuellen Debatte um die mögliche Anerkennung eines palästinensischen Staates durch westliche Staaten hat auch Papst Leo XIV. daran erinnert, dass der Heilige Stuhl Palästina schon seit langem anerkannt hat. Allerdings steht diese Anerkennung mit ihrer langen Historie nicht im Verdacht, dass sie von der Terrororganisation Hamas als "Belohnung" für ihren Angriff auf Israel verkauft werden könnte.

Papst Leo XIV. / © Gregorio Borgia/AP (dpa)
Papst Leo XIV. / © Gregorio Borgia/AP ( dpa )

Zwar waren jüdische und israelische Vertreter in Rom nicht erfreut, als der Vatikan 2015 auch die staatliche Anerkennung Palästinas vollzog. Doch war dieser Schritt damals weniger umstritten als die jetzt erfolgten Anerkennungs-Erklärungen durch Frankreich, Großbritannien, Belgien, Kanada und weitere Staaten.

Kardinal Pierbattista Pizzaballa wichtige Stimme

Jenseits der offiziellen diplomatischen Kanäle sorgt derzeit für Aufmerksamkeit das Agieren eines Kirchenvertreters, der ganz ohne Botschafterstatus zu einem der gefragtesten Vermittler im Heiligen Land geworden ist. Der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Kardinal Pierbattista Pizzaballa, war die wichtigste Stimme, als es darum ging, nach dem (möglicherweise unabsichtlichen) Beschuss der einzigen katholischen Kirche in Gaza im Juli die dort ausharrenden Christen und ihre Gäste zu bestärken und Hilfslieferungen zu organisieren.

Kardinal Pierbattista Pizzaballa während der Palmsonntagsprozession mit Regen auf dem Ölberg am 13. April 2025 in Jerusalem. / © Andrea Krogmann (KNA)
Kardinal Pierbattista Pizzaballa während der Palmsonntagsprozession mit Regen auf dem Ölberg am 13. April 2025 in Jerusalem. / © Andrea Krogmann ( KNA )

Und in der aktuellen, angespannten Debatte um die Initiative "Globale Sumud-Flottille", die erklärt hat, sie wolle mit ihren mit Hilfsgüter-Schiffen Israels Seeblockade vor dem Gaza-Streifen durchbrechen, war wiederum Pizzaballa gefragt. Er war der Einzige, der einen realistischen Vorschlag zur Deeskalation machte, indem er für einen Umweg der Hilfsgüter über Zypern plädierte - vorerst vergeblich, wie es aussieht.

Ähnlich wie der Apostolische Delegat in Jerusalem sucht auch Pizzaballa einen Mittelweg zwischen Israel und Palästina. Ursprünglich war er als Seelsorger für die kleine Minderheit der hebräisch sprechenden Christen zuständig und durchaus israelfreundlich gesinnt. Dann hat er in seiner Rolle als Patriarch (seit 2020) seinen kritischen Ton in Richtung Israel verschärft - vor allem, seitdem Netanjahus Armee in Gaza Krieg führt. Eine einseitige Verurteilung Israels vermeidet er jedoch ebenso wie das Wort Genozid.

Quelle:
KNA