Warum über Fresken in der Sixtinischen Kapelle gestritten wurde

"Da flogen die Fetzen"

Die Renovierungen am Fresko "Das Jüngste Gericht" in der Sixtinischen Kapelle beginnen bald. Vatikanexperte Ulrich Nersinger berichtet von den Dramen, die sich bei der Entstehung zwischen Michelangelo und Papst Julius II. abspielten.

Autor/in:
Heike Sicconi
Das Fresko "Das Jüngste Gericht" von Michelangelo, an der Altarwand der Sixtinischen Kapelle im Vatikan am 28. Juni 2021 / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Das Fresko "Das Jüngste Gericht" von Michelangelo, an der Altarwand der Sixtinischen Kapelle im Vatikan am 28. Juni 2021 / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Michelangelo malte fünf Jahre lang von 1536 bis 1541 an dem Fresco, das die gesamte Westwand der Sixtinischen Kapelle im Vatikan bedeckt. Warum dauert das so lange?

Vatikanexperte und Buchautor Ulrich Nersinger. (EWTN)
Vatikanexperte und Buchautor Ulrich Nersinger. / ( EWTN )

Ulrich Nersinger (Vatikanexperte und Autor): Es gab eine ganze Reihe von Schwierigkeiten. Die Lichtversorgung in der Sixtinischen Kapelle ist nicht besonders gut. Es dringt nicht viel Licht von außen herein. Die meisten Arbeiten fanden an der Decke und an den Seiten statt. Man musste Gerüste nutzen und an der Decke musste man auf dem Rücken liegend malen. Also das war alles nicht ganz einfach, zumal sich Michelangelo selber nicht als Maler sah.

Ulrich Nersinger

"Papst Julius II. und Michelangelo waren beides Titanen, die sich nichts geschenkt haben."

DOMRADIO.DE: Das Verhältnis von Michelangelo und den Päpsten während seiner Arbeit in der Sixtinischen Kapelle war voller Dramen, sodass es in den 50er Jahren sogar eine Hollywood-Blockbuster-Produktion gab mit Filmstar Charlton Heston als Michelangelo im Kino. Was war da los?

Nersinger: Da haben sich gewaltige Dramen abgespielt. Papst Julius II. und Michelangelo waren beides Titanen, die sich nichts geschenkt haben. Sie haben versucht, ihre jeweiligen Wünsche durchzusetzen, ihre Vorstellungen zu realisieren. Da flogen auch manchmal die Fetzen.

Detail von Michelangelos Fresko in der Sixtinischen Kapelle (shutterstock)
Detail von Michelangelos Fresko in der Sixtinischen Kapelle / ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Michelangelo hat auch viel mehr nackte Haut gemalt, als es gewollt war vom Papst. Heute wird dieser Freskenschatz hochsensibel bewahrt. Besucher dürfen nicht fotografieren oder filmen, sollen sich ruhig verhalten. Zu Beginn wurden die Bilder auch schon mal übermalt, wenn die Motive nicht passten. Wie kam es dazu?

Nersinger: Es war manchmal so, dass einem Papst oder auch einem Kardinal manche Szenen nicht gefielen, weil sie zu freizügig erschienen, gewisse Teile des Körpers wollte man unbedingt bedeckt haben. Michelangelo hat sich zeitlebens heftig dagegen gewehrt. Aber es gab noch mehr Probleme, die dann auftauchten.

Mit der Zeit waren Beeinträchtigungen der Gemälde zu sehen. Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Sixtinische Kapelle der hauptliturgische Ort der Päpste. Hier fanden die meisten Liturgien statt, nicht in St. Peter. Diese Kapelle musste erleuchtet werden mit Kerzen, die damals viel Ruß abgaben. Es war nicht möglich, mit anderen Lichtquellen zu arbeiten. Das hat die Kapelle sehr beeinträchtigt. Durch die vielen Liturgien, die dort stattfanden, hielten sich dort außerdem viele Leute auf. Mit ihrer Atemluft, ihren Hautpartikeln und anderem waren sie eine Belastung für die Kapelle.

Ulrich Nersinger

"Durch die Rauchentwicklung fielen vor allem viele Damen des römischen Adels reihenweise in Ohnmacht."

DOMRADIO.DE: Was hat es mit den Damen in Ohnmacht auf sich?

Nersinger: Die Sixtinische Kapelle verfügte, wie die meisten Säle des Apostolischen Palastes, nicht über eine Zentralheizung. Sie konnten entweder gar nicht geheizt werden oder man hat ein besonderes Prozedere angewandt. Am Katharinentag im November hat man riesige Messingbecken hervorgeholt und die Säle und auch die Sixtinische Kapelle mit Holzkohle beheizt.

Man kann sich vorstellen, dass das in einem so relativ kleinen und geschlossenen Raum wie der Sixtinischen Kapelle nicht sehr angenehm war. Durch die Rauchentwicklung fielen vor allem viele Damen des römischen Adels reihenweise in Ohnmacht. Man hatte draußen vor der Kapelle sogar eine medizinische Station errichtet, weil das also so heftig wurde, dass manche dieser Damen recht lange in dieser Ohnmacht verblieben.

Blick über das Dach der Kolonnaden im Vatikan / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Blick über das Dach der Kolonnaden im Vatikan / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Zwischen 1979 und 1999 fand eine Restaurierung statt, um Kerzenruß, Weihrauchwolken und Schichten von Firnis von den Fresken zu entfernen. Zum Vorschein gekommen ist damals ein Werk, das wahnsinnig farbenfroh war. Das hat nicht jedem gefallen. Man hatte sich an dieses sepiaartige Gemälde gewöhnt. So eine große Veränderung ist aber jetzt nicht zu erwarten, oder?

Nersinger: Nein, glaube ich nicht. Ich kannte noch die alte Sixtina und ich habe das noch stärker bemerkt als bei den Kolonnaden und bei der Fassade von St. Peter. Man war das Verdunkelte gewohnt. Als dann der ganze Schmutz entfernt worden war, hatte man auf einmal etwas Fremdes vor sich. Man fragte sich, ob das immer so gedacht war oder die Künstler damals kalkuliert hatten, dass das alles etwas nachdunkelt.

DOMRADIO.DE: Wie fanden Sie damals die neu restaurierte Sixtinische Kapelle?

Nersinger: Ich war auch etwas verwirrt und verstört, muss ich ehrlich sagen, durch die Grellheit mancher Farben. Man denkt, vielleicht hätte man alles doch in dem Zustand erhalten oder zumindest nicht so restaurieren sollen, dass man den Eindruck hat, man hat etwas ganz Neues vor sich. Ich denke, das ist eine Geschmackssache.

Das Interview führte Heike Sicconi.

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Petersplatz im Vatikan  / © Agustin Jose Jemic (shutterstock)
Petersplatz im Vatikan / © Agustin Jose Jemic ( shutterstock )
Quelle:
DR

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