DOMRADIO.DE: Sie haben viele Jahre selbst auf der Wiesn gekellnert. Da wird die Maß Bier nicht wie dieses Jahr fast 16 Euro gekostet haben. Das werden sich viele gar nicht mehr leisten können. Wie viel ist vom größten Volksfest der Welt eigentlich noch übrig?
Pfarrer Rainer Maria Schießler (St. Maximilian München): Wir haben vor etlichen Jahren zum damaligen Jubiläum die sogenannte "Oide Wiesn" eingeführt. Man hat sie dann beibehalten und damit hat man ein Schaufenster der ursprünglichen Wiesn erhalten können. Das hat einen sehr großen Zulauf und war eine Art Rettungsaktion.
Natürlich ist der andere Teil der Wiesn ein Volksfest, das immer ständige Neuerungen braucht. Du brauchst neue Fahrgeschäfte, du brauchst jedes Jahr einen neuen Wiesn-Hit und und und. Da sind immer wieder neue Aspekte, aber der Grundgeist der Wiesn ist, dass Menschen kommen, um miteinander das Leben zu feiern.
DOMRADIO.DE: Ist das dieses Jahr ganz besonders? Was spüren Sie in der Stadt?
Schießler: Ich habe das Gefühl, die Sehnsucht nach der Wiesn war noch nie so groß wie heute und ich denke, es hängt auch mit der Gesamtsituation zusammen, die wir jetzt erleben. Es gibt seit drei Jahren Krieg in der Ukraine. Es geht den Menschen so auf den Geist, dass Menschen untereinander so zerstritten sind, dass es nur noch um Vernichtung und Beherrschung geht.
Die Wiesn ist genau das Gegenteil. Ich habe mal den Satz geprägt: "Wir sollten die ganze Welt mit Oktoberfesten überziehen", was ja mittlerweile schon geschieht. Die Kopien sind überall da. Aber wir sollten einfach den Menschen wieder klar machen, wo eigentlich ihre Bestimmung ist, nämlich das Leben zu feiern. Dafür hat uns Gott in die Welt gesetzt.
DOMRADIO.DE: Tradition wird beim Oktoberfest groß geschrieben, dazu gehört auch ein ökumenischer Gottesdienst, den es schon seit den 50er Jahren gibt. Welche Bedeutung hat dieser Wiesn-Gottesdienst?
Schießler: Er ist beim gesetzteren Publikum sehr beliebt und da ist das ganze Marstall-Zelt voll. Aber allein, dass es diesen Gottesdienst gibt, ist ein wichtiges Signal, unabhängig davon, wie viele Leute da kommen, welche Außenwirkung das hat. Damit schaffen wir eine ganz tolle Verbindung zwischen der Wiesn und dem religiösem Aspekt. Der soll nicht übertrieben werden, aber er ist da und man darf nicht vergessen, dass die erste Wiesn eine Hochzeit war. Das war der Ursprung des Oktoberfestes.
DOMRADIO.DE: Rund eine Million Besucher werden auf der Wiesn erwartet. Die kommen von überall her, feiern zusammen, egal welcher Herkunft man ist, welches Alter man hat. Da hat die Wiesn durchaus Vorbildcharakter. Wie sehen Sie das?
Schießler: Das ist ein Modellcharakter, das muss man einfach sagen. Ich habe es zehn Jahren als Bedienung erlebt, dass es an diesem Tisch, wo deine Leute sitzen, auf einmal keine Rolle mehr spielt, woher du kommst, welche Hautfarbe du hast, welche Anschauung du hast und welche sexuelle Orientierung du hast. Es wird einfach nur gefeiert. Damit könnte man schon eine Botschaft in die Welt hinaus senden. Darum bitten wir immer um eine friedliche Wiesn, damit diese Botschaft nicht sofort in das Gegenteil verkehrt wird.
Das Interview führte Carsten Döpp.