Wie neutral ist der Heilige Stuhl im Ukraine-Krieg? Darüber gehen die Meinungen des Vatikans und des Moskauer Patriarchats auseinander. Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin befindet, dem Vatikan könne mangelnde Neutralität in diesem Zusammenhang nicht vorgeworfen werden. Der Außenbeauftragte des Moskauer Patriarchats, Metropolit Antonij, hat Zweifel.
Die Uneinigkeit in dieser Frage ist Teil eines neuen Auslotens der Beziehungen zwischen Rom und Moskau. Nach Amtsantritt des gebürtigen US-Amerikaners Leo XIV. muss sich das russisch-orthodoxe Patriarchat zunächst an die möglichen Positionen des neuen Mannes an der Spitze der katholischen Weltkirche herantasten.
Ein erster Schritt wurde am vergangenen Wochenende gemacht, als Leo mit dem Metropoliten erstmals einen hochrangigen Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche im Vatikan empfing. Zuvor waren dem neuen Papst zu dessen Amtsantritt Glückwünsche des Patriarchen Kyrill I. übermittelt worden - von Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Mit dem hatte Leo Anfang Juni telefoniert und seinen Dank wiederum an Kyrill ausrichten lassen. Ein Vorgang, der die auch vom Vatikan kritisierte Staatsnähe des Patriarchats ein weiteres Mal bestätigte.
Statement aus Moskau, Schweigen im Vatikan
Während des Gesprächs zwischen Papst und Metropolit seien zahlreiche Fragen zum Stand des orthodox-katholischen Dialogs sowie zu den andauernden Konflikten in der Welt, darunter in der Ukraine und im Nahen Osten, besprochen worden, hieß es anschließend aus Moskau. Der Vatikan hingegen bestätigte lediglich das Treffen.
Das Patriarchat nutzte die Gelegenheit zudem, um erneut auf die "Verfolgung" der ukrainisch-orthodoxen Kirche aufmerksam zu machen.
Antonij habe Leo XIV. davon berichtet, heißt es in dem russischen Kommuniqué. Moskau wirft der Regierung in Kiew vor, die einst mit Russland verbundene ukrainisch-orthodoxe Kirche zu zerschlagen - eine von zwei großen orthodoxen Kirchen im Land. Ukrainische Gerichte haben mehrere Dutzend Geistliche der Kirche wegen Kollaboration mit dem Kriegsgegner Russland verurteilt. Der Kirche wurden auch eine Reihe von Gotteshäusern genommen. Russland selbst hat in den eroberten ukrainischen Gebieten die Tätigkeit zahlreicher Glaubensgemeinschaften verboten.
Vor der Audienz bei Papst Leo XIV. kritisierte Antonij im Interview mit der italienischen Tageszeitung "La Repubblica", dass der Vertreter der katholischen Kirche in Kiew dem Verbot der ukrainisch-orthodoxe Kirche zugestimmt habe. Außerdem verbreiteten die Bischöfe der mit dem Papst unierten griechisch-katholischen Kirche in der Ukraine anti-russische Reden, ohne dass der Heilige Stuhl dagegen vorgehe.
Vatikanischer Konter Richtung Moskau
Zwei Tage nach der Audienz behauptete Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin vor Journalisten, über den Inhalt des Gespräch zwischen Papst und Metropolit nicht informiert zu sein, aber: "Ich denke auf jeden Fall, dass das Treffen positiv ist, weil es wichtig ist, miteinander zu reden und in Kontakt zu bleiben, und dass all dies dazu beitragen kann, die Beziehungen zum Patriarchat von Moskau nach und nach wieder auf eine freundlichere und konstruktivere Ebene zu bringen."
Dies dürfte Moskau auch als einen Konter auf Antonijs teilweise Vatikan-kritisches Interview verstehen können. Darin äußert sich der Metropolit auch lobend über den kürzlich gestorbenen Papst Franziskus, der versucht habe, "die Wurzeln des Konflikts zu verstehen, und es war ihm gelungen, eine ausgewogene Haltung einzunehmen".
Hingegen kritisierte er, dass es seit der Wahl von Leo keine Initiative für ein weiteres Gipfeltreffen zwischen Papst und Patriarch gegeben habe - obwohl er zugleich einräumt, dass eine noch unter Franziskus geplante Zusammenkunft in Jerusalem vom Vatikan abgesagt worden war. Das erste Treffen hatte im Jahr 2016 in Kuba stattgefunden und Antonij zufolge einen "sehr positiven Einfluss auf die Beziehungen zwischen den beiden Kirchen" gehabt.
Uneinigkeit über Neutralität des Vatikans
Weiter spricht der Metropolit über die von Leo offerierten Vermittlungsgespräche zwischen Russland und der Ukraine. Mehrfach hatte der Papst auch den Vatikan als Verhandlungsort angeboten. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, den Leo XIV. bereits zweimal traf, dankte dem Papst dafür. Moskau lehnte bislang ab.
Antonij sagte dazu: "Ein Vermittler sollte neutral sein, um einen ausgewogenen Dialog zwischen den Parteien aufrechtzuerhalten. Ich bin mir nicht sicher, ob die römisch-katholische Kirche als neutral bezeichnet werden kann." Dabei verweist er auf den angeblich mangelnden Einsatz des Vatikans für Religionsfreiheit in der Ukraine.
Vor den Journalisten räumte Parolin später zwar ein, dass für zwei orthodoxe Länder eine Vermittlung an einem katholischen Ort problematisch sein könnte. Doch "glaube ich nicht, dass man dem Vatikan vorwerfen kann, nicht neutral zu sein", so der Kardinal. "Wir haben immer versucht, auch wenn wir die Dinge so gesagt haben, wie sie sind, beiden Seiten nahe zu stehen und vor allem dabei zu helfen, einen Weg zur Lösung des Konflikts zu finden."
Einigkeit im humanitären Engagement
Laut Leo könnten gemeinsame christliche Werte ein Licht sein, das hilft, Frieden zu suchen, das Leben zu verteidigen und echte Religionsfreiheit zu erlangen. Das sagte er im Gespräch mit Putin vor knapp zwei Monaten. Weniger theoretisch und offiziell einig sind sich die Kirchen hinsichtlich des humanitären Engagements des Vatikans im Ukraine-Krieg. Die Friedensmission des Kardinals von Bologna, Matteo Zuppi, geht unter Leo XIV. weiter, "und wir hoffen, dass sie konkrete Ergebnisse bringt", sagt auch Kyrills "Außenminister".