DOMRADIO.DE: Sie sind so etwas wie ein Weltsynoden-Veteran. Sie haben als theologischer Experte an vier Bischofssynoden teilgenommen. Warum erschien es Ihnen notwendig, im Anschluss an den Abschluss der vergangenen Weltsynode 2024 diese mit Ihrem Buch so ausführlich zu dokumentieren und auch zu kommentieren?
Prof. Dr. Thomas Söding (Seniorprofessor für Neues Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum und Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken): Tatsächlich finde ich es sehr bemerkenswert, dass die katholische Kirche über dieses Instrument verfügt, das heißt, dass es eine Weltbischofssynode gibt, die inzwischen auf dem Weg zu einer Weltsynode ist.
Das bedeutet, dass die Kirche sich zu einem bestimmten Thema verständigt, Rechenschaft ablegt und Pläne für die Zukunft schmiedet. Dieses Thema der Weltsynode "Synodalität" scheint zwar ganz abstrakt zu sein, ist aber meines Erachtens das konkreteste von allen, die bislang bearbeitet worden sind.
Denn es geht um die Art und Weise, wie die katholische Kirche zusammenkommt, um zu überlegen, welche die nächsten Schritte in die Zukunft sein können. Es war mir von Anfang an klar, dass das eine sehr wichtige, vielleicht sogar strategische Synode sein wird – und deswegen wollte ich auch mit der gebührenden Aufmerksamkeit meine Rolle als theologischer Experte dort spielen, auch für die Öffentlichkeit.
DOMRADIO.DE: Ihr Buch hat eine ungewöhnliche Basis, nämlich die tägliche SMS aus den beiden Generalversammlungen der Weltsynode im Herbst 2023 und 2024. Wie sind Sie auf das Konzept SMS, was ja "Synode mit Söding" bedeutet, gekommen.
Söding: Der Titel kommt nicht von mir, sondern von Elsa Fiebig, einer Mitarbeiterin der Pressestelle des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.
Ich hatte schon bei der Synode davor jeden Tag etwas geschrieben, aber da war ich im Internet-affinen Denken noch nicht so weit und hatte das nur auf die Homepage meines Lehrstuhls gestellt. Die Notizen hatten schon damals ein erstaunliches Interesse geweckt. Von daher war dann die Frage: Wie können wir den nächsten Schritt gehen? Ich sah mich aber außerstande, so eine Art Blog mit Dialogen einzurichten, weil meine Hauptaufgabe immer gewesen ist, schlicht und ergreifend meine Arbeit als theologischer Experte zu machen. Das heißt, Texte analysieren und aufbereiten, und zwar so, dass die Synode auch tatsächlich über etwas entscheiden kann.
Dass es darüber hinaus vieles gibt, was die Vertraulichkeit der Synode einhält, aber diesen Prozess kommuniziert, das war mir sehr wichtig. Und da bin ich sehr froh, dass es am Ende auch wirklich gelungen ist, zweimal 26 SMS in die Welt hinaus zusenden.
DOMRADIO.DE: Das bedeutet, Sie haben zu jedem Tag, an dem sich die Synode getroffen hat, eine SMS geschrieben. Dennoch gab es eine strenge Medienpolitik und fast eine Art Nachrichtensperre in Bezug auf die Synoden-Aula. Sie haben, wie gesagt, dennoch täglich etwas berichtet, aber eben ohne etwas indiskret auszuplaudern. Wie schwierig war denn da der Balance-Akt?
Söding: Das war immer eine Überlegung. Aber es war für mich völlig klar, dass ich mich genau an die Regeln der Synode halte. Persönlich hätte ich mir gewünscht, dass es eine offenere Kommunikationspolitik gegeben hätte. Aber in früheren Synoden gab es leider, typischerweise von ausgesprochen Rechts, massive Attacken von Synodenteilnehmern gegen andere.
Das wollte Papst Franziskus auf jeden Fall vermeiden. Deswegen hat vielleicht das Pendel etwas zu stark in die andere Richtung ausgeschlagen. Der Papst war aber selber überrascht, dass sich alle an die Regeln so streng gehalten haben.
Mir war wichtig: Ich plaudere nichts aus, es wird hier niemand vorgeführt, ich zitiere nichts aus der Synoden-Aula, so wie es vereinbart gewesen ist. Mir war allerdings auch wichtig, dass die Synode ein weltweiter Prozess ist. Da sind sehr viele Menschen beteiligt. Es ist ein buntes Bild, es ist eine katholische UNO, die dort zusammenkommt. Und das hat so viele interessante Aspekte, dass ich meine, da sollte die Öffentlichkeit auch informiert sein.
Und zudem war mir wichtig, dass es ja Ergebnisse durch diese Gespräche im Geist in der Aula gibt. Die haben sehr viel Zeit gebraucht, dadurch hat es aber eine Art Bestandsaufnahme und eine vorsichtige Vision gegeben, die schließlich im Schlussdokument festgehalten worden ist, worin die Lösung bestehen könnte. Das Schlussdokument der Weltsynode ist ja ohnehin veröffentlicht worden. Das habe ich auch in meinem Buch dokumentiert und kommentiert. Aber durch diese SMS kann jetzt die Genese, und die war durchaus dramatisch, nacherzählt werden.
DOMRADIO.DE: Für manche ist bei der Synode gar nicht so viel herausgekommen, aber Sie schreiben zum Beispiel, dass sich 2023 schon einige gewundert haben, wie offen in der Generalversammlung über Probleme gesprochen wurde, die zuvor lange tabuisiert wurden. Was sind denn aus Ihrer persönlichen Sicht die Hauptfortschritte, die sich durch die Weltsynode ergeben haben?
Söding: Zum Beispiel, dass die katholische Kirche sich ehrlich gemacht hat! Allen Respekt vor dem Synodensekretariat, dass sie es im Vorfeld geschafft hatten, diese weltweite Befragung der Gläubigen mit zehn Fragen durchzuführen. Die Fragen waren zwar so verklausuliert formuliert, dass man sie drei Mal lesen musste, um sie genau zu verstehen, aber die Antworten haben deutlich gemacht: Die katholische Kirche hat weltweit ein Problem mit dem sogenannten "Klerikalismus", das heißt mit einem übersteigerten Priesterbild.
Die katholische Kirche braucht Priester, das ist gar keine Frage, sie sind grundlegend für das Verständnis der katholischen Kirche. Aber: diese "heiligen" Männer aufs Podest zu stellen, ist offensichtlich weltweit ein Problem und dass darüber offen gesprochen werden konnte, fand ich sehr aufschlussreich.
Zweitens: Die katholische Kirche hat weltweit ein Problem mit mangelnden Frauenrechten, da hat sich in den vergangenen 20, 30 Jahren enorm viel an Kompetenz und Anspruch entwickelt, nicht zuletzt auch, weltweit gesehen, durch die Orden. Diese Entwicklung wird durch die gegenwärtige Verfassung der katholischen Kirche nicht hinreichend abgebildet. Das Problem ist identifiziert worden; Respekt, dass das auf der Synode so deutlich geworden ist. Auch wenn hierzulande den meisten die Lösungsansätze bei weitem nicht ausreichen.
Der schwierigste Punkt für viele war die Frage, wie Menschen ihre Sexualität leben - weltweit, nicht nur im Norden oder im Westen. Dass das eben vielfach nicht in Übereinstimmung mit dem steht, was der Katechismus schreibt, aber auf Überzeugung beruht. Diese Menschen fühlen sich der Kirche zugehörig, die Kirche will eine inklusive Kirche sein. Da entsteht eine große Spannung und dass diese Spannung aufgedeckt worden ist und dass sie in einen Prozess hineingeführt hat, der jetzt auch zu einem Ergebnis führen kann, das ist gut.
Ich persönlich halte die Anregungen der Weltsynode weder für harmlos noch für diffus. Sie sind sehr klar, sie bedeuten mehr Transparenz, mehr Kontrolle, mehr Rechenschaftspflichten, Änderungen des Kirchenrechtes, das hätte vor fünf Jahren kaum jemand gedacht.
DOMRADIO.DE: Während Ihr Buch entstanden ist, starb Papst Franziskus. Sie haben den damaligen Kardinal Robert Prevost kennengelernt in Rom. Welchen Eindruck hat er auf Sie gemacht und welche Rolle hat er damals eingenommen?
Söding: Ich habe ihn als aktives Mitglied dieser Weltsynode kennengelernt. Ich habe ihnen kennengelernt als den einzigen Kardinal, der an einem der theologisch-pastoralen Workshops öffentlich in Erscheinung getreten ist und sich der Diskussion gestellt hat.
Ich sage nicht, dass das andere nicht auch gekonnt hätten, aber er hat es eben getan, und zwar auf eine sehr kluge Art und Weise. Es ging um die Frage von Einheit und Vielfalt der Kirche, das ist eine der Schlüsselfragen der Synode. Mir war aufgefallen – und das finde ich bis heute sehr klug und positiv – dass er sich nicht auf die hoch emotionalisierten Debatten gestürzt hat, ob es zum Beispiel Genderideologie gibt, oder auf solche anthropologischen Fragen, bei denen die Theologie normalerweise klug beraten ist, sich zurückzuhalten, weil die Medizin, die Biologie, die Psychologie ein Wörtchen mitzureden hat.
Stattdessen hat er sich auf die Bibel bezogen, auf die Grundbeschreibung der Apostelgeschichte, in der steht: "Sie hielten fest an der Lehre der Apostel, sie hielten fest an die Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten." Das hat er nicht nostalgisch entwickelt, sondern er hat genau das gemacht, wovon ich persönlich auch zutiefst überzeugt bin, nämlich, dass wir über das reden müssen, was uns wirklich zusammenhält in der weltweiten Kirche. Da werden viele dieser aufgeregten Schauplätze aus dem Zentrum an die Peripherie der Debatte gedrückt. Im Mittelpunkt steht der Glaube.
DOMRADIO.DE: Sie schreiben, dass die Synodalität der Kirche nicht mit dem Tod von Papst Franziskus wieder untergehen darf. Wie hoffnungsvoll sind Sie, dass sich die Synodalität unter Papst Leo weiterhin gut entwickeln wird?
Söding: Diese Synodalität als Idee, als Konzept, als geistliche Bewegung ist eine Antwort auf eine tiefe Krise der katholischen Kirche. Diese tiefe Krise besteht darin, dass die katholische Kirche wichtige Verschiebungen, die es im Kirchenvolk gegeben hat, bislang nicht hinreichend aufgenommen hat.
Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat sich das kirchliche Gesetzbuch sehr stark auf die Autorität von Bischöfen konzentriert und hat nicht in gleicher Weise nach dem Motto: "starker Bischof, starke Gemeinde" die Rechte des Kirchenvolkes thematisiert. Das wird jetzt nachgeholt. Das ist ein Druck, der der Realität geschuldet ist.
Zum anderen war es aber auch so, dass Franziskus bis in seine letzten Tage, noch aus dem Krankenhaus heraus, mit dem zuständigen Kardinal Mario Grech überlegt hat, wie der Prozess nachhaltig werden kann, zunächst bis 2028. Und da war es sehr wichtig, dass Leo XIV. als neuer Papst ohne Wenn und Aber gesagt hat: "Diesen Weg gehen wir weiter. Das ist auch mein Prozess, das ist der Zukunftsweg der katholischen Kirche." Ich bin davon überzeugt, dass Leo als Papst es so halten wird, weil er auch in seiner Zeit vor der Wahl genau in derselben Weise gesprochen hat.
DOMRADIO.DE: Sie haben schon eine wichtige Jahreszahl genannt, nämlich 2028. Da soll es zu einer Art Abschluss kommen mit einer allgemeinen kirchlichen Versammlung. Was sollte denn bis dahin aus Ihrer Sicht auch vor Ort passieren, damit die Kirche synodaler wird und damit auch besser die Botschaft Jesu verkünden kann?
Söding: Das ist die Schlüsselfrage, die Sie stellen, weil es sicherlich nicht einfach einen Masterplan für die römisch-katholische Weltkirche gibt, aber es muss eine gemeinsame Richtung geben und man darf sich auf dem gemeinsamen Weg nicht aus den Augen verlieren. Ich spiele es jetzt auf Deutschland zurück. Deutschland ist ja sehr weit in der Konzeption eines synodalen Weges. Die Schnittmengen mit dem, was die Weltsynode beschlossen hat, sind sehr groß.
Von daher ist es jetzt wichtig, dass in Deutschland die Hausaufgaben gemacht werden. Und das heißt, dass es ab 2026, so ist unser Fahrplan, eine Synodalkonferenz auf der Bundesebene gibt. Und dass in vielen Bistümern die synodalen Reformprozesse weitergeführt werden, sodass ein Erfahrungsschatz angesammelt wird, und wir den dann 2028 auch in dieses weltkirchliche Ereignis, in die Kirchenversammlung, einbringen können.
Wir denken nicht, dass wir hin Deutschland das beste Modell für die ganze Welt haben. Aber wir reagieren verantwortlich auf unsere Situation und konkretisieren das Grundprinzip katholischer Synodalität.
Das Interview führte Mathias Peter.
Tipp der Redaktion: Thomas Söding: Wohin will die katholische Kirche?: Die Weltsynode und Papst Leo XIV., Matthias-Grünewald-Verlag, 584 Seiten, 42 Euro, ISBN: 9783786733997