DOMRADIO.DE: Warum faszinieren uns Wunderlegenden auf dem Jakobsweg bis heute so sehr?
Beate Steger (Autorin und Pilgerexpertin): Einmal stellt das die Verbindung her zu den Pilgerinnen und Pilgern von früher. Und das ist ja jetzt zum Beispiel gerade auf den Jakobswegen so schön und das betonen auch viele, die da waren oder die da unterwegs sein wollen, dass man diese Verbindung spürt zu denen, die schon im frühen Mittelalter da gelaufen sind.
Das ist so, weil es diese Legenden schon so lange gibt. Zum Beispiel die bei Muxia, das ist Richtung "Ende der Welt", bei Finisterre. Nach Muxia kann man noch nach der Ankunft in Santiago hinlaufen. Und in Muxia gibt es auch so eine besondere Legende, da waren die mittelalterlichen Pilger auch schon gewesen. Das verbindet und man hat dann immer wieder Momente des Innehaltens und etwas Besonderes, auch wenn das vielleicht gar nicht wahr gewesen sein kann.
DOMRADIO.DE: Sie haben sich intensiv mit Geschichten rund um Pilgerwege und genauer gesagt um den Jakobsweg beschäftigt. Haben Sie da eine persönliche Lieblingslegende?
Steger: Die in Muxia gefällt mir wirklich gut, obwohl sie natürlich schon sehr besonders ist, aber das ist ja in der Kirche oft so, dass es Legenden oder Geschichten gibt, wo man denkt, ob das wirklich stattgefunden hat.
Laut der Legende soll der Apostel Jakobus auf der iberischen Halbinsel gepredigt haben und er wäre wohl sehr demotiviert gewesen, denn die Leute wollten nicht so, wie er wollte. Es war alles nicht so toll. Und er war dann schon kurz davor aufzugeben. Dann sei ihm die Gottesmutter Maria erschienen, und die sei in einem steinernen Boot übers Wasser gekommen und habe ihn dazu gebracht weiterzumachen.
In Muxia gibt es eine Wallfahrtskirche, das Heiligtum der Virgen de la Barca.
Dort gibt es magische Steine. Da sagt man eben, das wären die Steine aus denen das Boot der Gottesmutter bestanden hat. Der eine Stein wird dem Rumpf zugeordnet, der andere Stein war das steinerne Segel und die haben dann auch noch Heilkräfte. Wenn man zum Beispiel unter den Stein geht, der dem Rumpf zugeordnet wird, wäre man von seinen Nierenleiden praktisch sofort genesen. Also so was finde ich schon eine schöne Sache vor allen Dingen die Steine sehen da auch gut aus.
DOMRADIO.DE: Zu den bekanntesten Geschichten des Jakobswegs gehört das Hühnerwunder. Was genau macht denn diese Legende so besonders?
Steger: Also das Hühnerwunder ist insofern besonders, als da ein unschuldiger Mann vor dem Tode bewahrt wurde.
Auf dem Weg nach Santiago nächtigte eine deutsche Familie in Santo Domingo. Die Tochter des Wirtes verliebte sich in den Sohn, wurde aber abgewiesen – aus Rache versteckte sie einen silbernen Becher in seinem Gepäck. Der junge Mann wurde verurteilt und gehängt. Seine Eltern pilgerten in Trauer und Gebet weiter. Auf dem Rückweg hörten sie seine Stimme vom Galgen: Santiago habe ihn am Leben erhalten.
Als sie dem Richter davon berichteten, glaubte er ihnen nicht. Er sagte: "Eure Geschichte kann so wenig wahr sein und euer Sohn so wenig lebendig wie diese frisch gebratenen Hahn und Henne auf meinem Teller wieder lebendig werden." Da flattert das bereits gerupfte Federvieh auf, und laut krähend bekräftigt der Hahn die Wahrheit. Statt des Unschuldigen wird die Magd gehenkt.
Dieses Hühnerwunder kann man überall wiedersehen auf den Jakobswegen, zum einen natürlich in Santo Domingo de la Calzada, auf dem Jakobsweg, dem Camino Francés, dem Hauptweg in Spanien, wo es stattgefunden haben soll. Da werden sogar zwei weiße Hühner in der Kathedrale gehalten, aber man kann es auch überall in deutschen Kirchen sehen oder auch in Österreich oder in der Schweiz.
Überall findet man da Spuren davon, dass an Altären beispielsweise dieses Hühnerwunder abgebildet ist, ganz besonders schön in Winnenden in der Jakobskirche. Das ist dann ein Holzaltar und da sieht man auch besonders schön, wie der Jakobus neben diesem jungen Mann steht und ihn stützt. Also man kann sich so auf Spurensuche begeben.
DOMRADIO.DE: Und wo wir so von Wunderlegenden sprechen, gibt es denn auch eine Pilgererfahrung oder ein Moment, in dem Sie selbst so etwas auch wie ein Wunder erlebt haben?
Steger: Wunder erlebt man auf dem Jakobsweg oder auf Pilgerwegen, wenn man offen dafür ist, immer wieder. Ich war zum Beispiel auf der Via Regia, auf dem ökumenischen Pilgerweg, das ist in den östlichen Bundesländern in Deutschland. Da waren wir in einem Ort, da gab es nichts zu essen. Dann habe ich da ein Pilger-Ehepaar getroffen, das schon ganz viel gepilgert ist.
Dann hat irgendjemand einen Zettel rausgekramt und hat gesagt, dass es da einen Pizzadienst gibt. Das ist zwar eine ganz profane Geschichte, aber das ist auch irgendwie ein Wunder.
Ein anderes Beispiel: Ich hatte geplant, eine Unterkunft in Burgos zu nehmen. Ich bin da an diesem Tag über 40 Kilometer gelaufen und habe es nicht mehr durch Burgos geschafft, wo am anderen Ende der Stadt die Pilgerherberge war. Und dann hat mich da eine Frau aufgegabelt und hat gemerkt, dass ich da kaum noch aufrecht war und hat mir gesagt, dass sie ein Gästezimmer zu vermieten habe. Und ich könne gleich hier in die Haustür reingehen und ich musste nicht mehr weitergehen. Also das sind für mich alles auch Wunder.
Das Interview führte Annika Weiler.