Pilgerwegbegleiterin berichtet von ihren Erfahrungen

"Alle sind wir vor Gott gleich"

Barbara Walther ist Pilgerwegbegleiterin und Ehe-, Familien- und Lebensberaterin aus dem Bistum Hildesheim. Im Interview spricht sie über Beweggründe fürs Pilgern und warum sie das 15 Jahre lang mit ihrem Ehemann angeboten hat.

Symbolbild Pilgern / © nataliafrei (shutterstock)

Der Text ist ein Ausschnitt des gesamten Gesprächs.

Himmelklar: Das prominenteste Ziel ist wohl Santiago de Compostela, aber auch direkt vor der eigenen Haustür findet man meistens schon ein Stück des Jakobswegs, wie man am Muschel-Symbol erkennt, der Jakobsmuschel. Sie pilgern aus Ihrem Glauben heraus. Es gibt zahlreiche Pilgerwege, Sie sind schon viel in Wanderschuhen und mit dem Rucksack auf dem Rücken unterwegs gewesen – vor allem in Norddeutschland.

Barbara Walther / © A. Brauns (bihi)
Barbara Walther / © A. Brauns ( bihi )

Barbara Walther (Pilgerwegbegleiterin und Dipl. Ehe-, Familien- und Lebensberaterin): Ja, wir sind hier in der Lüneburger Heide unterwegs. In dem Jahr, als wir die Ausbildung machten, wurden hier die Wege neu ausgeschildert. Mein Mann war sogar dabei und hat die Muschelzeichen geklebt und mit der Sprühdose diese Wegmarken gesetzt. Wir hatten eine wunderbare Kooperation mit der Tourist-Info in der Lüneburger Heide, die hatten eine Sparte und eine sehr nette Frau hat uns immer wieder die Neuigkeiten erzählt, wo wieder ein neuer Abschnitt ist.

Wir hatten das große Glück, dass das Bistum Hildesheim uns auch unterstützt hat. Die Arbeitsstelle für pastorale Bildung hat gesagt: "Ihr macht das, das ist toll. Wir machen euch die Flyer, wir unterstützen euch." Das war eine große Erleichterung, dass wir hier in der Umgebung sein konnten.

Wir hatten anfangs natürlich weniger Teilnehmer, das muss sich ja immer erst ein bisschen etablieren, aber dann hatten wir wirklich viele Teilnehmer. Ich würde sagen, im Laufe der 15 Jahre waren es vielleicht 400 Menschen, die im Laufe dieser langen Zeit mit uns gegangen sind. Es gab auch viele Menschen, die immer wieder mitgegangen sind, weil sie sagen, "Das tut uns so gut", und daraus sind Freundschaften entstanden und auch Weggemeinschaften, die sich dann untereinander getroffen haben und Wege gegangen sind, beispielsweise aus Süddeutschland und aus der Schweiz.

Es waren viele schöne Begegnungen und dadurch hat es eine Tiefe bekommen, auch durch den Glauben. Wir haben nicht gesagt, "Ihr müsst glauben, wenn ihr mit uns geht", aber "Ihr werdet erleben, es wird sich etwas verändern in eurem Leben".

Wenn wir uns getroffen haben, sind wir mit einer kleinen spirituellen Einheit am Anfang gestartet. Ich habe Muschel und Stab erklärt, den hatten wir auch immer dabei. Die kleine Muschel ist ja etwas Wunderschönes, darin wächst die Perle, aber auch nur, wenn die Muschelhaut verletzt wird: Dann kann ein Sandkorn eindringen und daraus entsteht die Perle. Und so ist es mit unserem Leben, wenn wir in Gottes Hand geborgen sind, werden wir zur Perle. Das ist, finde ich, ein wunderschönes Symbol.

Ich habe dann immer gesagt, die Muschel ist so etwas wie ein Schöpfgefäß. Früher hatten die Pilger ja keinen Löffel, sie haben Suppe gegessen, wo sie eingeladen wurden, mit der Muschel. Sie konnten aus flachen Pfützen Wasser trinken. Und sie hatten so immer das Gefühl: Ich bin geborgen, so wie eine Perle in Gottes Hand bin ich geborgen.

Die Muschel hat eine unglaubliche Symbolik. Es gibt diesen schönen Satz: Alles, was in eine Muschel passt, das genügt, aber vergiss das Schöpfen nicht.

Dieses Schöpfen aus Gottes Liebe, da reicht manchmal nur ein bisschen. Ein bisschen schöpfen jeden Tag, Stille und Ruhe finden, macht was mit dem Menschen. Das habe ich bei der Begleitung der Menschen auf dem Weg gemerkt, auch hier vor der Haustür.

Himmelklar: Sie pilgern gemeinsam mit Ihrem Mann nicht einfach aus einem sportlichen Antrieb heraus. Da steckt auch ganz viel Glaube von Ihnen mit drin. Sprechen Sie auch unterwegs auf dem Pilgerweg mit den Menschen über deren Glauben? Ist das ein fester Bestandteil?

Walther: Ich würde sagen, das ergibt sich. Wir machen, wenn wir uns zu dem Wochenende oder zu den Pilgertagen treffen, keine Vorstellungsrunden. Das entlastet die Menschen unglaublich, weil sie einfach so da sein können, wie sie sind, mit ihrem Namen, manchmal noch damit, wo sie herkommen. Aber mehr wissen wir von diesen Menschen nicht. Und dann sage ich immer: "Es ist jeder richtig so, wie er ist. Alle sind wir vor Gott gleich. Und ihr habt bestimmt alle was im Herzen, sonst wärt ihr nicht hier."

Dann lässt man sie einfach viel in der Stille laufen und beim Gehen kommen sie mit sich selbst ins Gespräch und kommen irgendwann an einen Punkt, wo sie spüren, da muss noch etwas anderes sein.
Damals, als wir anfingen zu pilgern, gab es dieses Buch von Hape Kerkeling noch nicht, der hat das 2006 geschrieben. Er schrieb, "Ich bin dann mal weg". Ich sage immer, es nutzt nichts, wenn ich weg bin. Es ist entscheidend, wie ich wieder zurückkomme. Denn wenn ich mal weg war, kann ich nicht wegbleiben, das macht keinen Sinn. Wir müssen zurück oder wir wollen zurück.

Das ist so schön, wenn ich mir freiwillig Auszeiten nehme. Es geht auch um Freiwilligkeit, es ist wie beim Glauben. Das kann man nicht verordnen. Wenn jemand sagt, ich möchte pilgern, dann hat er eine Sehnsucht in sich. Dann nimmt er Abstand vom Alltag. Und mit Abstand sieht man die Dinge viel besser. Gehen Sie mal in ein Museum, stellen Sie sich so vor ein Bild, sehen Sie nichts. Gehen Sie einen Schritt zurück, dann sagen Sie: "Oh, das Bild ist ja wunderbar."

So ist es mit mir selbst. Wenn ich von mir selber Abstand gewinne oder von meinem Alltag, dann komme ich mit mir selbst wieder stärker und tiefer in Berührung. Das ist ja ein Phänomen.

Karl Valentin hat mal gesagt, "Heute möchte ich mich besuchen, mal schauen, ob ich auch zu Hause bin." Das ist beim Pilgern wunderbar, denn wir lernen uns kennen und lernen uns auch besser verstehen. Es bewegt sich etwas. Man kann Rückschau halten, man kann Ausblick halten und jeder Schritt bringt uns näher zu uns selbst.

Das ist etwas Wunderbares und eine Zeit, die wertvoll ist. Die Stille ist der Arbeitsplatz Gottes. In der Stille komme ich mit Gott in Berührung.

Himmelklar: Die katholische Kirche verändert sich in Ihrer Ausrichtung auch dann, wenn es ein neues Oberhaupt gibt. Bei der Wahl eines neuen Papstes ist es spannend zu beobachten, wohin es gehen wird. Sie haben das beobachtet. Wie groß sind Ihre Erwartungen an Leo XIV.?

Walther: Ja, das ist eine spannende Frage. Ich habe das alles verfolgt. Wir hatten Diözesanrat, als die Beisetzung von Franziskus war. Wir haben die Sitzung unterbrochen, haben das gesehen und die ganze Welt hat Anteil genommen. Die ganze Welt war auch gespannt, was da denn jetzt Neues passiert.

Schon alleine das finde ich Wahnsinn, wie die Kirche plötzlich durch einen Wechsel an der Spitze in der ganzen Welt so viel Interesse weckt. Da war ja alles da, was Rang und Namen hatte. Das Interesse an der Kirche ist groß, und wir haben eine große Verantwortung als Christen. Wir sollen Hoffnungsträger und Friedensstifter sein. Leo XIV. hat bei seiner ersten Messe gesagt, er stehe zitternd und ehrfürchtig da. Und er sagte, "Friede sei mit euch" – das ist sein Motto.

Ich habe das Gefühl, dass er das unheimlich ehrfürchtig tut. Er ist nicht so ein Medien-Typ, glaube ich. Ich weiß es nicht, ich kenne ihn ja gar nicht, aber das ist ein Gefühl, das ich habe. Wie er auf seinen Fischerring guckt und wie er sich die Hände auf die Brust legt, das ist ein berührender Moment gewesen. Da habe ich gedacht, dass dieser Hirte seine Schäfchen hoffentlich zusammenführen wird. Das ist ja sein großer Auftrag, die Einheit der Kirche wiederherzustellen, dass wir als Kirche auch der Welt helfen können. Wir Christen haben ja einen Auftrag von Gott: Geht in die Welt, verkündet das Evangelium und tut es in Liebe. Und das verkörpert er für mich.

Ich mochte Franziskus auch, weil er einfach so ein herziger Papst war. Aber Leo hat gesagt, das macht er nicht, er ist in einer anderen Haltung unterwegs. Das unterscheidet ihn schon von seinem Vorgänger. Aber nach dem, was er sagt, wird er in den Schuhen von Franziskus weitergehen, was die erste Schöpfungsenzyklika "Laudato si" betrifft. Das ist für ihn wichtig. Klima, Naturschutz, Schöpfung – das wird er weiterverfolgen.

Ich denke aber auch, er ist ein Teamplayer, kein Einzelkämpfer. Franziskus rannte ja manchmal in die Stadt und keiner wusste, wo er hin ist. Das macht, glaube ich, Leo nicht. Bei Leo wissen die Leute, wo er ist und er delegiert, er will sprechen und er macht solche Alleingänge nicht, würde ich sagen.

Er mischt sich ein, wenn es brenzlig wird. Ich habe große Hoffnung in Leo. Er ist ein Amerikaner, der erste Amerikaner auf dem Stuhl Petri. Das finde ich total spannend. Jetzt in der Zeit, wo wir da einen anderen Amerikaner haben – das ist irgendwie eine Fügung. Der liebe Gott tut ja nichts als Fügen. Das ist meine Ansicht.

Auch die Welt hat Hoffnung in Leo. Und die Welt hat Hoffnung in uns Christen, die wir hier in unserem Alltag immer wieder leben oder davon inspiriert sein müssen. 

Dieses Heilige Jahr, das Franziskus ausgerufen hat, Pilger der Hoffnung zu sein, ist eine ganz wichtige Botschaft und wir nehmen das weltweit und auch hier in Deutschland sehr ernst.

Vom Bistum haben wir im Oktober mit unserem Bischof Heiner Wilmer eine Pilgerwanderung nach Rom vor, weil wir uns selber im Glauben stärken wollen. Diese Gemeinschaft miteinander zu erleben, im Gehen und im gemeinsamen Glauben und im gemeinsamen Beten und Ringen und Suchen, ist ein wahnsinniges Geschenk.

Das macht so viel mit mir. Ich bin eine Jesuanerin, für mich ist Jesus Christus mein Wegbegleiter. An ihm versuche ich mich zu orientieren. Und er ist nicht in einem Palast geboren, sondern er ist in Armut geboren, in einer Patchwork-Familie, sage ich mal ein bisschen salopp.

Das erzähle ich auch in der Beratung: Ich sage nicht, Jesus Christus ist ein Superman, sondern er ist ein Mensch gewesen, ein Begleiter, der mit uns geht und uns den Weg zeigt. Das ist etwas unglaublich Schönes.

Himmelklar: Wenn Sie diesen Herbst nach Rom pilgern werden, treffen Sie vielleicht sogar Papst Leo XIV.

Walther: Es ist auf dem Programm, dass wir, ich nehme an, auf dem Petersplatz eine Mittwochsaudienz miterleben werden als Pilgergruppe aus dem Bistum Hildesheim. Ich bin sehr gespannt und wir machen ganz viele schöne Sachen. Unser Bischof ist dabei, das haben wir im Godehardjahr schon gemacht. Unser Bischof ist auch ein guter Hirte. Ich arbeite mit ihm im Diözesanpastoralrat eng zusammen, was schön ist.

Wir haben auch etwas zu sagen, das hat sich verändert in der Kirche, dass die Gremien anders aufgestellt sind, dass die Laien auch eine wertvolle Stimme haben. Dass wir zusammenarbeiten, ist wunderbar, wir sind ein unglaublich gemischtes Team. Wir sind geschwisterlich unterwegs und haben das Gefühl, wir sind miteinander auf einem guten Weg.

Himmelklar: In Ihrer Diözese machen Sie diese gute Erfahrung. Was würden Sie sich insgesamt in der katholischen Kirche wünschen? Wohin soll Papst Leo XIV. die Kirche führen und wo sollen sich die Katholikinnen und Katholiken hinbewegen?

Walther: Ich habe zwei Seelen in meiner Brust. Auf der einen Seite möchte ich natürlich gerne, dass der Glaube im Vordergrund steht, dass die Verkündigung des Evangeliums, das, was Gott uns aufgetragen hat und was Jesus uns vorgelebt hat, im Vordergrund steht.

Wir müssen aber auch Menschen sein. Wir müssen unsere Verantwortung übernehmen. Wir müssen versöhnungsbereit sein. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen, sage ich ein bisschen vorsichtig. – Wir müssen die Dinge ansprechen und wir müssen auf die Menschen zugehen, denen wir wehgetan haben.

Das passiert im Kleinen, das merke ich, es gibt Versöhnungsprozesse in der Beratung, in der Familie. Diese Prozesse müssen wir in der Kirche anstoßen. Nicht nur bei uns in der Diözese Hildesheim, sondern auch in allen Diözesen und weltweit. Wir sind die Institution mit dem höchsten moralischen Anspruch. Dann ist es auch an uns zu sagen: Das müssen wir klären.

Wir müssen uns stellen, damit wir wieder glaubwürdig werden. Denn wir können nicht glaubwürdig sein, wenn wir nicht versöhnt leben können mit den Menschen, denen wir wehgetan haben. Das ist ganz wichtig.

Wir müssen aber auch vergeben können und barmherzig sein. Das ist die andere Seite. Ich glaube, in dieser Spannung befinden wir uns immer wieder als Christinnen und Christen. Auf der einen Seite wollen wir ja barmherzig sein, auf der anderen Seite müssen wir aber auch hingucken – und das ist eine unheimliche Gratwanderung. Deswegen ist auch jeder, der sich Christ nennt, gefordert, mutig zu sein, die Stimme zu erheben und sich einzusetzen für Frieden und Gerechtigkeit. Und für die Schöpfung natürlich ist das Wichtigste, dass unsere Kinder und Enkelkinder ein gutes Leben haben.

Das Interview führte Katharina Geiger.

Himmelklar: Der katholische Podcast

Kirche? Was hat die mir im 21. Jahrhundert überhaupt noch zu sagen? Viel. Schönes wie Schlechtes, Relevantes wie Banales, Lustiges und Wichtiges. Wir stellen euch jede Woche Menschen vor, die heute Kirche bewegen. Bischöfe, Politiker, Promis und Laien – Wir reden mit den Menschen aus Kirche und Gesellschaft, über die die katholische Welt spricht und fragen sie: Was bringt euch Hoffnung?

Himmelklar (DR)
Himmelklar / ( DR )
Quelle:
DR

Die domradio- und Medienstiftung

Unterstützen Sie lebendigen katholischen Journalismus!

Mit Ihrer Spende können wir christlichen Werten eine Stimme geben, damit sie auch in einer säkulareren Gesellschaft gehört werden können. Neben journalistischen Projekten fördern wir Gottesdienstübertragungen und bauen über unsere Kanäle eine christliche Community auf. Unterstützen Sie DOMRADIO.DE und helfen Sie uns, hochwertigen und lebendigen katholischen Journalismus für alle zugänglich zu machen!

Hier geht es zur Stiftung!