In einem Krankenhaus in Bogotá kämpfen die Ärzte um das Leben von Miguel Uribe Turbay. Eine Gehirnblutung machte wenige Tage nach dem Attentat auf den möglichen Präsidentschaftskandidaten der kolumbianischen Rechten eine Notoperation notwendig. Es sieht nicht gut aus für den 39 Jahre alten Politiker, der als das kommende Gesicht der Konservativen galt. Die Klinik nennt seinen Zustand extrem kritisch. Selbst wenn Uribe Turbay überleben sollte, ist ungewiss, ob und in welchem Zustand der bei einer Wahlkampfveranstaltung in Bogotá niedergeschossene Konservative jemals wieder auf die politische Bühne zurückkehren wird.
Am Sonntag drückten fast 100.000 Menschen in Kolumbien bei einem "Marsch des Schweigens" ihre Solidarität mit Uribe Turbay aus. Der Fall weckt dunkelste Erinnerungen. Uribes Mutter, die Journalistin Diana Turbay, wurde 1990 von Auftragskillern des legendären Drogenbarons Pablo Escobar entführt. Sie lockten die Reporterin mit dem falschen Versprechen eines Interviews in die Falle. Wenige Wochen später kam sie bei einer Befreiungsaktion unter bis heute nicht ganz geklärten Umständen ums Leben.
Präsident streitet mit Kongress
"Es ist schwer, ohne Mama aufzuwachsen. Aber dieses Schicksal teile ich mit so vielen Kolumbianern, deren Mutter oder Vater von der Gewalt aus dem Leben gerissen wurde", sagte Uribe einmal in einem Interview. Am Tag der Ermordung seiner Mutter war er vier Jahre alt.
Der Fall bewegt auch heute noch die Kolumbianer, weil er sich ins nationale Gedächtnis eingebrannt hat. Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez (1927-2014) beschrieb das Martyrium der Journalistin in seinem Buch "Nachricht von einer Entführung". In jüngerer Geschichte beschäftigte sich die Netflix-Serie "Narcos" mit der Tragödie.
Die Schüsse auf Uribe Turbay fielen inmitten einer extrem angespannten innenpolitischen Lage. Kolumbiens linker Präsident Gustavo Petro hat in den Umfragen eine Ablehnungsrate von über 65 Prozent erreicht. Mit dem Kongress liegt er im Clinch, weil dieser seine Arbeitsrechtsreform durchfallen ließ und Petro nun per Dekret eine Volksbefragung durchsetzen will - obwohl die demokratisch gewählten Institutionen das ablehnen.
Zuletzt brachte das Petro-Lager sogar eine "verfassungsgebende Versammlung des Volkes" ins Spiel, die Petro im Wahlkampf ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Die Opposition wittert "venezolanische Verhältnisse" und den Versuch, die Institutionen des Staates auszuhebeln.
Bischöfe schlagen Alarm
Hinzu kommen rhetorische Angriffe Petros auf die Opposition, die er bisweilen übel beschimpft. Die Opposition wiederum nutzt ihre starke Position im Kongress, um Reformbemühungen des Präsidenten zu blockieren. Auch aus diesen Reihen kommen bisweilen heftige verbale Attacken.
In dieser Gemengelage rief die katholische Kirche die Spitzen der Gewalten zu einem Vermittlungsgespräch. Eingeladen hatte Erzbischof Francisco Múnera, der Präsident der Kolumbianischen Bischofskonferenz. Tatsächlich gelang es der Kirche, Präsident Petro und Parlamentspräsident Efraín Cepeda an einen Tisch zu setzen, die sich seit Wochen verbale Scharmützel liefern.
Vorangegangen war der Aufruf des kolumbianischen Kardinals Rueda aus "Lethargie" und "Egoismus" zu erwachen. Aus vielen Landesteilen melden Bischöfe und Geistliche einen Rückfall in schlimmste Gewaltzeiten mit Vertreibungen und Gemetzeln. Nahezu an jedem zweiten Tag wird irgendwo in Kolumbien ein politischer Mord begangen.
Nicht die erste kirchliche Initiative
Die Vermittlungsinitiative in der politischen Krise ist einer von mehreren Vorstößen, mit denen die Kirche versucht, die gesellschaftliche Lage in Kolumbien zu beruhigen. Bei Geiselnahmen bewaffneter Banden versucht sie, eine humanitäre Lösung zu finden. Bei Friedensgesprächen zwischen Staat und verschiedenen bewaffneten Gruppen sitzt sie als Beobachter am Tisch.
Sind die Fronten wie zurzeit festgefahren, ist es meist die Kirche, die versucht Bewegung hineinzubringen. Das Portal "Las2Orillas" kommentierte in dieser Woche, Erzbischof Múnera sei das Unmögliche
gelungen: die politischen Intimfeinde Petro und Cepeda an einen Tisch zu bringen. Was daraus wird, bleibt abzuwarten. Wenn in Kolumbien politisch gar nichts mehr geht, schlägt die Stunde der Kirche.