Kindersoldatenprojekt in Kolumbien setzt sich für Jugendliche ein

"Weg aus der Gewalt"

Milizen und paramilitärische Gruppen in Kolumbien rekrutieren seit langer Zeit viele junge Mädchen und Jungen als Kindersoldatinnen. Sie mussten in ihrem Leben töten, wurden missbraucht und aus der Gesellschaft gerissen.

Die Hand eines Kindes nimmt ein automatisches Gewehr mit Waffen vom Tisch. Nahaufnahme. / © ya_create (shutterstock)
Die Hand eines Kindes nimmt ein automatisches Gewehr mit Waffen vom Tisch. Nahaufnahme. / © ya_create ( shutterstock )

Beige hohe Mauern, darüber Stacheldraht prägen das Bild. Die Mauern umzäunen ein Gelände inmitten der Stadt Medellín in Kolumbien. Langsam öffnet sich das Metalltor zu einem Besuch bei einer Einrichtung von der Ciudad Don Bosco zum Schutz von ehemaligen Kindersoldaten. 

Drinnen ist es schlicht eingerichtet, die Mauern sind kahl, es hängen keine Bilder an den Wänden. Von einer Terrasse kann man über die Stadt blicken. Man sieht ein Meer aus unendlich vielen Häusern. Früh am Morgen sitzen nur ein paar Jugendliche auf ein paar Bänken und unterhalten sich leise. Anders als in einem Jugendzentrum wirkt die Stimmung eher gedrückt.

Es gibt einen kleinen Frühstückssnack. Die Jugendlichen stehen in einer Reihe und holen sich ihr Essen: eine Mandarine, einen kleinen Joghurt und ein süßes Brot. 

Nach dem Frühstück beginnt der Unterricht. Viele Jugendliche bevölkern einen großen Raum, es gibt mehr Jugendliche als Plätze. Und so sitzen sie im Kreis um die Tische herum. Vorne an einer Tafel steht ein Lehrer und erklärt, wie man Lebensmittel richtig lagert und kühlt. Praktisches Wissen für den Alltag soll so vermittelt werden.

Manche hören aufmerksam zu, andere reden miteinander. Wieder andere stehen einfach auf und verlassen den Raum ohne Erklärung. Oft geschieht das, weil viele nicht einschätzen können, was wichtig ist und was nicht.

Traumatisierte Jugend

Die Jugendlichen sollen in der Einrichtung auf die Wiedereingliederung in die Gesellschaft vorbereitet werden, denn viele von ihnen sind traumatisiert. Viele von ihnen stehen unter Medikamenten, meist beruhigende Mittel, um sich besser kontrollieren zu können. Denn die seelischen Verletzungen sind tief. Als ehemalige Kindersoldaten haben sie Dinge erlebt, über die sie selbst lange nicht reden konnten. Dadurch leiden sie bis heute unter Schlafstörungen, Halluzinationen, Angstzuständen und sind dadurch in einem permanenten Alarmzustand. Fast alle Jugendlichen leiden an posttraumatischen Belastungsstörungen. Um sie zu schützen, sind in diesem Text alle Namen und geografischen Daten geändert.

Die meisten von ihnen wurden als Kinder von Guerilla-Gruppen rekrutiert. Diese Gruppen hatten einst den Anspruch, für Gerechtigkeit zu kämpfen. Kolumbiens ländliche Regionen waren lange von staatlicher Unterstützung abgeschnitten. Es gab auf dem Land keine Bildung, keine medizinische Versorgung und kaum Perspektiven. Die Guerilla versprach Veränderung und wollte gegen diese Ungerechtigkeit kämpfen. Doch dieser Kampf für Gerechtigkeit wurde über die Jahre zum Kampf um Drogen, Macht und Territorien. Heute kämpfen die bewaffneten Gruppen nicht mehr für Ideale, sondern für Einflusszonen und Gewinne. Junge Menschen werden so zu Spielfiguren in einem grausamen Spiel.

Nach dem Unterricht haben die Jugendlichen Freizeit. Mal gibt es pädagogisch begleitete Programme, mal sind sie einfach unter sich. Sie unterhalten sich, spielen und sitzen zusammen. Einer von ihnen erzählt seine Geschichte: Jose kommt vom Land. Mit 15 Jahren arbeitete er auf einer Finca. Immer wieder tauchten dort Mitglieder der Guerillagruppe FARC auf. Die Gruppe FARC heißt eigentlich F.A.R.C. -E.P., das ist die spanische Abkürzung für: "Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo", auf Deutsch übersetzt heißt das Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee.

Irgendwann fragte Jose aus Neugier, ob er sich ihnen anschließen dürfe. Sie sagten "Ja". Von da an gehörte er dazu. Er wurde einer Einheit zugewiesen, wohnte mit der Gruppe in einem Raum, bekam eine militärische Ausbildung.

Seine Hauptaufgabe nannte sich "Reinigung". Dabei sollte er Drogendealer aus Gebieten vertreiben und töten, vor allem wenn diese ohne Erlaubnis der FARC-Gruppe handelten. Bei einer dieser "Reinigungen" wurde er von der Polizei gefasst. Er war mit einem Freund Kaffee trinken gegangen. Die Polizei erkannte ihn an den typischen Militärstiefeln.

Don Bosco hilft

Lange schwieg Jose. Er dachte über sein Leben und seine Entscheidungen nach. Aber irgendwann sprach er offen und ehrlich. Das brachte ihn in das Schutzprogramm von Ciudad Don Bosco. Die NGO Don Bosco hilft jungen Menschen in Medellín (Kolumbien), den Kreislauf von Gewalt, Drogen und bewaffnetem Kampf hinter sich zu lassen.

Auch wenn seine Vergangenheit schwer auf ihm lastet, möchte er studieren und Arzt werden. Vor allem möchte er aber ein geregeltes Leben führen. Auch träumt er davon, zurück in sein Dorf zu gehen. Nicht, um wieder Teil der Guerilla zu werden, sondern um seiner Familie nahe zu sein.

Am späten Nachmittag gibt ein Lehrer Tanzunterricht. Die Jugendlichen lachen, konzentrieren sich, sind für einen Moment einfach Jugendliche. Unter ihnen ist Maribel. Sie war 14 Jahre alt, als sie sich der Guerillagruppe Pelusas (auf Deutsch "Fussel") anschloss. Ebenfalls freiwillig. Wie viele andere auch, hatte sie erlebt, was es bedeutet, wenn der Staat nicht hilft. In abgelegenen Regionen Kolumbiens springen häufig die Guerilla-Gruppen ein. Sie versorgen Kranke, helfen Familien in Not, geben Strukturen, wo es sonst keine gibt. Auch Maribel glaubte an die Ideale von Gerechtigkeit und besserer Versorgung.

Später wechselte sie zur Gruppe FARC. Acht Monate war sie dort. Sie absolvierte Kurse, lernte medizinische Grundlagen, wurde zur Krankenschwester ausgebildet, aber auch militärisch geschult. In der Gruppe war sie die Partnerin eines höheren und deutlich älteren Offiziers, behandelte verletzte Kämpfer, lebte mit der Truppe. Dann wurde sie von der Polizei gefasst. 

Nach einem langen Verfahren kam sie ins Schutzprogramm von Ciudad Don Bosco. Aber sicher ist sie damit nicht. Maribel gilt, so wie viele der Jugendlichen im Projekt, als sogenanntes "Militärobjekt". Das heißt, dass die Guerilla sie als Verräterin betrachtet. Immer wieder suchen Kämpfer ihre Mutter auf, fragen sie, wo sie sei. Würden sie Maribel finden, könnte sie aus Rache und aus Prinzip getötet werden und ebenso alle, die mit ihr unterwegs sind. Trotzdem gibt Maribel nicht auf. Sie möchte ihre Ausbildung zur Krankenschwester fortsetzen. Sie will helfen und nicht mehr kämpfen.

Mitarbeiter werden bedroht

Alle Jugendliche und auch die Mitarbeiter sind in ständiger Sorge und Gefahr. Einige der Mitarbeiter haben bereits Drohungen erhalten und haben beobachtet, wie bewaffnete Personen vor dem Projekt auftauchten. Die Krankenschwester Maria, die für das Projekt arbeitet, begleitet ab und zu Jugendliche in die Stadt. "Der schlimmste Moment war, als meine Mutter einen anonymen Anruf bekam, mit einer detaillierten Beschreibung, was ich anhabe und wo ich zu welcher Uhrzeit war. Ich war im Krankenhaus mit einem der Jugendlichen zu einer Routineuntersuchung. Mir gefror wirklich das Blut, denn meiner Mutter wurde gesagt, ich soll es lassen, bei diesen Kindern zu sein", erzählt Maria während sie Medizin in einer kleinen Vitrine sortiert. Ihr Büro ist winzig, etwa drei Quadratmeter groß. "Ich arbeite weiter für die Jugendlichen, in ihnen ist viel Potenzial. Und sie nennen mich Tante, ich weiß, dass das für sie viel bedeutet. Ich kann sie nicht im Stich lassen."

Trotz aller Herausforderungen ist für Maria und den anderen Mitarbeitern klar, dass solche Projekte unverzichtbar sind. Sie bieten Jugendlichen eine neue Perspektive und die Chance, Schritt für Schritt zurück in ein Leben zu finden. "Die Integration in die Gesellschaft ist ein langer Weg, oft werden die Jugendlichen von der Gesellschaft ausgeschlossen", so Maria. Die kolumbianische Gesellschaft möchte nichts mit den ehemaligen Kindersoldaten zu tun haben. 

Am Ende des Tages kehrt Ruhe ein. Die Jugendlichen säubern ihre Zimmer, machen ihre Hausaufgaben und bereiten sich auf den nächsten Tag vor. Dann fällt das rostige Tor wieder ins Schloss. Und mit ihm schließt sich auch die Welt der ehemaligen Kindersoldaten, die Dank der Don Bosco Einrichtung auf ein besseres Leben hoffen dürfen.

Kolumbien

Kolumbien ist eine demokratische Republik im Nordwesten Südamerikas. Auf gut 1,1 Millionen Quadratkilometern - einer Fläche mehr als dreimal so groß wie Deutschland - leben rund 52 Millionen Menschen, mehr als zwei Drittel davon in Städten. Damit ist Kolumbien hinter Brasilien und Mexiko das drittbevölkerungsreichste Land Lateinamerikas.

Kolumbianische Flagge über einer Stadt in Kolumbien / © Diego Grandi (shutterstock)
Kolumbianische Flagge über einer Stadt in Kolumbien / © Diego Grandi ( shutterstock )
Quelle:
DR

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