Kirchenrechtler Bier klärt über Abläufe bei Visitationen auf

Zur Auskunft verpflichtet

Der Vatikan hat eine Apostolische Visitation der Zisterzienserabtei Heiligenkreuz angeordnet, um sich ein "genaues Bild" zu verschaffen. Was unterscheidet sie von einer regulären Visitation? Der Kirchenrechtler Georg Bier weiß es.

Autor/in:
Vera Sturm
Vatikan hat eine Apostolische Visitation der österreichischen Zisterzienserabtei Stift Heiligenkreuz angeordnet / © Julia Kuznetsova (shutterstock)
Vatikan hat eine Apostolische Visitation der österreichischen Zisterzienserabtei Stift Heiligenkreuz angeordnet / © Julia Kuznetsova ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Was ist denn überhaupt eine Visitation im Kirchenkontext?

Prof. Dr. Georg Bier (Lehrstuhl für Kirchenrecht und Kirchliche Rechtsgeschichte an der Universität Freiburg): Eine Visitation ist der von Rechts wegen vorgeschriebene und rechtlich normierte Besuch eines kirchlichen Oberen bei einer untergebenen Einrichtung oder bei Untergebenen. Mit dieser Visitation und mit diesem Besuch nimmt der Obere seine Aufsichtspflicht wahr und erfüllt sie. Das ist gewissermaßen wie bei einer routinemäßigen Autoinspektion: Es wird geguckt, ob alles stimmt. Danach geht das Leben weiter.

Prof. Georg Bier (privat)
Prof. Georg Bier / ( privat )

DOMRADIO.DE: Welche Auslöser oder Anlässe gibt es dafür?

Bier: Normalerweise gibt es keine bestimmten Anlässe. Der Gesetzgeber verpflichtet die Oberen, in regelmäßigen Abständen solche Visitationen vorzunehmen. Zum Beispiel ist der Diözesanbischof verpflichtet, in seiner Diözese jährliche Visitationszeiträume einzuplanen. Jede Pfarrei in seiner Diözese soll mindestens alle fünf Jahre visitiert werden. In der Praxis geschieht das oft in Verbindung mit Firmreisen. 

Der Diözesanbischof ist auch zuständig für Ordensinstitute, die es nur in seiner Diözese gibt oder die er selbst errichtet hat. Viele Ordensinstitute sind aber von alters her unmittelbar dem Apostolischen Stuhl unterstellt und insoweit eigenständig. In diesen Instituten sind die Generaloberen der Institute für die regelmäßige Visitation zuständig. Die zeitlichen Abstände, in denen das geschieht, richten sich nach dem Eigenrecht der Institute. Das kann variieren.

Georg Bier

"Im Ordensrecht ist sogar ausdrücklich festgelegt, dass die Visitierten verpflichtet sind, den Visitator zu unterstützen und ihm zu helfen, dass er sich sein eigenes Bild machen kann."

DOMRADIO.DE: Eine Visitation kann also nicht abgelehnt werden?

Bier: Nein, das ist nicht möglich. Im Ordensrecht ist sogar ausdrücklich festgelegt, dass die Visitierten verpflichtet sind, den Visitator zu unterstützen und ihm zu helfen, dass er sich sein eigenes Bild machen kann. Für die Pfarreien ist das im Blick auf Bischof und Pfarrer nicht so präzise geregelt, aber das Prinzip ist dasselbe. Der Bischof hat die Pflicht, die Pfarrei zu visitieren. Und selbstverständlich sind die Pfarrer und alle, die befragt werden, verpflichtet, dem Visitator – in der Regel dem Diözesanbischof oder einem von ihm bestellten Vertreter – Auskunft zu geben. 

DOMRADIO.DE: Wie lange dauert eine Visitation und wie läuft sie ab?

Bier: Grundsätzlich hängt das vom Umfang der zu visitierenden Einrichtungen ab. Für die Visitation einer Pfarrei wird in der Regel ein Tag genügen. Oft findet eine Visitation in Verbindung mit dem Besuch des Bischofs anlässlich einer Firmung statt. Der Bischof ist dann frühzeitig vor Ort, spricht mit dem Pfarrer sowie mit Vertreterinnen und Vertretern der pfarrlichen Räte und lässt sich die Kirchenbücher zeigen. Im Laufe des Tages verschafft er sich einen Überblick. 

Die Visitation einer Ordensniederlassung nimmt in der Regel mehr Zeit in Anspruch. Denn hier geht nicht nur um die Kontrolle der Kirchenbücher oder um Gespräche mit Gremien, sondern zum Beispiel um die Disziplin der Ordensmitglieder, um deren Lebensführung und um das Funktionieren des Miteinanders in der klösterlichen Gemeinschaft. Das kann einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen, vielleicht eine Woche oder zwei. 

Etwas anders verhält es sich, wenn eine Visitation anlassbezogen durchgeführt wird. Dann ist ja bereits der der Eindruck oder der Verdacht entstanden, es könnte bestimmte Fehlentwicklungen, Missstände oder Unregelmäßigkeiten geben. Ein solcher Anlass macht ein genaueres Hinschauen erforderlich, genauere Untersuchungen. Das kann dazu führen, dass eine Visitation länger dauert. 

Georg Bier

"Der Regelfall sollte sein, dass die Visitation keine Unregelmäßigkeiten oder Missstände zutage fördert."

DOMRADIO.DE: Was sind die Schritte nach einer Visitation? Welche Konsequenzen kann sie haben?

Bier: Der Regelfall sollte sein, dass die Visitation keine Unregelmäßigkeiten oder Missstände zutage fördert. Manchmal gibt es gibt vielleicht etwas Korrekturbedarf, aber weiter muss nichts geschehen. Wird hingegen festgestellt, dass es erhebliche Fehlentwicklungen, Unregelmäßigkeiten oder Missstände gibt, müssen anschließend Schritte eingeleitet werden, um diese Missstände zu beheben. 

Wurden beispielsweise Amtspflichten in gravierender Weise verletzt, kann das möglicherweise zu einer Abberufung der betreffenden Person führen. Werden finanzielle Unregelmäßigkeiten festgestellt, werden die Kirchenbücher eingehend geprüft, um die Ursache und den Verantwortlichen zu finden. Wenn in einer Ordensgemeinschaft die klösterliche Disziplin nicht mehr stimmt, müssen Schritte eingeleitet werden, um diese Disziplin wiederherzustellen. Was unternommen wird, hängt vom Ergebnis der Visitation ab.

Heiligenkreuz / © Botond Horvath (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Die Visitation im österreichischen Stift Heiligenkreuz war groß in den Medien, ist aber eher die Ausnahme?

Bier: Genau. Es handelt sich um den – nicht ganz seltenen - Sonderfall einer Apostolischen Visitation, die der Apostolische Stuhl anordnet, so, wie das in Heiligenkreuz passiert ist. Zu den konkreten Aufgaben, die den Visitatoren gestellt sind, gehört auch die Erstellung eines ausführlichen Abschlussberichts. Anschließend entscheidet der Apostolische Stuhl als Auftraggeber der Visitation, welche Konsequenzen er aus dem Abschlussbericht zieht und welche Maßnahmen er gegebenenfalls einleitet. 

Das Interview führte Vera Sturm.

Zisterzienserkloster Heiligenkreuz

Zisterzienserkloster Heiligenkreuz im Wienerwald / © DB Christian Fürst (dpa)
Zisterzienserkloster Heiligenkreuz im Wienerwald / © DB Christian Fürst ( dpa )

Die Zisterzienserabtei Heiligenkreuz wurde 1133 durch den heiligen Markgrafen Leopold III. aus dem Geschlecht der Babenberger gegründet. Die Zisterzienser waren damals eine neue, erst 1098 entstandene Reformbewegung der Benediktiner, und hatten großen Zulauf an Berufungen aus allen Schichten der Bevölkerung. 

Quelle:
DR

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