Flüchtlingsbeauftragte kritisiert Politik der Bundesregierung

"Wir brauchen diese Menschen"

Fremde aufnehmen und sie willkommen heißen, ist eine Kernaufgabe der Kirchen. Allerdings bekommen sie immer mehr Gegenwind. Darüber spricht die Caritas-Flüchtlingsbeauftragte Irene Porsch beim katholischen Flüchtlingsgipfel in Mainz.

Autor/in:
Hilde Regeniter
Flüchtlinge aus der Ukraine / © Yanosh Nemesh (shutterstock)
Flüchtlinge aus der Ukraine / © Yanosh Nemesh ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Die Union hat im Wahlkampf angekündigt, hart gegen illegale Einwanderung vorzugehen und versucht das jetzt umzusetzen. Welche Auswirkung hat diese Verschärfung der Asyldebatte auf die tägliche Arbeit mit Geflüchteten? 

Irene Porsch, Flüchtlingsbeauftragte des Diözesan-Caritasverbands für das Erzbistum Köln / © Diözesan-Caritasverband Köln (DiCV)
Irene Porsch, Flüchtlingsbeauftragte des Diözesan-Caritasverbands für das Erzbistum Köln / © Diözesan-Caritasverband Köln ( DiCV )

Irene Porsch (Flüchtlingsbeauftragte der Caritas im Erzbistum Köln): Wir haben auf der einen Seite schon 50 Prozent weniger Anträge auf Asyl als noch im vergangenen Jahr hier in Deutschland. Das muss man sich vielleicht nochmal vor Augen führen. Gleichzeitig haben wir aber einen immens hohen Beratungsbedarf in den Beratungsstellen der Caritas für Ehrenamtliche und Engagierte, aber vor allem auch für Klientinnen und Klienten. 

Die Aussetzung des Familiennachzugs hat eine ganz hohe rechtliche Unsicherheit zur Folge, womit für die Angehörigen viele Ängste verbunden sind. Sie bangen schon seit langer Zeit, dass ihre Angehörigen endlich nachkommen können. Da herrscht aber jetzt eine völlige Unsicherheit. 

Dann gibt es eine große Sorge um die Grenzkontrollen. Werden vulnerable Menschen weiterhin reingelassen? Ist das überhaupt umsetzbar an den Grenzen? Sind Menschen noch willkommen in Deutschland und welchen Schutz können wir ihnen noch bieten? 

Irene Porsch

"Es ist total arbeitsintensiv und emotional sehr schwierig".

Es ist total arbeitsintensiv und emotional sehr schwierig. Es gibt zum Beispiel viele Syrerinnen und Syrer, für die es rechtlich eine sehr hohe Unsicherheit gibt, seit dieser Wahlkampf sich so verschärft hat und seitdem die Union und der Koalitionsvertrag massive Verschärfungen angekündigt haben.

DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt dabei, dass der Rechtsextremismus auch in Deutschland auf dem Vormarsch ist? 

Porsch: Gestern ist veröffentlicht worden, dass politisch motivierte Straftaten und Gewalttaten so hoch wie bislang nie in Deutschland sind. Rund die Hälfte dieser Straftaten sind rechtsextremistisch motiviert. Diese sind um circa 40 Prozent angestiegen. Natürlich spielt das eine Rolle und es spielt auch in der Argumentation eine Rolle. 

Wir haben einen gesellschaftlichen Sinneswandel, der nicht allein auf der politischen Bühne stattgefunden hat, sondern im vorpolitischen Raum, beim Stammtisch, beim Elternabend, wo nach und nach allgemein akzeptierte Grenzen des öffentlichen Diskurses, ständige Tabubrüche, erweitert wurden. Vor wenigen Jahren war das noch nicht sagbar. 

Irene Porsch

"Es ist nun total in Ordnung, Menschen an der Grenze abzuweisen und das, wo wir den humanitären Schutz mühsam errungen haben nach dem Zweiten Weltkrieg".

Migration ist nun immer mit einer negativen Begrifflichkeit verbunden. Migration ist illegal, ein Phänomen, das wir weltweit haben. Das hat eine riesige Auswirkung, auch auf die Politik. Es ist nun total in Ordnung, Menschen an der Grenze abzuweisen und das, wo wir den humanitären Schutz nach dem Zweiten Weltkrieg, nach der Erfahrung einer Diktatur mühsam errungen haben. 

Flüchtlinge aus Syrien kommen in einer Erstaufnahmeeinrichtung / © Marcus Brandt (dpa)
Flüchtlinge aus Syrien kommen in einer Erstaufnahmeeinrichtung / © Marcus Brandt ( dpa )

DOMRADIO.DE: Was bedeutet all das konkret für die Flüchtlingshelferinnen und -helfer, auf der anderen Seite aber natürlich auch für die Geflüchteten selbst? 

Porsch: Angst und Verunsicherung. Wir erleben Menschen, die konkret überlegen, Deutschland zu verlassen und in ihre unsicheren Herkunftsländer zurückzugehen, weil wir hier nicht mehr ihre Heimat sind. 

Wir erleben beispielsweise Jesidinnen und Jesiden, denen eine Abschiebung in den Irak droht, in das Land, wo sie furchtbare Dinge erlebt haben. Wir erleben Menschen mit Familien in Afghanistan, die jetzt, wo alle Bundesaufnahmeprogramme gestoppt wurden, Panik und Angst haben, ihre engsten Freunde und Verwandten nicht mehr wiedersehen zu können. 

Ortskräfte aus Afghanistan / © Marc Tessensohn/Bundeswehr (dpa)
Ortskräfte aus Afghanistan / © Marc Tessensohn/Bundeswehr ( dpa )

Sie wissen, dass diese vor Ort aufgrund ihres humanitären Engagements der letzten Jahre verfolgt werden. Sie wissen, dass sie ihre Angehörigen nicht vor der Taliban schützen können. 

Das sind für unsere Engagierten und Ehrenamtlichen nicht irgendwelche Menschen und nicht irgendwelche Fallnummern. Es sind Menschen, die über zehn Jahre und länger unsere neuen Nachbarinnen und Nachbarn geworden sind und die jetzt noch einmal ihre Heimat verlieren, weil sie in Deutschland Fuß gefasst haben, weil sie sich hier integriert haben und hier angekommen sind. Sie sind unsere Nachbarn.

DOMRADIO.DE: Was versuchen Sie, dem jetzt entgegenzusetzen in der kirchlichen Flüchtlingsarbeit? Was macht gegen solchen Rechtsextremismus stark?

Porsch: Weiterhin einen Einsatz für Demokratie, für eine menschenwürdige Migrationspolitik und weiterhin betonen, dass wir nicht die Politik sind und dass wir deswegen eine menschenwürdige Migrationspolitik fordern. 

Erzbischof Heße hat diesen Flüchtlingsgipfel hier als Flüchtlingsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz eröffnet. Er hat nochmal bewusst gesagt, dass wir nicht die Politik, sondern die Kirche sind. Da wir Christinnen und Christen sind, haben wir das klare Postulat, weiterhin zu fordern, dass es eine humanitäre Aufnahme gibt. 

Irene Porsch

"Denn wir brauchen diese Menschen. Zugewanderte und hierhin geflüchtete Menschen sind ein integraler Teil unserer Gesellschaft. Sie gehören zu Deutschland dazu."

Der verstorbene Papst Franziskus hat es mit "aufnehmen, schützen, fördern, integrieren" ausgedrückt. Dafür setzen wir uns ein, und da versuchen wir gerade auch unsere Flüchtlingshelferinnen und Flüchtlingshelfer in diesen Krisenzeiten zu ermuntern und zu begleiten. 

Wir wollen auch vermitteln, dass es eine große Anzahl an Menschen in Deutschland gibt, die das anders sehen als das, was man vornehmlich medial und politisch wahrnimmt. Denn wir brauchen diese Menschen. Zugewanderte und hierhin geflüchtete Menschen sind ein integraler Teil unserer Gesellschaft. Sie gehören zu Deutschland dazu. 

DOMRADIO.DE: Warum ist und bleibt es wichtig, dass wir eine menschliche Flüchtlingsarbeit haben? 

Porsch: Es ist sozusagen ein Menschenrecht, es ist elementar wichtig, fundamental wichtig, dass wir Menschen, die in Not sind, nicht alleine lassen. Wir haben selber auch mal die Erfahrung gemacht, in Not und alleine zu sein. Es gehört für eine menschenwürdige Gesellschaft einfach dazu. Es ist auch ganz zentral ein Glaubensthema für uns Christinnen und Christen, weil Migration untrennbar mit der Kirche verwoben ist.

Das Interview führte Hilde Regniter.

Katholische Flüchtlingsgipfel

Um die Expertise der kirchlichen Flüchtlingshilfe zu bündeln hat der Sonderbeauftragte für Flüchtlingsfragen der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Stefan Heße (Hamburg), seit 2015 Praktiker, Experten und Ehrenamtliche, die sich bei der Bewältigung der gegenwärtigen Herausforderungen engagieren, zu einem regelmäßigen Katholischen Flüchtlingsgipfel eingeladen. Dieser dient vor allem dazu, Fachleute und Praktiker zusammenzuführen, zu vernetzen, über konkrete Themen kirchlicher Flüchtlingshilfe zu beraten und Perspektiven zu erarbeiten.

 © Victoria Jones (dpa)
© Victoria Jones ( dpa )
Quelle:
DR

Die domradio- und Medienstiftung

Unterstützen Sie lebendigen katholischen Journalismus!

Mit Ihrer Spende können wir christlichen Werten eine Stimme geben, damit sie auch in einer säkulareren Gesellschaft gehört werden können. Neben journalistischen Projekten fördern wir Gottesdienstübertragungen und bauen über unsere Kanäle eine christliche Community auf. Unterstützen Sie DOMRADIO.DE und helfen Sie uns, hochwertigen und lebendigen katholischen Journalismus für alle zugänglich zu machen!

Hier geht es zur Stiftung!