DOMRADIO.DE: Ihre persönliche Bilanz interessiert uns. Zehn Jahre waren Sie der Koordinator der Flüchtlingshilfe im Erzbistum Köln. Wie blicken Sie darauf zurück?
Klaus Hagedorn (Koordinator der Flüchtlingshilfe im Erzbistum Köln): Es gibt keinen schöneren Job als diesen. Ich finde ihn großartig. Man trifft nur mit Leuten zusammen, die ein riesiges Engagement an den Tag legen. Das gilt sowohl für die Hauptamtlichen im Generalvikariat, in den Fachabteilungen, im Diözesan-Caritasverband, in den Caritas-Verbänden, in den Vereinen und anderen Fachverbänden. Insbesondere, was Ehrenamtliche angeht. Wenn wir auf Ehrenamtliche treffen, die in den Kirchengemeinden oder in Flüchtlingsinitiativen angebunden sind, sprudelt es vor Engagement. Das sind tolle Begegnungen und tolle Erlebnisse.
DOMRADIO.DE: Der Erzbischof von Köln, Kardinal Woelki, hat Ende 2014 die Aktion Neue Nachbarn ins Leben gerufen. Was hat die Aktion in den zehn Jahren erreichen können?
Hagedorn: Die Aktion hat erreichen können, dass Integration gelingen kann. Wir haben gezeigt, wie Integration gelingen kann. Zum Beispiel indem wir Nachbarschaft begründen, Freundschaften gründen, Begleitung und Patenschaften organisieren. Dann sind die Menschen in der Lage, schnell anzukommen und sich zu integrieren. Das ist das Merkmal der Aktion Neue Nachbarn. Wir haben genau diese Begegnungen, diese Nachbarschaft schon im Logo stecken. Gefördert, sehr intensiv, mit allen Möglichkeiten und Mitteln, die wir zur Verfügung gestellt bekommen haben. Dieser Ansatz hat aus meiner Sicht funktioniert.
DOMRADIO.DE: Es engagieren sich unglaublich viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer in der Geflüchtetenhilfe. Ist das nach wie vor so und welche Bedeutung hat das?
Hagedorn: Wir haben im März noch einmal unsere Integrationsbeauftragten der Aktion Neue Nachbarn gezählt. Das sind Fachkräfte, die in den Stadt- und Kreisdekanaten angesiedelt sind und dort für die Vernetzung und die Ansprechbarkeit für Ehrenamtliche zuständig sind. Wir haben 8.700 Menschen gezählt, die wir namentlich benennen können. In 2015 gab es ein riesiges Engagement und ein riesige Interesse. Wir hatten unglaubliche Mühe, das Engagement zu kanalisieren. Das ist nicht mehr in dieser Dimension. Das ist aber auch klar. Ich finde aber trotzdem diese hohe Zahl von von engagierten Menschen im Erzbistum Köln nach wie vor sehr beachtlich.
DOMRADIO.DE: Im vergangenen Wahlkampf haben wir erlebt, wie aggressiv die Stimmung in Bezug auf geflüchtete Menschen und Menschen mit Migrationsvorder- oder -Hintergrund war. Wie sehr hat sie das bedrückt?
Hagedorn: Als Bürger dieses Landes hat mich das sehr bedrückt. Ich finde es unredlich, auf dem Rücken von Menschen, die aus Not nach Deutschland und in die EU fliehen, Politik zu machen. Das ist bedrückend und für die Aktion Neue Nachbarn ist es so, dass viele Ehrenamtliche in ihrem Umfeld gefragt werden, warum sie sich noch für diese Personen engagieren.
Die gesamte politische Debatte wirkt auf die Bevölkerung ein, sodass man sich von Freunden, Bekannten und nahen Verwandten fragen oder anfragen lassen muss warum man sich noch für diese Leute engagiert. Es gibt Einzelne, die sich deswegen nicht weiter engagiert haben. Aber auch andere, die sich Jetzt erst Recht! denken. Viele Ehrenamtliche werden durch die Anfragen auch wesentlich politischer in ihrem Engagement. Das ist wiederrum eine Reaktion, die wir aks Aktion Neue Nachbarn begrüßen.
DOMRADIO.DE: Wie können Sie denn die Menschen, die angefeindet werden, unterstützen? Gibt es da auch Reaktionen seitens der Aktion Neue Nachbarn?
Hagedorn: Wir bieten im Bedarfsfall Coaching und Supervision über unsere Diözesanstelle pastorale Begleitung an. Die bieten das kostenlos an und machen das schon seit 2015. Wenn jemand Probleme hat, bis hin zu einzelnen Ehrenamtlichen, die in besonderen Situationen nicht mehr weiter wissen, bieten wir kostenlos diese schnelle Unterstützung an. Das finde ich ein ganz wertvolles Instrument.
Daneben gibt es noch weitere Instrumente. Wir haben die Integrationsbeauftragten, die permanent ansprechbar sind und so die Ehrenamtlichen stützen und begleiten. Dazu kommen die Dank-Veranstaltungen für Ehrenamtliche und hochkarätige Fortbildungsveranstaltung, die wir in Kooperation mit den Bildungswerken organisieren. Das sind Instrumente, die wir aufgebaut haben und die dazu führen, dass Ehrenamtliche sich aufgehoben und wohl in ihrem Engagement fühlen.
DOMRADIO.DE: Warum soll sich Kirche überhaupt in der Flüchtlingshilfe engagieren? Welche Funktion und Rolle kann Kirche haben?
Hagedorn: Die Kirche hat momentan eine ganz wichtige Funktion. Wir sind gefühlt die einzigen Organisationen, die eine ganz klare Positionierung in der Migrationsdebatte haben. Das betrifft auch die evangelische Kirche. Wir können uns dieser auch christlich begründeten Verantwortung nicht entziehen. Wenn wir aus dem Evangelium heraus leben wollen, sind wir dazu verpflichtet, armen Menschen beizustehen. Das will Kirche!
Die Geflüchteten brauchen unsere Unterstützung. Das heißt nicht, dass wir die Öffnung aller Grenzen fordern, aber für die Menschen, die in Deutschland sind, haben wir eine christliche und moralische Verpflichtung. Als Gesellschaft müssen wir gemeinsam daran arbeiten, dass Integration gelingt. Diese Positionierung finden wir gerade bei den Kirchen. Das finde ich sehr motivierend.
DOMRADIO.DE: Nicht nur in Deutschland. Papst Franziskus hat sich insgesamt stark gemacht in seinem Amt für dieses Thema und benachteiligte Menschen immer in den Fokus gerückt. Was hat es für sie bedeutet, dass so viel Rückenwind vom Papst bei der Unterstützung von Geflüchteten kam?
Hagedorn: Das war natürlich auch für unser Erzbistum relevant. Als der Kardinal Woelki damals nach Köln kam, hat er die Aktion Neue Nachbarn als eine seiner ersten Amtshandlungen gegründet. Als der Papst gestorben war, hat Kardinal Woelki sich auch auf seine Impulse gestützt und gesagt: Wir sind dem gefolgt, was Papst Franziskus damals gemacht hat. Sein erster Auslandsbesuch war in Lampedusa bei Geflüchteten. Kardinal Woelki ist dem wirklich gefolgt und hat die Aktion Neuen Nachbarn gegründet. Insofern spielt das zusammen. Der Papst hat eine wichtige Rolle gespielt.
DOMRADIO.DE: Kommende Woche Mittwoch geht das Konklave los. Die katholischen Kardinäle wählen einen Nachfolger von Franziskus. Was wünschen sie sich von einem zukünftigen Papst?
Hagedorn: Ich wünsche mir, dass er die gleichen Positionen bezieht wie Papst Franziskus. Das tut uns einfach gut. Papst Franziskus hat in vielen Enzykliken Meilensteine gelegt, auch was die Schöpfungsverantwortung angeht. Das sind wichtige Signale, weil dem in den Kirchen und Bistümern gefolgt wird. Das sind keine Impulse, die ins Leere laufen, sondern die in den Bistümern aufgegriffen werden, wie bei uns. Ich wünsche mir, dass auch mit einem neuen Papst ähnliche Impulse aus Rom kommen.
DOMRADIO.DE: Das wünschen wir auch Ihrer Nachfolgerin, die in Ihre Fußstapfen tritt. Sie haben zehn Jahre lang die Aktion Neue Nachbarn und die Flüchtlingshilfe im Erzbistum Köln geleitet. Jetzt gehen Sie in Rente. Was wünschen Sie Ihrer Nachfolgerin?
Hagedorn: Dass sie genauso viel Freude wie ich bei der Arbeit hat und auch Erfolg. Der Erfolg steht auf mehreren Füßen. Ich habe nicht alleine entschieden, sondern in einem Leitungsteam mit Irene Porsche und Dr. Hensel im Diözesan Caritasverband und Ansgar Puff im Bischofsvikariat gearbeitet. Das ist eine stabile Basis auf der sich meine Nachfolgerin mühelos einmünden kann. Ich bin sehr zuversichtlich, dass meine Nachfolgerin auf dieser guten Basis und der unbedingt vertrauensvollen Zusammenarbeit ein leichtes Spiel hat, die Fäden aufzunehmen.
DOMRADIO.DE: Haben Sie schon Planungen für den Ruhestand?
Hagedorn: Ich mache noch ein bisschen weiter. Ich kümmere mich um Verwendungsnachweise. Die sind ein bisschen liegen geblieben. Wir machen sehr viele Förderungen. Die werden von Kirchengemeinden, Verbänden und Vereinen gut abgerufen. Damit beschäftige ich mich noch ein wenig und komme dann im August nochmal zurück, um meine Nachfolgerin für einen Monat einzuarbeiten.
DOMRADIO.DE: Wenn es dann in den richtigen Ruhestand geht, gibt es da Pläne?
Hagedorn: Es gibt den Plan, nichts zu tun. Ich schaue dann, wie sich das anfühlt. Ich komme aus einer doch anstrengenden, aber sehr spaßmachenden Arbeit und wechsle in den Ruhestand. Ich mache mir keine großen Sorgen, dass mir nicht etwas einfällt, aber ich will erst einmal schauen, wie sich das anfühlt und was mir dann einfällt.
Das Interview führte Katharina Geiger.