Historikerin erklärt Bedeutung von Queen Elizsabeth II.

"Präsent im Alltagsleben der Menschen"

Die Historikerin Birte Förster hat ein Buch über Queen Elizabeth II. geschrieben, das an deren ersten Todestag erscheint. Sie erklärt, warum die Queen eine Ausnahmeerscheinung war und welche Themen bei Charles auf der Agenda stehen.

Queen Elizabeth II. / © Toby Melville (dpa)
Queen Elizabeth II. / © Toby Melville ( dpa )

KNA: Was macht die Queen zu einer Ausnahmeerscheinung?

Birte Förster (Akademische Oberrätin an der Abteilung Geschichtswissenschaft, Universität Bielefeld): Ganz sicher die Langlebigkeit. Die Queen war in der Lage, eine Verbindung herzustellen zwischen der Kriegsgeneration und der Gegenwart. Beim Tod der Queen hat sich zudem gezeigt, dass viele Menschen Erinnerungen an Familienmitglieder haben, die für die Queen geschwärmt haben. So hat sich das private Leben der Menschen mit dem der Queen verwoben.

Die Historikerin Birte Förster / © Philipp Ottendörfer (KNA)
Die Historikerin Birte Förster / © Philipp Ottendörfer ( KNA )

KNA: Können Sie ein Beispiel nennen?

Förster: Bei ihrer Ansprache während des Lockdowns in der Corona-Epidemie im April 2020 hat sie wiederholt auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs angespielt, etwa auf den Song von Vera Lynn "We"ll Meet Again", der im kulturellen Gedächtnis der Briten als Hoffnung auf bessere Zeiten verankert ist. Sie forderte alle zu Besonnenheit und Mitgefühl aber auch zu Selbstdisziplin und tat dies mit der Autorität einer Monarchin, die ihr Königtum als Dienst an der Allgemeinheit verstand.

KNA: Sie beschreiben Elizabeth II. als Königin der Sichtbarkeit. Welche Rolle spielen Medien für das Königshaus?

Förster: Die Königin hat immer die jeweils neuen Medien in die Repräsentation der Monarchie integriert. Angefangen bei der Fernsehübertragung ihrer Krönung (1953) bis hin zum Twitterkanal (2010) oder ihrer Zoom-Nutzung während der Pandemie. Elizabeth II. stand dabei in einer langen Tradition. Queen Victoria (1819-1901) begann damit, die Monarchie in den Medien zu inszenieren. Ihr Begräbniszug wurde 1901 schon gefilmt. Sie hat auch die Fotografie benutzt, um die königliche Familie als einfache Familie ins Bild zu setzen. Sie war die erste Medienmonarchin.

KNA: Wie konnte Elizabeth II. neben ihren Medienauftritten und den bunten Outfits noch Sichtbarkeit erreichen?

Förster: Dazu gehört etwa der sogenannte Walkabout, um die Monarchie nahbarer zu machen. Der Walkabout wurde um 1970 eingeführt, seitdem ging die Königin die letzten hundert Meter zu Fuß und schüttelte Hände. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov aus dem Jahr 2018 heißt es, ein Drittel aller Briten habe die Königin als Person getroffen oder zumindest gesehen, in der Generation ab 65 sogar die Hälfte. Sie war präsent im Alltagsleben der Menschen.

Papst Franziskus und Queen Elisabeth II. (2014) / © Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus und Queen Elisabeth II. (2014) / © Romano Siciliani ( KNA )

KNA: Die Queen galt als Meisterin der Public Service Monarchy. Was heißt das?

Förster: Die Public Service Monarchy ist eine am Gemeinwohl orientierte Monarchie. Das ist auch eine Erfindung ihres Großvaters George V. Seitdem ist das Selbstverständnis der königlichen Familie: Wir leisten einen Dienst an der Gesellschaft. Allerdings setzte die königliche Familie schon seit Queen Victoria dazu nicht ihr eigenes Vermögen ein. Stattdessen brachte man das symbolische Kapital als Königsfamilie in Schirmherrschaften für Hilfsorganisationen ein.

KNA: Wie muss man sich das unter der Elizabeth II. vorstellen?

Förster: Während der Regierungszeit Elizabeth II. wurde der Dienst an der Gemeinschaft deutlich ausgeweitet. Ihr Mann Prinz Philip, der Herzog von Edinburgh, hat den "Duke of Edinburgh's Award" Mitte der 1950er Jahre ins Leben gerufen. Mittlerweile gibt es das Programm für junge Menschen weltweit und hat insgesamt acht Millionen Jugendliche erreicht. Sein Sohn Edward, der jetzige Duke of Edinburgh, hat dieses Amt nun übernommen.

KNA: Wie hat sich König Charles III. in den langen Jahrzehnten vor seinem Regierungseintritt eingebracht?

Förster: Prinz Charles hat Mitte der 1970er Jahre die Stiftung "The Prince's Trust" gegründet – wie das auch in der letzten Staffel der Netflix-Serie "The Crown" thematisiert wurde. Er hat sich auf marginalisierte junge Menschen konzentriert, sie bei Unternehmensgründungen durch Mentoring- und Ausbildungsprogramme oder bei finanziellen Engpässen unterstützt. Der "Prince's Trust" hat inzwischen 1,6 Milliarden Pfund ausgegeben.

KNA: Wie könnte eine Public Service Monarchy unter Charles III. aussehen?

Förster: Für König Charles sind die großen Themen Klimaschutz und Umweltschutz. Das deutete sich schon in der Krönung an. Er hat auch schon sein ganzes Leben die biologische Landwirtschaft unterstützt. Ein kluger Schachzug - man sieht, dass sich die Public Service Monarchy weiterentwickelt. Charles kann aber auch mit Recht sagen: Das mache ich schon seit den 1970er Jahren. Der König entwirft eine eher grüne Zukunft. Der Klimawandel betrifft schließlich jede Person. Dass der neue König den eigenen Herrschaftsbereich selbst schützen will, scheint natürlich glaubwürdig.

Birte Förster

"William, der Prince of Wales, hat mehr Möglichkeiten zu handeln als sein Vater."

KNA: Und unter seinem Sohn und Thronfolger William?

Förster: William, der Prince of Wales, hat mehr Möglichkeiten zu handeln als sein Vater, der als König politisch neutral sein muss. Er besetzt neben dem Klimawandel auch soziale Themen wie Wohnungslosigkeit. Das ist sehr aktuell, wenn man sich den Zustand der britischen Gesellschaft nach dem Brexit ansieht, die Krise durch die Teuerung und die Tendenz zur Verarmung in breiten Schichten.

KNA: Unmittelbar nach dem Tod der Queen kamen kritische Stimmen auf im Hinblick auf das koloniale Erbe. Sind das Themen, die jetzt diskutiert werden?

Förster: Vor allem aus Kenia kam kurz nach dem Tod der Queen Kritik, wo in den 1950er Jahren die Mau-Mau-Rebellion blutig niedergeschlagen worden war. Die Königin wurde nach ihrem Tod auch als Symbol der rassistischen Ordnung des Empire wahrgenommen. Man wollte nicht um sie trauern, sondern erwartete vom neuen König einen anderen Umgang mit dem kolonialen Erbe.

KNA: Sklaverei ist ein ganz großes Thema und hat auch die königliche Familie erreicht.

Birte Förster

"Die Monarchie existiert überhaupt nur noch, weil sie eine Monarchie im Dienst am Gemeinwohl ist."

Förster: Wir erwarten von Charles eine Auseinandersetzung mit Sklaverei, das ist eine allgemeine gesellschaftliche Entwicklung. Vorbereitet wird eine Studie, wie die königliche Familie vom Sklavenhandel profitiert hat. Charles hat das bereits zugegeben und eine Aufarbeitung eingeleitet. Es gibt auch einen Wunsch, die Gewalt des britischen Empires aufzuarbeiten.

KNA: Wird die Monarchie überleben?

Förster: Die Monarchie existiert überhaupt nur noch, weil sie eine Monarchie im Dienst am Gemeinwohl ist und es erfolgreich vermittelt hat, dass sie gut ist für die Briten ist. Im Moment gibt es zudem keine mehrheitsfähigen politischen Kräfte, die sich aktiv für die Abschaffung der Monarchie einsetzt. Es wäre aber wohl an der Zeit, die Monarchie, ihre Rituale und auch ihre Finanzierung zu modernisieren. Zu fragen ist, ob die Rituale und Traditionen noch einer Monarchie im Dienst am Gemeinwohl entsprechen, die ihren Schwerpunkt auf Umwelt- und Klimaschutz und Inklusion legt.

Das Interview führte Christiane Laudage.

Quelle:
KNA