Spätabtreibung: Große Koalition findet keine gemeinsame Linie

Keine Einigung in Sicht

Union und SPD können sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen zur Verbesserung der Beratung bei Spätabtreibungen verständigen. Die SPD-Fraktion lehnte am Dienstag mehrheitlich einen Antrag der Union ab, der über die Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes eine Beratungspflicht und eine dreitägige Bedenkzeit vor einem Abbruch erreichen will. Die Union plant nun einen Alleingang.

 (DR)

Der Unions-Familienpolitiker Johannes Singhammer (CSU) sagte dem epd am Dienstagabend, die Union werde nun in den Fraktionen für ihren Antrag werben und ihn möglichst noch in diesem Jahr in erster Lesung im Parlament beraten.

Im Unterschied zur Union will die SPD keine gesetzlichen Änderungen. Die SPD-Fraktion sprach sich in ihrer Sitzung einstimmig dafür aus, einem Vorschlag der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Christel Humme zu folgen. Danach sollen die Mutterschaftsrichtlinien so überarbeitet werden, dass alle Frauen, die über eine Spätabtreibung entscheiden müssen, eine Beratung erhalten, die über medizinische Fragen hinausgeht. Dies ist bisher nur bei genetischen vorgeburtlichen Untersuchungen des Ungeborenen vorgesehen. Im Mutterpass sollen die Schwangeren zudem über ihr Recht auf Beratung informiert werden.

Die SPD-Familienpolitikerin Kerstin Griese sagte dem epd nach der Fraktionssitzung, es werde keinen gemeinsamen Antrag mit der Union geben. Sie hatte dafür geworben, eine Beratungspflicht auch im Schwangerschaftskonfliktgesetz und nicht nur in den Mutterschaftsrichtlinien zu verankern. In der kommenden Sitzungswoche solle beraten werden, ob aus ihrem Vorschlag ein Gesetzesantrag erstellt werde, sagte sie. Auch Humme schloss einen eigenen Gesetzesantrag nicht aus. Neben Griese fordert auch SPD-Vizechefin Andrea Nahles gesetzliche Änderungen. «Wir brauchen eine gesetzliche Verankerung psychosozialer Betreuung für die Eltern», sagte Nahles dem epd. Eine Überarbeitung der Mutterschaftsrichtlinien reiche nicht aus.

Singhammer bezeichnete es als «schade», dass die SPD-Fraktion nicht auf die Union zugegangen sei, «nachdem wir jetzt über drei Jahre lang beraten haben». Er zeigte sich zuversichtlich, dass auch Vertreter anderer Fraktionen den Unionsantrag unterstützen würden. Er erwarte eine intensive Debatte. Über das Thema kann wie bei allen ethisch schwierigen Fragen ohne Fraktionszwang entschieden werden.

Die Bundesvereinigung Lebenshilfe für geistig Behinderte warf den Ablehnern des Unions-Antrags in der SPD eine Schönfärberei der Realität vor. Die Unionsvorschläge seien «ein guter erster Schritt», sagte der Bundesvorsitzende Robert Antretter dem Berliner «Tagesspiegel» (Mittwochsausgabe). Die Zahl der Fälle, in denen es bei Spätabtreibungen um behinderte Kinder ging, werde nicht dokumentiert, sagte er. Es seien aber «ganz sicher viel zu viele».

Manche Frauen wüssten nicht, wie lebenswert auch das Leben mit behinderten Kindern sei. Dies gelte es bei Beratungen zu vermitteln.

Mit dem Begriff Spätabtreibungen bezeichnet man Abtreibungen nach der 20. oder 22. Woche - es gibt unterschiedliche Zählungen - in der das Ungeborene schon lebensfähig sein kann. Das Statistische Bundesamt verzeichnete im vergangenen Jahr 631 Abtreibungen nach der 20. Woche, davon 229 nach der 22. Woche. Gemessen werden die Schwangerschaftswochen dabei ab dem Zeitpunkt der Befruchtung.

Abtreibungen nach der Drei-Monats-Frist sind zulässig, wenn die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung ist oder eine medizinische Indikation vorliegt. In diesem Fall bescheinigt der Arzt, dass die Frau eine Fortsetzung der Schwangerschaft physisch oder psychisch nicht verkraften würde. Das kann auch der Fall sein, wenn bei dem Kind eine Behinderung festgestellt wird.

Eine neue Beratungsregelung zu Spätabtreibungen würde alle Abtreibungen aufgrund einer medizinischen Indikation umfassen, also fast alle Abbrüche nach der Drei-Monats-Frist. Das waren im vergangenen Jahr laut Statistischem Bundesamt 3.072 Abbrüche. Insgesamt gab es 116.871 Abtreibungen.

Mehr zum Thema