Neue Afghanistan-Strategie in London beschlossen

Exit ab 2014

Gut acht Jahre nach dem Sturz des Taliban-Regimes ändert die internationale Gemeinschaft ihre Afghanistan-Strategie. Künftig wird der zivile Wiederaufbau im Mittelpunkt stehen und nur noch militärisch zur Absicherung flankiert, beschlossen die Vertreter von 70 Ländern und Organisationen am Donnerstag in London. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) wertete dies als einen "strategischen Neuanfang", der eine "Abzugsperspektive" eröffne.

 (DR)

Der frühere afghanische Außenminister Rangin Dadfar Spanta sprach von einem «guten Tag» für sein Land und mahnte zugleich, Afghanistan brauche auch weiter klare Hilfszusagen. Im Frühjahr soll eine weitere Konferenz dann in Kabul das Ziel der Sicherheitsübergabe an die Afghanen bis 2014 konkretisieren.

Der afghanische Präsident Hamid Karsai bot für eine verstärkte internationale Unterstützung eine umfangreiche Selbstverpflichtung seiner Regierung an. Noch in diesem Jahr soll die Verantwortung für die Sicherheitslage in den ersten Provinzen übernommen werden, innerhalb von drei Jahren sollen es mehr als die Hälfte aller Provinzen sein. Bis 2014 wird die afghanische Verantwortung für das ganze Land angestrebt. Dies gilt als Voraussetzung für den Abzug aller ausländischen Truppen, die vorübergehend auf 135 000 Mann aufgestockt werden.

Großbritannien als Ausrichter der Afghanistan-Konferenz zeigte sich sehr zufrieden mit den Ergebnissen. Mit einem umfassenden Paket von neuen Hilfsgeldern bis zum Schuldenerlass in Höhe von 1,6 Milliarden US-Dollar werde der wirtschaftliche Neustart ermöglicht, sagte Außenminister David Miliband. Hinzu komme die veränderte militärische Strategie. Es sei gelungen, «den zivilen und militärischen Beitrag aller Länder hinter einer gemeinsamen politischen Strategie zu vereinen», hob Miliband hervor.

Der UN-Sondergesandte für Afghanistan, Kai Eide, wertete die Londoner Übereinkunft als neue strategische Ausrichtung. «Erstmals haben wir eine klare Agenda und klare Prioritäten», sagte Eide auch mit Blick auf die afghanischen Selbstverpflichtungen. Zugleich rügte er, dass bisher zu viel internationale Hilfsgelder in kurzfristige Projekte versickert seien, statt den staatlichen Wiederaufbau voranzutreiben und die wirtschaftliche Basis des Landes zu stärken. Doch habe es in London auch hier eine Neuausrichtung gegeben. So ist vorgesehen, mit der Schulung von 12 000 Afghanen die regionalen staatlichen Strukturen zu stärken.

US-Außenministerin Hillary Clinton würdigte den in London beschlossenen neuen Hilfsfonds zur Reintegration bewaffneter Kämpfer, für den auf der Konferenz 140 Millionen Dollar schon für das erste Jahr zugesagt wurden. Clinton stellte zugleich klar, dass die Angriffe auf ausländische Truppen durch radikal-islamische Taliban weiter militärisch verfolgt würden. Doch biete London mit der neuen Doppelstrategie eine gute Voraussetzung, in den kommenden Jahren ein «stabiles und friedliches Afghanistan» aufzubauen.

Westerwelle betonte, in der britischen Hauptstadt sei «ein neues Kapitel aufgeschlagen» worden. Mit messbaren Zwischenschritten sollen Fehler der vergangenen Jahre beseitigt und der Weg für einen Rückzug der ausländischen Truppen ab 2011 geebnet werden. Dazu gehören der Aufbau einer nationalen afghanischen Armee mit 171 600 Soldaten und die Rekrutierung von insgesamt 134 000 Polizisten bis Oktober kommenden Jahres.

Nachdrücklich begrüßte der FDP-Politiker den strategischen Neuansatz. Der Grundsatz «Afghanistan wird nicht militärisch gewonnen, es wird politisch gewonnen» werde nun von allen Beteiligten geteilt, sagte er. Und mit der doppelten Verantwortung von stärkeren internationalen Hilfen und einer Selbstverpflichtung der afghanischen Regierung gebe es fast ein Jahrzehnt nach dem Sturz des Taliban-Regimes eine «wirkliche Chance». Im Übrigen werde Deutschland selbst nach einem Abzug all seiner Soldaten seine Verantwortung für das afghanische Volk weiter wahrnehmen.

Überschattet wurde die Londoner Konferenz von der kurzfristigen Absage des Irans. Diese sei «unerklärlich», sagte Miliband. Clinton, die am Rande des Treffens mit Amtskollegen mehrerer Länder über das weitere Vorgehen im Atomstreit mit Teheran beraten hatte, warnte vor einer Verschärfung der Situation. Die Uneinsichtigkeit des Irans lasse «wenig Spielraum» für weitere diplomatische Initiativen.