Noch immer keine Klarheit über Belastungen für die Länder

Archiv: Wie teuer wird die Gesundheitsreform?

Zurzeit kursieren zwei unterschiedliche Gutachten zur Gesundheitsreform - mit völlig unterschiedlichen Zahlen. Bislang waren beispielsweise für Baden-Württemberg Mehrkosten von 58 Millionen Euro erwartet worden. Nun ist von bis zu 1,6 Milliarden Euro die Rede. Das Bundesgesundheitsministerium will bis Dienstag eine abschließende Beurteilung der Studie vornehmen. Ein Sprecher des Ressorts betonte, dass das Bundesversicherungsamt die Auswirkungen der Reform als einzige Stelle "einigermaßen genau" schätzen könne. Die Behörde sieht Belastungen für die Länder nur im zweistelligen Millionenbereich.

 (DR)

Bei den Experten des Bundesversicherungsamtes hat die Studie des Kieler Instituts für Mikrodatenanalyse über die Verteilungswirkungen des Gesundheitsfonds Unverständnis ausgelöst. "Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass der Autor der Studie gar nicht die Zusatzbelastungen errechnet hat, die der Fonds und die geplante Erweiterung des Finanzausgleichs zwischen den Krankenkassen Ländern wie Baden-Württemberg bringen würden", sagte der Finanzausgleichsexperte des Amtes, Dirk Göpffahrt, dem "Handelsblatt" (Dienstagausgabe). Tatsächlich habe dieser die Gesamtbelastung der Länder errechnet. Damit habe er ignoriert, dass es schon heute eine Umverteilung zwischen den Ländern über den 1994 eingeführten Risikostrukturausgleich gebe.

Methodische Mängel
Rechne man diese Effekte heraus, relativiere sich das Horrorszenario. Aus 1,61 Milliarden Euro Zusatzlast für Baden-Württemberg würden rund 950 Millionen Euro. Bayern wäre statt mit 1,04 Milliarden nur noch mit 500 Millionen Euro belastet, und die Nachteile für Hessen schrumpften von 700 auf 97 Millionen Euro.

Doch auch diese Zahlen hält das Amt noch für zu hoch. Es verweist auf eigene Berechnungen. Danach würde der Fonds, über den künftig 100 Prozent der heute nur zu 92 Prozent berücksichtigten Finanzkraftunterschiede zwischen den Kassen ausgeglichen werden sollen, zusammen mit der Erweiterung des Finanzausgleichs auf
freiwillige Kassenleistungen bei Baden-Württemberg, Bayern und Hessen nur zu Zusatzbelastungen von 56,4 Millionen, 36,5 Millionen beziehungsweise 55,2 Millionen Euro führen.

Volkswirtschaftler verteidigt sein Gutachten
Der Volkswirtschaftler Thomas Drabinski hat sein umstrittenes Gutachten über die finanziellen Auswirkungen der geplanten Gesundheitsreform auf die Haushalte der Länder verteidigt. "Die Aufregung ist jetzt so groß, weil es bisher noch keinerlei
Berechnungen gab", sagte der Leiter des Kieler Instituts für Mikrodatenanalyse der "Passauer Neuen Presse" (Dienstagausgabe).

Den Wirbel um seine Erhebung erklärte Drabinski am Dienstag im Deutschlandfunk auch mit der Komplexität des Vorhabens. Die "richtig großen Probleme" der Reform lauerten "noch so ein bisschen im Hintergrund" und kämen erst peu à peu zu Tage, sagte er. Auf der politischen Entscheidungsebene schwane offenbar "dem einen oder anderen Böses".

Drabinski warnte: "Erst in der Umsetzungsperiode wird sich zeigen, welche Riesenprobleme damit verbunden sind, von den langfristigen Problemen noch ganz zu schweigen." Er betonte, die Studie nicht für einen Auftraggeber, sondern im Rahmen seiner Habilitationsarbeit erstellt zu haben.

Der "Passauer Neuen Presse" hatte der Wissenschaftler gesagt, bei der Höhe der erwarteten Verluste einzelner Bundsländer ergäben sich Spannbreiten, da er drei Varianten mit Datensätzen aus verschiedenen Quellen berechnet habe. Er habe sich letztlich für eine Variante entschieden, die auf Daten des Bundesversicherungsamtes beruhe.

Bayern, Baden-Württemberg und Hessen zählten in allen Modellrechnungen zu den Verlierern. Die Belastungen könnten nicht wie vorgesehen auf 100 Millionen Euro pro Jahr begrenzt werden. "Das ist eine politische Idee, die aber nicht praktikabel ist", sagte Drabinski.

Verständnis für die Länder
Wolfgang Zöller, Gesundheitsexperte der CSU, forderte das Ministerium auf, schnell für Klarheit zu sorgen. Er sei in den bisherigen Verhandlungen zur Gesundheitsreform davon ausgegangen, dass die Zahlen des Ministeriums stimmten, die wiederum aus dem Bundesversicherungsamt stammen. Was tatsächlich richtig sei, könne er aber nicht sagen, so Zöller. Er sei "mehr als verärgert" über die unterschiedlichen Angaben zu den finanziellen Auswirkungen der Reform auf die Länder.

Die Ministerpräsidenten von Bayern, Baden-Württemberg und Hessen hatten im Bundesrat und am Wochenende ihre Zustimmung zu der Reform von präzisen Berechnungen abhängig gemacht. Sie hatten erklärt, ihre Länder dürften nicht überfordert werden.

Merkel hält Kritik für  ungerechtfertigt
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hält ungeachtet der Kritik der Unions-regierten Länder am Zeitplan für die geplante Gesundheitsreform fest. Vize-Regierungssprecher Thomas Steg sagte am Montag in Berlin, die Bedenken der Bundesländer seien "nicht so recht verständlich und in der Sache aus unserer Sicht nicht begründet". Merkel sei "ganz sicher", dass die noch strittigen Punkte in den nächsten Tagen und Wochen zu klären seien und die Reform wie geplant am 1. April 2007 in Kraft treten könne. Die Bundesregierung setze auf eine einvernehmliche Lösung und sehe nicht die Notwendigkeit eines Vermittlungsverfahrens mit dem Bundesrat.

SPD besteht auf Zeitplan
SPD Generalsekretäe Heil betonte, die SPD bestehe auf dem "Zeitplan, wonach das ganze Gesetzgebungsverfahren im Januar abgeschlossen wird, damit die Reform
zum 1. April in Kraft treten kann". Er attackierte vor allem den bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chef Edmund Stoiber. Es sei "nicht in Ordnung", dass jetzt versucht werde, die vereinbarten Kompromisse wieder aufzuschnüren - "vor allem nicht von Leuten, die sie selbst mit ausgehandelt haben, wie dem bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber", sagte Heil. "Deshalb muss die
Union das jetzt klären." Es sei gut, dass die CDU-Vorsitzende und Kanzlerin Angela Merkel eingreife, um "in den eigenen Reihen für Ordnung zu sorgen".