Wenn Skype und WhatsApp an ihre Grenzen stoßen

Zwischen Online-Stress und digitalem Kokon

Der Corona-Herbst dürfte die Digitalisierung des Alltags weiter beschleunigen. Allenthalben wird beraten, wie sich positive Effekte erhalten lassen. Experten empfehlen eine Weitung des Blicks.

Autor/in:
Paula Konersmann
Symbolbild: Digitale Welten / © PabloLagarto (shutterstock)
Symbolbild: Digitale Welten / © PabloLagarto ( shutterstock )

"Wie viel Kleidung (und Würde) braucht man eigentlich beim Arbeiten daheim?" - Das ist eine von vielen Alltagsfragen, die sich Menschen in den vergangenen Monaten gestellt haben - und die das Magazin der "Süddeutschen Zeitung" gewohnt trefflich formulierte. Das Leben ist digitaler geworden.

Das hat manchem Betrieb ermöglicht, die Arbeit fortzusetzen, und mancher verstreuten Familie, in Kontakt zu bleiben. In der dunklen Corona-Jahreszeit dürften Chats und Videotelefonie weiter boomen.

Bleiben digitale Formate auch nach der Pandemie?

Der Kommunikationswissenschaftler Markus Seifert zeigt sich überzeugt, dass sich digitale Formen des Austauschs über Pandemie-Zeiten hinaus weiter etablieren werden, "im beruflichen Kontext wie auch in Familien". Der Erfurter Forscher verweist zugleich auf die Grenzen dieser Möglichkeiten: An sie stoße man "insbesondere in emotionalen Situationen, in denen wir andere Menschen stärker brauchen".

Die sogenannte soziale Präsenz lasse sich vorübergehend über Videotelefonie vermitteln, "aber so ganz gelingt das eben nicht, weil viele Sinneswahrnehmungen fehlen. Kommunikation findet beispielsweise auch über körperliche Wärme statt, darüber, andere Menschen zu riechen, die Nähe zu spüren."

Corona macht Misstände dringender

Andreas Barthelmess ist Start-Up-Unternehmer und Publizist. Im Frühjahr ist sein Buch "Die große Zerstörung" erschienen. Die technologisch-digitale Durchdringung, die Corona seiner Ansicht nach beschleunigt hat, war zu diesem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt. Manche Probleme seien dadurch umso dringlicher geworden, sagt der Autor:

"Die großen Digitalkonzerne, die vor der Pandemie schon sehr mächtig waren, weiten ihren Einfluss aus - und verfügen über eine staatsähnliche Macht."

Hinzu kommt: Was in Krisensituationen hilfreich ist, kann auf Dauer zur Falle werden. Wer etwa ständig von digitalen Techniken umgeben ist, muss sich nie "der größten Angst" stellen, "die es gibt", erklären zwei andere Experten für Digitales: der Angst vor der Einsamkeit. Sie erzeuge "in der digitalen Aufrüstung von Körper und Körperlichkeit immer noch mehr Einsamkeit", schreiben Markus Metz und Georg Seeßlen in ihrem Band "Schnittstelle Körper".

"Kokon" der Sozialen Medien problematisch

Soziale Medien hielten dazu an, ständig online zu sein, die eigene Darstellung immer wieder zu übertreffen, nach mehr Likes und Anerkennung zu jagen. Bleibt diese einmal aus, stellt sich ein Gefühl von Leere ein - die Angst sei also "systemisch erforderlich", mahnen die Autoren.

Auch Barthelmess sieht die Sozialen Medien mit Skepsis. Sie legten eine Verbundenheit mit anderen nahe und lockten den Einzelnen dadurch in eine gewisse Zurückgezogenheit: "Aus dieser digitalen Komfortzone kommuniziere ich mit anderen Menschen. Das erscheint erstmal sehr bequem und angenehm - und führt dazu, dass Menschen sich mutiger und extrovertierter zeigen, bis hin zum Aggressiven."

Um Konflikte jedoch sachlich und fair zu lösen, brauche es tatsächliche Begegnung und Interaktion. "Daher endet die Schein-Geborgenheit über die Sozialen Medien oft in Unzufriedenheit und Vereinsamung."

Kritisch am "digitalen Kokon" sei zudem, dass die Sozialen Medien nicht das wahre Leben zeigten, betont Barthelmess. "Der Nutzer sieht vielmehr eine optimierte Leistungsschau-Welt - die aber suggeriert: Das ist die Normalität der anderen." Studien haben inzwischen gezeigt, dass eine starke Nutzung etwa des Bilderdienstes Instagram neidisch und unglücklich machen kann. Das sei naheliegend, "wenn ich nicht mehr im Selbst und in der Gegenwart bin, sondern die kuratorische Leistung anderer für deren Alltag halte."

Optimismus oder Irrweg?

Dennoch wirbt der Autor für einen kritischen Optimismus im Hinblick auf die Digitalisierung. "Sie bietet riesiges Potenzial für die Menschheit, etwa im Bereich von Bildung und Information." Die Verantwortung dafür, wie dieser gesellschaftliche Umbruch gestaltet werden sollte, dürfe jedoch nicht einigen wenigen überlassen werden.

Ähnlich sieht es Kommunikationswissenschaftler Seifert. Für ihn wäre es ein "Irrweg", einen Großteil des Alltagslebens in digitale Räume verlagern zu wollen. "Digitale Kommunikations- und Lernangebote sind eine Ergänzung zu dem, was wir im echten Leben kennen - nicht mehr und nicht weniger."


Jugendliche nutzt WhatsApp / © mirtmirt (shutterstock)
Quelle:
KNA
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