Zur Buchmesse: Neuerscheinungen türkischer Autorinnen auf Deutsch

Vom Leben im "Bonbonpalast"

Noch vor drei Jahren waren Bücher aus der Türkei in
deutschen Buchhandlungen Mangelware: Nobelpreisträger Orhan Pamuk, Yasar Kemal und dann hörte es auf. Zu provinziell, nationalistisch und ideologisch verkapselt seien die meisten türkischen Werke, sagt Verlagslektor Tanil Bora (Ankara) im Interview der Zeitschrift "Literaturen" (9/08). Doch vor der diesjährigen Frankfurter Buchmesse , deren Gastland die Türkei ist, hat sich die Lage am Literaturmarkt ein wenig gedreht. Das zeigt ein Blick allein auf die Neuerscheinungen türkischer Autorinnen.

Autor/in:
Renate Kortheuer-Schüring
 (DR)

Unter den mehr als 70 Belletristik-Titeln, die 2008 neu aus dem Türkischen
übersetzt wurden, sind etwa ein Drittel Werke von Frauen. Zu den bekanntesten Autorinnen gehören die 37-jährige Sozial- und Politikwissenschaftlerin Elif Shafak und die Journalistin Perihan Magden, die beide in den vergangenen Jahren wegen politischer Äußerungen in der Türkei gerichtlich verfolgt wurden. Sie haben mit zwei überaus erfolgreichen Istanbul-Romanen den Buchmarkt erobert.

In «Der Bonbonpalast» (Eichborn) schildert Shafak ein Apartmenthaus und
dessen Bewohner als Mikrokosmos der heutigen Bosporus-Metropole: In den skurril, aber liebevoll und mit Humor gezeichneten Figuren treffen Ost und West, Arm und Reich, Alt und Jung, armenisch-orthodoxes Christentum, Islam und Laizismus aufeinander. Da sind etwa die Friseurzwillinge Celal und Cemal, Hadschi Hadschi, der seine Enkel mit Märchen vom Dschinn ängstigt, die Mätresse eines Olivenölhändlers und «Tantchen Madam», das Istanbuler Urgestein. Ihre Storys entwickeln sich mal tragisch, mal komisch, meist haben sie von beidem.

Weil die Stadt auf historischen Schichten gebaut ist, steht der
«Bonbonpalast» auf Gräbern. So ragt auch die Vergangenheit in die Gegenwart hinein: Der Heilige «Standaufundmachtesichdavon» soll hier zur Ruhe gebettet sein, eine der amüsantesten Erfindungen Shafaks. Allerdings blieben seine Gebeine unauffindbar.

Die Istanbulstory «Zwei Mädchen» (Suhrkamp) der 1960 geborenen Perihan
Magden dagegen ist ein Unterhaltungsroman, der zwei pubertierende Gören in den Mittelpunkt stellt - die schöne Handan und die unglückliche Behiye.
Voneinander fasziniert erleben die 16-Jährigen eine intensive Drei-Wochen-Freundschaft. So witzig der aufgedrehte Slang der Mädchen, so rückständig wirkt ihre Fixiertheit auf ihre Mütter, das Shoppen und den Märchenprinzen. Eingestreute Kapitel über Gewalt und Verbrechen lassen jedoch die Doppelbödigkeit des globalisierten Konsum-Instanbul erahnen.

Beide Autorinnen folgen in ihrer Erzählweise eher westlichen Formen und
Stilmitteln als traditioneller orientalischer Fabulierlust. Sie orientieren sich
am Plot. Das gilt generell für die türkischen Gegenwarts-Schriftstellerinnen.
Auch für Adalet Agaoglu, die in ihrem 1973 erstmals veröffentlichten Roman
«Sich hinlegen und sterben»(Unionsverlag) die Lebenskrise einer
Intellektuellen thematisiert und zugleich einen Abriss von 30 Jahren
türkisch-republikanischer Geschichte gibt.

Die Dozentin Aysel hat sich zum Sterben in ein abgedunkeltes Hotelzimmer
begeben. In der Erinnerung zieht ihr Leben vorbei: Von der Kindheit in Anatolien, dem kemalistischen Lehrer, der ihr das Studium möglich machte, bis hin zu den jüngsten Ereignissen: Aysel ist schwanger, aber nicht von ihrem Ehemann. Im Dauer-Zwiespalt zwischen traditioneller patriarchalischer Ideologie und westlichen Vorstellungen von individueller Freiheit muss Aysel zu sich selbst finden: ein schwieriger Weg der Emanzipation.

Nicht minder spannend schildert Oya Baydar in «Verlorene Worte» (Claassen) den Selbstfindungsprozess des kriselnden Bestsellerautors Ömer Eren. Ihn verschlägt es in den kurdischen Osten des Landes, während seine Frau Elif, eine Biologin, gen Westen reist, wo sich auch der verlorene Sohn aufhält. Das auseinanderdriftende Ehepaar wird zur Metapher einer Zerissenheit zwischen Ost und West. Doch der vielschichtige Roman greift auch den Generationenkonflikt und die Kurdenfrage auf: Baydar entwirft dabei eine Vision der Überwindung von Spaltungen.

Die 1967 in Istanbul geborene Asli Ergodan schließlich lässt die Türkei
hinter sich, zumindest äußerlich: In «Die Stadt mit der roten Pelerine»
(Unionsverlag) erliegt die junge Türkin Özgür der Faszination der
brasilianischen Mega-Stadt Rio de Janeiro. Der Roman speist sich aus
biografischen Erfahrungen, denn die Physikerin Erdogan lebte selbst zeitweilig in Rio. Ihre Heldin Özgür geht am Ende am Sog der brasilianischen Favelas von Gewalt und Kriminalität, Samba und obsessivem Sex zugrunde - die Geschichte einer gescheiterten Integration.

Durchaus facettenreich stellen sich also die Romanwelten türkischer
Erzählerinnen dar. Dass die Buchmesse türkische Werke bekannter macht und ihnen mehr Leser beschert, hofft die Frankfurter Turkologin und Verlegerin Beatrix Caner vom Literaturca-Verlag. Allerdings, räumt sie ein, setzten die großen Verlage bei Übersetzungen aus dem Türkischen oft mehr auf Unterhaltung statt auf Qualität: «Es gibt an literarisch Anspruchsvollem noch viel zu entdecken.»