Zum 50. Todestag des Komponisten Igor Strawinsky

Meister der Provokation

Strawinsky gilt als einer der einflussreichsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Seine Zeitgenossen reagierten jedoch oft mit Unverständnis auf seine Ideen. Vor 50 Jahren ist das umstrittene Genie gestorben.

Autor/in:
Anna Fries
Ballett (shutterstock)

Er provozierte einen der größten Theaterskandale des 20. Jahrhunderts. Mit dem Ballett "Le sacre du printemps" - übersetzt das Frühlingsopfer - stellte Igor Strawinsky das Publikum auf eine harte Probe. Die Uraufführung 1913 in Paris traf die Zuhörer wie ein Schlag.

An konzentriertes Zuhören war nicht zu denken, sie buhten, lachten und pfiffen, sollen sogar handgreiflich geworden sein und sich im Konzertsaal Auseinandersetzungen geliefert haben - das alles, während die Musiker und Tänzer auf der Bühne stoisch rund 40 Minuten Strawinskys anspruchsvolle Partitur und die Choreographie darboten.

"Irgendwann versteht man mich"

Strawinsky nahm es recht gelassen. "Zweifellos wird man eines Tages verstehen, dass ich einen Überraschungscoup auf Paris gelandet habe, Paris aber unpässlich war", sagte er wenig später der New York Times. Was die Zuhörer aus der Fassung brachte? Strawinsky präsentierte im "Sacre du printemps" Dissonanzen, markante Rhythmen, ungewohnte Instrumentierungen und schrille Klänge.

Dazu die archaische Handlung eines Mädchens, das dem personifizierten Frühling rituell geopfert wird, begleitet von stampfenden Tänzern. Das Werk brach auf ganzer Linie mit den Erwartungen des Publikums. Rückblickend war Strawinskys Musik wegweisend für die musikalischen Entwicklungen im 20. Jahrhundert.

Von Sankt Petersburg in die Welt

Strawinsky wurde am 17. Juni 1882 in der Nähe von Sankt Petersburg in Russland geboren. Er lernte Klavier und studierte später auf Wunsch seiner Eltern Jura. Daneben ging er seiner Leidenschaft nach, war ab 1902 Kompositionsschüler von Nikolai Rimsky-Korsakow (1844-1908), der ihn ebenso prägte wie die Freundschaft mit dem Impresario des Ballettensembles "Ballets Russes", Sergei Djagilew.

Ihm verdankte Strawinsky seinen Durchbruch. Für Djagilew schrieb er die Musik zum Ballett "Feuervogel" - später auch für "Petruschka" und "Sacre du printemps". Djagilew hatte den noch unbekannten Strawinsky eigentlich nur als Backup eingeplant, erteilte ihm aber schließlich den Auftrag.

Schillernde Klangfarben

Die Handlung des "Feuervogel" basiert auf zwei russischen Volksmärchen, die Strawinsky mit spätromantischen Klängen und schillernden Klangfarben musikalisch ausmalte. Die Uraufführung 1910 in Paris brachte dem Komponisten internationale Aufmerksamkeit.

Strawinsky wird oft neben Sergej Prokofjew und Dmitri Schostakowitsch als einer der großen drei russischen Komponisten des 20. Jahrhunderts genannt - und das, obwohl er Russland 1914 mit seiner Familie verließ.

Der Sowjetunion war Strawinsky ein Dorn im Auge; lange durften seine Werke dort nicht aufgeführt werden. Er selbst besuchte die Sowjetunion erst in den 1960er Jahren wieder. Ab 1920 lebte Strawinsky in Frankreich, erhielt 1934 die französische Staatsbürgerschaft.

Freundschaft mit Coco Schanel

Er war befreundet mit Modeschöpferin Coco Chanel und Künstler Pablo Picasso, mit dem er auch künstlerisch zusammenarbeitete. Im Zuge des Zweiten Weltkriegs wanderte Strawinsky 1940 in die USA aus. Seine zweite Frau Vera de Bosset verschaffte ihm Freiraum zum Komponieren.

Eine weitere Säule fand er im Musiker Robert Craft, der für Strawinsky übersetzte und ihm assistierte. Strawinsky starb vor 50 Jahren am 6. April 1971 in New York und wurde auf der Toteninsel San Michele bei Venedig beigesetzt.

Spätromantik, Expressionismus, Neoklassik

Strawinsky gilt als einer der einflussreichsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Musikalisch erfand er sich immer wieder neu; Spätromantik, Expressionismus, Neoklassik. Ab 1952 wandte er sich im Alter von 70 Jahren der Zwölftontechnik und serieller Musik zu - und erntete dafür vor allem Unverständnis und Kritik.

"Kinder und Tiere lieben meine Musik"

Auch schrieb er für unterschiedlichste Besetzungen, Ensembles, Klavier, Chor oder Orchester. Bekannt sind vor allem seine frühen Ballette. Er selbst sagte, seine Musik sei "unfähig, irgendetwas auszudrücken" - und bemerkte an anderer Stelle, dass seine Musik am besten "von Kindern und Tieren" verstanden werde.

Auch das "Sacre du printemps" ist heute ein Klassiker. Einige Jahre nach der Uraufführung brachte 1940 Walt Disneys Film "Fantasia" die Klänge aus dem "Sacre du printemps" einem breiten Publikum näher. Strawinskys Musik illustriert im Film die Entstehung der Welt bis zum Untergang der Dinosaurier.


Igor Strawinsky (shutterstock)
Quelle:
KNA