Zerbster Kirche setzt "Gegendenkmal" zu antijüdischer "Sau"

Künstlerisches Signal

Im Umgang mit antijüdischen Schmähplastiken aus dem Mittelalter geht die evangelische Kirchengemeinde im sachsen-anhaltischen Zerbst jetzt einen künstlerischen Weg. Sie setzt als visuelles Signal auf eine Art "Gegendenkmal".

 Modell eines Gegendenkmals zur antijüdischen Sau in Zerbst
 / © Karin Wollschläger (KNA)
Modell eines Gegendenkmals zur antijüdischen Sau in Zerbst / © Karin Wollschläger ( KNA )

In unmittelbarer Nähe zu einer "Judensau" von 1450 an einem Außenpfeiler der heutigen Ruine der Sankt Nicolai-Kirche soll ein "Gegendenkmal" als "sichtbares Zeichen gegen Antisemitismus" errichtet werden, sagte Pfarrer Lutz-Michael Sylvester am Dienstag in Zerbst bei der Vorstellung des Kunstwerks.

 Antijüdische Schmähplastik an der Nikolaikirche Zerbst
 / © Karin Wollschläger (KNA)
Antijüdische Schmähplastik an der Nikolaikirche Zerbst / © Karin Wollschläger ( KNA )

"Die Schmähplastik mit ihrer menschenverachtenden Aussage gehört zu unserem historischen Erbe. Wir wollen sie deshalb nicht entfernen, sondern zu einer erklärenden Mahnstätte umgestalten", erläuterte der Pfarrer. Zugleich solle es der Anfang für einen neuen Diskussionsprozess sein. Die Sandsteinplastik zeigt Juden, die an den Zitzen einer Sau trinken, einer blickt in den After des Tieres. Schweine gelten im Judentum als unreine Tiere.

"Gegendenkmal" unterhalb der Schmähplastik

Die Plastik des Künstlers Hans-Joachim Prager soll im kommenden Frühjahr als "Gegendenkmal" unterhalb der Schmähplastik aufgestellt werden. Es ist eine 1,25 Meter hohe Stehle, die aus einem Granitblock mit dem Bibelwort "Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde" besteht sowie einem schwarzen Bronzeaufsatz. Darauf sind Namen jüdischer Familien aus Zerbst aufgeführt, die Opfer des Nationalsozialismus wurden, sowie der Verfassungsgrundsatz: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."

Nikolaikirche Zerbst / © Karin Wollschläger (KNA)
Nikolaikirche Zerbst / © Karin Wollschläger ( KNA )

Auf den Seitenplatten befinden sich 240 Vornamen. Die Deckplatte trägt in goldenen Lettern die Inschrift: "Wir - die wir hier stehen. Wir sind. Wir denken. Wir wirken. Zusammen - wir gehen." Der Vorsitzende des Gemeindekirchenrats, Mario Gabler, erläuterte: "Es wird auf die vergangene Schuld hingewiesen, aber auch die Verantwortung in der Gegenwart für den Schutz der unantastbaren Menschenwürde betont."

Geschätzte 50 weitere ähnliche Darstellungen an Kirchen

In Europa gibt es geschätzte 50 weitere ähnliche Darstellungen an Kirchen. Der Umgang damit wird in Deutschland vielfach diskutiert und beschäftigt auch höchste Gerichte. Der Bundesgerichtshof hatte im vergangenen Juni entschieden, dass eine entsprechende Schmähplastik aus dem 13. Jahrhundert an der Wittenberger Schlosskirche nicht entfernt werden muss. Durch eine Bodenplatte und einen Schrägaufsteller unterhalb des Reliefs sei das Schandmal in ein Mahnmal umgewandelt. Der jüdische Kläger wandte sich daraufhin mit einer Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht.

Im Zuge der Klage gegen die Wittenberger "Sau" sah auch Zerbst Handlungsbedarf. Seit Anfang des Jahres klärt eine Informationstafel unter der Schmähskulptur über deren Bedeutung auf und bringt die Distanzierung der Kirchengemeinde zum Ausdruck. Zudem schrieb sie einen Wettbewerb zu einem Gegendenkmal aus, bei dem sich der Entwurf von Prager gegen neun andere durchsetzte. Der Künstler wurde im benachbarten Dessau geboren; er lebt und arbeitet in Wernau (Baden-Württemberg).

Seit 1324 lebten nachweislich Juden in Zerbst. Während der vom nationalsozialistischen Regime organisierten Novemberpogrome 1938 wurde auch die örtliche Synagoge geschändet; Ende 1942 war die jüdische Gemeinde aufgelöst.

Judenfeindliche Schmähplastiken

Schmähplastiken oder Schmähskulpturen waren in der christlichen Kunst des Mittelalters fester Bestandteil und Ausdruck von Antijudaismus der Kirchen. Juden wurden in den Darstellungen an den Kirchen verhöhnt, verspottet und gedemütigt. Ein prominentes Beispiel ist die Schmähskulptur "Judensau" an der Wittenberger Stadtkirche.

Auf dem um 1300 entstandenen Relief in etwa vier Metern Höhe ist ein Rabbiner zu sehen, der den Schwanz eines Schweins anhebt und ihm in den After sieht. Zwei weitere Juden saugen an den Zitzen des Tiers. Das Schwein gilt den Juden als unrein.

Darstellung an der Stadtkirche in Wittenberg / © Norbert Neetz (KNA)
Darstellung an der Stadtkirche in Wittenberg / © Norbert Neetz ( KNA )
Quelle:
KNA