Worüber die Protestanten auf der Synode debattieren

Einwanderung, Abtreibung und Missbrauch

Abtreibung raus aus dem Strafrecht? Grenzkontrollen einführen? Die Synodenmitglieder der Evangelischen Kirche debattieren in Ulm auch den Bedeutungsverlust der Kirchen und die Aufarbeitung sexueller Gewalt. Ein Stimmungsbericht.

Tagung der Synode der EKD / © Stefan Puchner (dpa)
Tagung der Synode der EKD / © Stefan Puchner ( dpa )

DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt die Synode in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)?

Benjamin Lassiwe, Journalist / © Lassiwe (privat)
Benjamin Lassiwe, Journalist / © Lassiwe ( privat )

Benjamin Lassiwe (Journalist und Kirchenexperte): Die Synode gibt es seit Gründung der Evangelischen Kirche in Deutschland. Sie hat gesetzgeberische Kompetenzen. Die Synode der EKD legt den Haushalt fest. Sie regelt Kirchengesetze. Sie kann den Rat wählen. Sie kann theoretisch auch Ratsmitglieder abwählen.

Sie ist das höchste Organ der Evangelischen Kirche und steht formell über dem Rat und auch der Kirchenkonferenz, in der die Kirchen der EKD vertreten sind.

DOMRADIO.DE: Die soziale Reichweite der Kirche sei größer als ihre religiöse. Das hat EKD-Präses Anna-Nicole Heinrich vorab in Bezug auf eine Untersuchung zur Kirchenmitgliedschaft gesagt, die auf der Synode vorgestellt wird. Was hat sie damit gemeint?

Lassiwe: Dieses Zitat bezieht sich in der Tat auf die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung KMU, die von der Evangelischen Kirche übrigens erstmals zusammen mit der Katholischen Kirche erstellt worden ist. Die Untersuchung wird am Dienstag vor der Synode präsentiert. Da geht es unter anderem darum, was die Kirchenmitglieder noch in ihrer Kirche hält, was zum Austritt führt, welche Zufriedenheits- und Unzufriedenheitswerte es für bestimmte Arbeitsfelder gibt.

Was da genau drinsteht, wissen wir zum heutigen Zeitpunkt noch nicht. Die Untersuchung ist ja noch nicht veröffentlicht. Anna-Nicole Heinrich hat aber bei der Pressekonferenz vor der Synode in der vergangenen Woche in Berlin durchblicken lassen, dass offenbar Dinge wie Diakonie und Caritas, Mitverantwortung und soziale Handlungen der Kirche für die Menschen in diesem Lande wichtiger sind als das Glaubensleben oder entsprechende Anbindungen in den Gemeinden.

EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus warnt auf der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland  in Ulm am 12.11.2023 vor christlichem Antisemitismus / © Heike Lyding (epd)
EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus warnt auf der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland in Ulm am 12.11.2023 vor christlichem Antisemitismus / © Heike Lyding ( epd )

DOMRADIO.DE: Die Vorsitzende des Rates der EKD, Annette Kurschus, hat zu einigen politischen Entwicklungen innen- und außenpolitisch Stellung genommen. Was sagt sie denn zum Beispiel zu den Grenzkontrollen und was bedeutet das im Hinblick auf das Verhältnis zur Politik?

Lassiwe: Annette Kurschus hat sich am Sonntag sicher weit aus dem Fenster gelehnt. Sie hat in der Flüchtlingspolitik die traditionelle Linie der Kirchen deutlich gemacht. Sie hat gesagt, dass Flüchtlinge in Deutschland weiterhin willkommen bleiben sollten. Sie hat Grenzkontrollen, Abschiebungen und auch Dinge, die, wie sie sagte, Flüchtlinge piesacken sollen, kategorisch abgelehnt.

Damit begibt sie sich in eine große Distanz zur CDU von Friedrich Merz und letztlich auch zur CDU in den Ländern. Wenn man sich anguckt, was da in den letzten Wochen und Monaten gefordert worden ist und von wem was gefordert worden ist, dann sieht man, dass in ganz Ostdeutschland die Forderung nach Grenzkontrollen an der polnischen und der tschechischen Grenze erhoben worden ist. In Brandenburg übrigens vom Innenminister Michael Stübgen. Das Pikante daran ist, dass Stübgen vor seinem Eintritt in die Landespolitik evangelischer Pfarrer war.

DOMRADIO.DE: Die Synode befasst sich auch mit dem Thema Missbrauchsaufarbeitung. Wie sieht es denn da bei der Evangelischen Kirche in Deutschland aus?

Lassiwe: Wir warten immer noch auf die Missbrauchsstudie der EKD, die im nächsten Frühjahr kommen soll. Am Dienstag werden wir in Ulm einen Bericht des Beteiligungsforums erleben. Das ist ein Gremium, in dem Betroffene mit Kirchen- und Diakonie-Vertretern zusammenarbeiten und sich um die Aufarbeitung des Missbrauchs in der Evangelischen Kirche kümmern.

Dieses Gremium hat ein Vetorecht gegenüber allen Themen, die sich mit Missbrauch beschäftigen. Das geht so weit, dass sich die Synode verpflichtet hat, alle Dinge zu diesem Thema, diesem Gremium noch einmal zur Kontrolle und zur Beschlussfassung vorzulegen.

Überschattet wird diese Tagung in Ulm ein bisschen von einem Missbrauchsvorgang in Westfalen, genauer in Siegen, in der Stadt, in der Präses Annette Kurschus Vikarin, Stadtpfarrerin und später Superintendentin war. Da gab es einen Musiklehrer, der sich an einer ganzen Reihe von Personen sexuell vergriffen haben soll.

Kurschus hat eingeräumt, dass sie den Betreffenden kannte, was auch nicht verwunderlich ist. Sie sagte wörtlich, in Siegen kenne jeder jeden. Aber man darf gespannt sein, ob an dieser Stelle noch irgendwas zu irgendeinem Zeitpunkt herauskommen wird.

Synode der EKD tagt in Ulm (epd)
Synode der EKD tagt in Ulm / ( epd )

DOMRADIO.DE: Auch beim Thema Abtreibung gibt es unterschiedliche Meinungen, oder?

Lassiwe: Annette Kurschus hat auch das Thema Abtreibung erwähnt. Es gibt ein Papier des Rates der EKD, das ein bisschen überraschend kam. Die Synode war darüber nicht erfreut, denn die Evangelische Kirche in Deutschland hat sich deutlich dafür ausgesprochen, die Abtreibung aus dem Strafrecht hinauszunehmen. Da gab es in der Synode Stimmen, wie zum Beispiel die vom früheren CDU-Staatssekretär Thomas Rachel, die sich sehr deutlich gegen diese Positionierung des Rates der EKD ausgesprochen haben.

Die Göttinger Theologieprofessorin Christine Axt-Piscalar, die eine der wichtigsten Theologinnen in Deutschland im Moment ist, hat sehr klar angemerkt, dass der Rat der EKD diese Position gegenüber der Bundespolitik nur als Start einer Debatte verkaufen könne, nicht als abschließende Positionierung der EKD.

Ob das dann tatsächlich so passiert, ist eine andere Frage. Aber eine Christine Axt-Piscalar hat im deutschen Protestantismus eben auch Gewicht.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland

Der Begriff Synode ist dem griechischen "synodos" entlehnt und bedeutet Zusammenkunft. Die EKD-Synode ist das Parlament und damit eines von drei Leitungsgremien der Evangelischen Kirche inDeutschland (EKD) - neben dem Rat und der Kirchenkonferenz. Sie hat 120 Mitglieder, sogenannte Synodale, die die 20 Landeskirchen mit gut 21 Millionen Gläubigen vertreten.

Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) / © Heike Lyding (epd)
Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) / © Heike Lyding ( epd )
Quelle:
DR