Wie sich die Kreuzesdarstellungen im Mittelalter änderten

Triumphator und Schmerzensmann

Lange Zeit wurde der Gekreuzigte als auferstandener Sieger über den Tod dargestellt. Doch im späteren Mittelalter geriet zunehmend die Passion in den Blick der Gläubigen. Der Grund dafür liegt in Schriften bedeutender Theologen.

Autor/in:
Jan Hendrik Stens
Gotisches Monumentalkreuz im Münster von Bad Doberan / © Mikhail Markovskiy (shutterstock)
Gotisches Monumentalkreuz im Münster von Bad Doberan / © Mikhail Markovskiy ( shutterstock )

Seit dem 5. Fastensonntag, der früher auch Passionssonntag genannt wurde, sind sie in vielen Kirchen verhüllt: Kreuze, Prunkbilder, kostbare Reliquiare oder Lichterkronen.

Dieser Brauch geht auf das Mittelalter zurück und setzt mancherorts schon am Aschermittwoch ein. Entweder sind die zur Verhüllung genutzten Stoffe violett oder vor dem Hauptbild des Hochaltars hängt das Hungertuch, welches auch in der modernen Sakralkunst seinen Platz hat.

Als Begründung für diesen alten Brauch wird oftmals angegeben, dass der Blick auf den Gekreuzigten nicht als Selbstverständlichkeit hingenommen werden und die Gläubigen über den Inhalt der nun verhüllten Stelle nachdenken und meditieren sollen.

Doch mancherorts fragen sich die Gläubigen, warum denn gerade in den letzten beiden Wochen vor Ostern der Blick auf den Gekreuzigten verwehrt wird. Dabei wird auch oftmals in die Diskussion eingebracht, ob Jesus Christus am Kreuz als Leidender oder als Auferstandener gezeigt wird.

Seit der Spätantike in Kirchen

Schon im 5. Jahrhundert begannen Christen, ihre Kirchen und Versammlungsräume mit Kreuzen zu schmücken, wie Hans-Walter Stork im Lexikon für Theologie und Kirche schreibt. Erhaltene Bildnisse dieser Zeit wie ein Relief der Holztür von Santa Sabina in Rom zeigen Christus lebend in hoheitsvoller Haltung und mit geöffneten Augen. Die Thematisierung des Triumphes Jesu über den Tod, seine Auferstehung und Himmelfahrt standen für die frühen Christen mehr im Vordergrund als sein Leiden.

Auch mit dem Beginn des Mittelalters wurde Christus am Kreuz als Herrscher und Überwinder des Todes dargestellt. Die Kruzifixe nehmen im Hochmittelalter an Größe zu und dominieren in ihrer Monumentalität den Kirchenraum. Ein bekanntes – wenn auch spätes – Beispiel ist das große Triumphkreuz aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts im Dom zu Münster, das allerdings erst seit 50 Jahren an seiner exponierten Stelle über dem Vierungsaltar hängt.

Gerokreuz im Kölner Dom / © Julia Steinbrecht (KNA)
Gerokreuz im Kölner Dom / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Ein älteres Monumentalkreuz, das in seiner Darstellung aus dem Rahmen fällt, ist das Gerokreuz im Kölner Dom aus der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts. Christus wird nicht als Triumphator gezeigt, sondern als soeben Verstorbener. Die Gesichtszüge sind friedlich und leblos zugleich. Dieses früheste westliche Beispiel der Darstellung des toten Christus, der mit vier Nägeln an das Kreuz geschlagen ist, setzt sich im Laufe der Jahrhunderte allmählich durch.

Passion wird im späteren Mittelalter beliebt

Mit dem 13. Jahrhundert beginnt eine Blütezeit der Passionsdarstellungen. Die Akzente verlagern sich zunehmend vom über den Tod triumphierenden zum leidenden Christus. Hintergrund hierfür sind die Passionstraktate von Bernhard von Clairvaux, Aelred von Rievaulx und Franziskus von Assisi. Diese Texte sind die Grundlage für eine Einbeziehung des Betrachters als Mitleidenden. Die "Imitatio Dei" (Nachahmung Gottes) wird als besondere Form der Nachfolge gesehen.

Kalker Madonna / © Jan Hendrik Stens (DR)
Kalker Madonna / © Jan Hendrik Stens ( DR )

Kreuzigungsdarstellungen werden nun auch vielfach Bestandteil von ausgedehnten Passionszyklen. Figuren wie der Schmerzensmann oder die Pietà, die Darstellung Mariens mit dem toten Jesus in den Armen, schmücken Kirchen, Kapellen oder Bildstöcke. Auf der Kölner Provinzialsynode im Jahr 1423 wurde die Verehrung der Schmerzhaften Mutter Gottes mit dem Kompassionsfest, dem Fest der Sieben Schmerzen Mariens, am 15. September eingeführt. Wohl aus dieser Zeit stammt auch die Pietà in der Kalker Kapelle im rechtsrheinischen Köln.

Glockenschmuck mit Bußruf

Auf Glocken aus dem Spätmittelalter im alten Gebiet des Erzbistums Köln sind in dieser Zeit des Spätmittelalters auch häufig Reliefs und Medaillons mit Passionsdarstellungen zu finden. Bedeutende Beispiele bereits aus der Zeit der Reformation sind hier die Glocken des Dederich von Köln in Rheinbreitbach und in Helden aus den Jahren 1556 und 1560. Oftmals gesellt sich zu den Darstellungen auch der Inschriftspruch: "Du Sünder bekehr dich".

Dieser Zusammenhang aus Passion und Aufforderung zur Bekehrung hat seinen Ursprung in den Reformbewegungen des 15. Jahrhunderts, sagt Gisela Muschiol, Professorin für Neuere und Neueste Kirchengeschichte an der Uni Bonn. "Die 'Devotio moderna' als zeitgenössische Frömmigkeitsbewegung ist auf den individuellen Frommen, den individuellen Sünder ausgerichtet."

Kreuzigungsrelief auf der Glocke in St. Hippolytus in Helden / © Jan Hendrik Stens (DR)
Kreuzigungsrelief auf der Glocke in St. Hippolytus in Helden / © Jan Hendrik Stens ( DR )

Auch die Entdeckung des Individuums in der Frömmigkeit und in der Kunst hat ihren Ursprung in der Philosophie und Theologie des Hochmittelalters. Sie zeigt exemplarisch, wie das Denken der Menschen langfristig Auswirkungen auf diese Bereiche hat, wovon heute noch beeindruckende Werke der sakralen Kunst Zeugnis ablegen.

Der Beitrag wurde am 25.03.2024 um 9:08 Uhr ergänzt.

Quelle:
DR