Wie osteuropäische Pflegekräfte Weihnachten verbringen

Wenigstens per Videoanruf verbunden

Schätzungsweise 400.000 bis 700.000 osteuropäische Betreuungskräfte unterstützen hierzulande alte Menschen in ihrem vertrauten Umfeld. Wie erleben die Frauen die Weihnachtstage ohne ihre eigene Familie?

Autor/in:
Melanie Seewald
VdK drängt auf mehr Unterstützung von pflegenden Angehörigen / © Lorenz Lenk (KNA)
VdK drängt auf mehr Unterstützung von pflegenden Angehörigen / © Lorenz Lenk ( KNA )

Wenn Gosia Novak* schon nicht an den Weihnachtstagen bei ihrer Familie in Polen sein kann, dann bringt sie wenigstens ein Stück der polnischen Festtradition bei ihrer deutschen Familie auf den Tisch: Kartoffelsalat, Sauerkraut, polnische Würstchen. Zweimal schon hat die Mittsechzigerin Weihnachten bei einer dementen Seniorin und deren Angehörigen im Rheinland verbracht. Nach der Christmette und einer kleinen Bescherung bringt sie die alte Dame ins Bett. Gosia zieht sich in ihr Zimmer zurück; wenigstens telefonisch ist sie nun mit ihren Kindern und Enkeln am Fest der Liebe verbunden.

Tausend Kilometer entfernt

Rund tausend Kilometer trennen sie von ihren vier erwachsenen Kindern und drei Enkeln in einer polnischen Kleinstadt. Große Freude beim Videoanruf zur feiernden Familie; die Enkel zeigen der Oma strahlend ihre Geschenke, der Sohn hält Gosias Hündin in die kleine Kamera. Er passt auf den Vierbeiner auf, während seine Mutter in Deutschland arbeitet. Die hat es sich - so gut es geht - in ihrem Zimmer gemütlich gemacht; ihre Gastfamilie hat einen beleuchteten Papierstern in ihr Fenster gehängt, der in der Winterzeit für etwas Atmosphäre sorgen soll.

Leuchtende bunte Weihnachtssterne / © Harald Oppitz (KNA)
Leuchtende bunte Weihnachtssterne / © Harald Oppitz ( KNA )

Die rüstige Rentnerin ist gerne bei ihrer Wahlfamilie in Westdeutschland. "Hier ist ein gutes Klima", sagt die Witwe. Seit rund zwei Jahren kommt sie immer wieder für mehrere Wochen zu der alten Dame und ihren Angehörigen. Inzwischen sei dies für sie "wie eine zweite Familie". Die versucht, ihrer "polnischen Perle" den Aufenthalt - etwa mit Besuchen vom Adventsmarkt und von Konzerten - möglichst angenehm zu machen.

Der Bedarf an Pflegekräften ist groß

Seit dem Tod ihres Mannes bessert Gosia als Betreuungskraft in Deutschland ihre kleine Rente auf. Ein willkommener Zuverdienst. Denn die Miete für ihre kleine Wohnung ist gestiegen, Heizkosten explodieren auch in Polen, zudem frisst die Inflation das Ersparte. Gosia ist eine von geschätzt bis zu 700.000 Frauen aus Osteuropa, die hierzulande pflegebedürftige Senioren unterstützen. Der Bedarf ist groß, nicht nur an den Feiertagen.

Die Versorgung über die Weihnachtszeit stellt Vermittlungsfirmen vor große Herausforderungen. "Es möchten definitiv weniger Betreuungskräfte über die Weihnachtszeit arbeiten", sagt etwa Julia Bohl vom Vorstand der "Hausengel". Christliche Feiertage wie Weihnachten und Ostern wollten viele Osteuropäerinnen bewusst mit ihrer eigenen Familie verbringen. Da Engpässe absehbar sind, beginnt Bohl schon im September, mit den Frauen über die Weihnachtsplanung zu sprechen. Diese könnten dann selbst entscheiden, "ob, bei wem und wo sie arbeiten möchten". Meist nehmen die Frauen auch einen Feiertagszuschlag, "das ist völlig legitim", sagt Bohl.

Vermittler: "Unfassbar viel zu organisieren"

Angehörigen rät die Expertin, die Betreuungskräfte in die familiäre Weihnachtsfeier miteinzubinden "und beim Familienessen nicht rauszuschicken". Manche Frauen wollten dagegen lieber alleine sein und nicht mit der für sie fremden Familie feiern; auch dafür sollte man Verständnis haben. Außerdem empfiehlt Bohl, der Betreuungskraft an Weihnachten "mehr Freiräume zu schaffen" und etwa das Skypen mit der Familie in Polen zu ermöglichen: "Gerade an Weihnachten sollte man aufeinander achtgeben."

Eine Seniorin telefoniert mit ihrem Smartphone / © Sebastian Gollnow (dpa)
Eine Seniorin telefoniert mit ihrem Smartphone / © Sebastian Gollnow ( dpa )

"Unfassbar viel zu organisieren" vor den Feiertagen hat auch Daniel Schlör von der SunaCare-Vermittlung. Seine Firma koordiniert pro Jahr rund 3.500 polnische Betreuungskräfte. Zum Jahresende gebe es einen "starken Engpass". Mit einer Bonuszahlung von 350 Euro als finanzielle Wertschätzung für ihre Arbeit über die Weihnachtstage versucht der Geschäftsführer, Betreuungskräfte für den Einsatz zu motivieren: "Wer in Polen ein enges Familienleben hat, der macht das selten; die Frauen lassen sich dann auch mit Geld nicht überzeugen."

Andere Frauen suchen gezielt Arbeit über die Feiertage, wie Ulla Knapp-Grim beobachtet, die im südhessischen Mörlenbach polnische Pflegekräfte vermittelt. Meist seien es alleinstehende, verwitwete Frauen über 50 mit erwachsenen  Kindern. "Manche suchen sich sogar ausdrücklich über Weihnachten Arbeit, damit sie nicht alleine sind", so ihre Beobachtung. Auch diese Frauen erhielten einen "Extrabonus" für die Arbeit an den Weihnachtstagen.

Sich wie zu Hause fühlen

"Die Frauen sollten so in der Familie aufgenommen werden, dass sie sich wie zu Hause fühlen", erklärt Knapp-Grim. "Die Familien, die ich kenne, unternehmen alles, damit sich die Frauen in dieser Zeit wohlfühlen." Meist kämen die erwachsenen Kinder und organisierten das Fest, damit auch die Helferin eine schöne Zeit hat.

"Familie ist Familie", sagt Gosia. Deshalb freut sich die Witwe, dass sie bald abgelöst wird und in diesem Jahr wieder einmal zu Hause in Polen Weihnachten feiern wird. Voller Vorfreude erzählt sie von der traditionellen Rote-Beete-Suppe im Kreis ihrer Lieben und dem mitternächtlichen Besuch der "Pasterka", der festlichen Messe zur Geburt Jesu. In diesem Jahr wird sie auch ihre wenige Monate alte Enkelin im Arm halten können. Und in ihrem Wohnzimmer wird ein leuchtender Papierstern hängen - eine Erinnerung an ihre zweite Familie in Deutschland.

Angehörigenpflege

Mit dem Vorrang der häuslichen vor der stationären Pflege setzt die deutsche Pflegepolitik auf die Pflegefähigkeit und -bereitschaft der Familien: bei Paaren im Rentenalter insbesondere auf den hohen Einsatz des nicht pflegebedürftigen Partners, bei der Pflege der Elterngeneration vor allem auf die Pflegearbeit der Töchter und Schwiegertöchter. Tatsächlich wurden fast drei Viertel der 2,9 Mio. Pflegebedürftigen, die Ende 2015 Leistungen der Pflegeversicherung erhielten, zuhause gepflegt.

Häusliche Pflege / © Harald Oppitz (KNA)
Häusliche Pflege / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA