DOMRADIO.DE: Letzten Sonntag bei der Fronleichnamsprozession in Rom bekam Papst Leo XIV. Evviva-Rufe. Wie herzlich war das gemeint?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte und Autor): Das war sehr ehrlich gemeint, denke ich. Wir erleben das eigentlich bei jedem öffentlichen Auftritt, den der Heilige Vater in den letzten Tagen gemacht hat. Immer wieder hören wir sehr viele und sehr intensive Evviva-Rufe. Also ich kann mich nicht entsinnen, das in dieser Intensität jemals erlebt zu haben.
DOMRADIO.DE: Welche Päpste wurden denn ähnlich enthusiastisch von den Römern begrüßt?
Nersinger: Es gibt ein historisches Beispiel, als Pius IX. 1846 gewählt wurde. Er war ein junger Papst, der als liberal galt, der auch Sympathien für die italienische Einheitsbewegung hatte. Er wurde frenetisch gefeiert, auch mit Evviva-Rufen.
Nach seiner Wahl im Quirinal wollte er mit der Kutsche nach St. Peter fahren. Er erlebte dann etwas sehr Seltsames. Junge Männer hielten ihn auf, rasten zu den Pferden, so dass man Angst bekam. Was dann aber unglaublich war, die Männer spannten die Pferde aus und zogen die Kutsche des Papstes mit ihrer Muskelkraft nach St. Peter. So groß war die Begeisterung. Man muss aber sagen, diese Begeisterung hielt nicht während des ganzen Pontifikats an.
DOMRADIO.DE: Wie ist das bei Papst Leo XIV.? Kann man von den Evviva-Rufen auf ein erfolgreiches Pontifikat schließen?
Nersinger: Da wäre ich sehr vorsichtig. Bei Pius IX. war es so, als er sich nicht mehr bereiterklärte, gewissen Forderungen der Römer zu entsprechen, hörte man "Abbassa", also "nieder mit ihm". Das erinnert ein wenig an die Karwoche, wo man Christus ja zunächst ein "Hosianna" entgegenrief und dann nur wenige Tage später ans Kreuz brachte.
DOMRADIO.DE: Schauen wir mal aufs Gegenteil. Gab es einen Papst, der mit Buhrufen oder anderen negativen Reaktionen in Rom empfangen wurde?
Nersinger: Ja, der arme Hadrian VI., ein deutscher Papst, der zwar in Utrecht geboren wurde, das aber damals zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gehörte und er somit vor Benedikt XVI. als letzter deutscher Papst galt. Er war ein sehr sittenstrenger Papst, Erzieher des Kaisers, der in Spanien lebte. Er hatte von Anfang an bei den Römern schlechte Karten.
Er galt ihnen als viel zu sittenstreng und zu moralisch. Mit ihm wurden sie nicht warm. Und als er dann 1523 starb, liefen die Römer zur Wohnung des päpstlichen Leibarztes und hingen dort über der Tür ein Schild auf, wo drauf stand: "Unser Dank, dem Retter und Befreier des Vaterlandes". Also eine sehr harte Reaktion.
DOMRADIO.DE: Würde ich auch sagen. Was glauben Sie, womit könnte Papst Leo XIV. bei den Römern weiterhin punkten?
Nersinger: Ich denke, so, wie er sich bisher gegeben hat. Authentisch, souverän, menschenfreundlich und prinzipienfest. Und ich glaube, wenn er diese "Mischung" beibehält, hat er Chancen. Aber man weiß halt nie, wie die Zeiten sich ändern.
Das Interview führte Carsten Döpp.