Wie geht es der französischen Kirche nach den Missbrauchsfällen?

Opfer und Bevölkerung sind enttäuscht

Er möchte, dass das Leben in der Diözese weitergeht. So äußerte sich der französische Kardinal Philippe Barbarin nach dem Treffen mit Papst Franziskus. Was denken die katholischen Gläubigen in Frankreich, welche Schritte müssen nun folgen?

Kathedrale Notre Dame im Nebel in Paris / © Corinne Simon (KNA)
Kathedrale Notre Dame im Nebel in Paris / © Corinne Simon ( KNA )

DOMRADIO.DE: Der Papst hat den Rücktritt von Kardinal Barbarin nicht angenommen, obwohl dieser zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden ist, weil er Fälle sexueller Übergriffe auf Minderjährige nicht angezeigt haben soll. Können Sie die Entscheidung von Papst Franziskus nachvollziehen?

Pfarrer Markus Hirlinger (Pfarrer der deutschsprachigen katholische Kirchengemeinde Sankt Albertus Magnus, Paris): Zunächst ist es schwer nachzuvollziehen, nachdem es die Treffen der Vorsitzenden der Bischofskonferenzen in Rom und in den einzelnen Ländern gab. Da war überall die Linie und Vorgabe "Null-Toleranz" bezüglich dieser Themen. Erstaunlich ist, dass jetzt der Papst dieses Rücktrittsangebot von Philippe Barbarin nicht angenommen hat. In den Medien sind große Schlagzeilen zu lesen, dass man überrascht und auch enttäuscht ist.

Es wird einfach spekuliert, dass der Papst da dieses zweite Urteil noch abwartet, weil Barbarin ja in Berufung ging und dass er zunächst von der Unschuldsvermutung ausgeht, bis die zweite Instanz entschieden hat. Da kann man noch ein bisschen Verständnis für haben, dass der Papst da noch abwartet.

DOMRADIO.DE: Allgemein aber ist ja erwartet worden, dass der Rücktritt angenommen wird, damit das Bistum Lyon einen Neuanfang machen kann. Wie gehen die Menschen jetzt mit dieser Entscheidung des Papstes um?

Hirlinger: Das ist jetzt natürlich noch ganz frisch. Das heißt, ich hatte noch wenig Möglichkeit, wirklich mit vielen Menschen zu reden, wie sie jetzt damit umgehen. Aber es ist natürlich anzunehmen, dass die Opfer dadurch verletzt sind. Also die Opfer, die sich schon seit dem Jahr 2014 im Blick auf Kardinal Barbarain nicht ernst genommen fühlten. Als er den Priester weiterarbeiten ließ, der da in den 70er Jahren Pfadfinder missbraucht hat. Die Opfer sind in jedem Fall enttäuscht. Ich vermute natürlich, viele in der Bevölkerung auch.

Man unterscheidet schon auch zwischen der moralischen Schuld, die man dann einfach anerkennen muss, und der juristischen Schuld, die eben jetzt nochmal in einer zweiten Instanz zu klären ist. Man hat jetzt auch diesen Film "Grace a Dieu" sehen können. Der hatte schon über 500.000 Besucher und da ist ein bisschen zu ahnen, wie es den Opfern ging. Wahrscheinlich sind sie jetzt enttäuscht, davon gehe ich aus. Aber da muss man jetzt vielleicht doch noch abwarten, bis die zweite Entscheidung fällt.

DOMRADIO.DE: Gegen den Nuntius in Parism, Luigi Ventura, läuft ein Ermittlungsverfahren wegen sexueller Übergriffe. Wie präsent sind diese Vorwürfe bei den Katholiken?

Hirlinger: Wenig. Der Nuntius ist der Botschafter des Vatikan in Frankreich seit etwa 2009. Normalerweise liest man von einem Nuntius sehr wenig. Ich selber konnte nur einmal in den Medien über diese Vorwürfe gegen ihn in den letzten Wochen lesen. Es handelt sich wohl um Vorwürfe der Berührung von Erwachsenen, auch in der Öffentlichkeit. Er ist 74 Jahre alt und vielleicht wird es nicht ganz ernst genommen. Jetzt steht ja auf jeden Fall die politische Entscheidung zwischen dem Vatikan und dem französischen Außenministerium an, ob die Immunität aufgehoben wird. Aber tatsächlich lese ich ganz wenig.

DOMRADIO.DE: Ein anderes Thema bei Ihnen ist ja auch, dass es seit Jahresbeginn in Frankreich immer wieder Vandalismus gegen Kirchen gegeben hat. Doch diese Vorfälle werden ja kaum thematisiert, das meldet die FAZ zumindest. Können Sie diesen Eindruck teilen, dass über Sachbeschädigungen gegen Kirchen im Moment nicht gesprochen wird?

Hirlinger: Ich würde jetzt nicht sagen, dass es bewusst klein gehalten wird.

Ich habe gelesen von vier größeren Kirchen, bei denen es Beschädigungen gab, davon eine in Paris. Da wurden zum Beispiel die Altardecken zerschnitten und das Messbuch zerrissen, auch Hostien aus dem Tabernakel wurden entfernt. Da kann man wirklich ahnen, dass das jetzt auch gegen die Kirche geht oder gegen die Religion. Und man hört ja nur, dass der Bürgermeister Stellung bezieht und der Pfarrer vor Ort. Man hört da nicht viel.

DOMRADIO.DE: Auch der Brand in der berühmten Pariser Kirche San Sulpice soll Brandstiftung gewesen sein. Zumindest gibt es da die Vermutung. Gibt es in Frankreich aktuell eine besonders aggressive "anti-katholische" Stimmung?

Hirlinger: Das war in der Tat in Sant Sulpice, das ist nach Notre Dame die größte Kirche in Paris. Die Außenfassade wurde da in Brand gesetzt. Eine ganz schöne Außenfassade aus dem 17. Jahrhundert mit so Kolossaden und schönen Säulen.

Man sagt, dass der Schaden sich wahrscheinlich auf ungefähr 900.000 Euro beläuft. Der Pfarrer, der vor Ort ist, betont, dass man nicht von anti-religiöser Tendenz ausgehen kann, bevor die Untersuchungen ganz abgeschlossen sind. 

Ich selber würde auch eher sagen, dass das wahrscheinlich eine einzelne Geschichte ist. An diesen Orten von Menschen, die ihre Wut und Aggression zum Ausdruck bringen, auf irgendeine Weise. Aber in der Tat nehme ich wahr, dass diese Vorfälle in der Prese nicht stark vertreten sind. Aber Sie hatten gefragt nach der anti-katholischen Stimmung. Das würde ich so noch nicht bestätigen. Aber Enttäuschung und Trauer sind auf jeden Fall da. Das kann ich ein bisschen wahrnehmen, auch in der Gemeinde, in der ich bin.

DOMRADIO.DE: Wie optimistisch sind Sie denn, dass die französische Kirche die aktuelle Krise überwinden kann?

Hirlinger: Es geht ja nicht nur um die französische Kirche, sondern um die katholische Kirche weltweit. Da steht sicherlich ein Umbruch an und wir Christen oder wir Gläubige kennen das Thema schon, dass man auch durch die Wunde hindurch gehen muss, durch das Kreuz hindurch, durch das Schwere hindurch. Danach kommt eben doch wieder Licht und Auferstehung.

Ich bin davon geprägt. Vielleicht würden da manche staunen, wenn wir das so betonen. Ich bin eher optimistisch und zuversichtlich. Ich sehe auch immer mehr Menschen, die bereit sind, jetzt auch größere Themen anzugehen – eben auch die, die die Verantwortung in der Kirche haben, sodass sich die Kirche auch verändert. Durch diesen Umbruch hindurch bin ich eigentlich optimistisch eingestellt.

DOMRADIO.DE: Jetzt sind sie vor allem für die deutschsprachigen Katholiken in Paris da. Spielen da die Missbrauchsfälle in Frankreich und Deutschland im Alltag eine große Rolle? Wie erleben Sie das in Ihrer Gemeinde?

Hirlinger: Ich würde sagen, sie spielen eine Rolle, aber keine große. Ich predige auch mal darüber, aber man mag das ja auch nicht an jedem Sonntag zum Thema machen. In den Fürbitten kommt es dann schon öfter vor, dass man vor allem für die Opfer, aber auch mal für die Täter betet. Und das höre ich auch von den französischen Gemeinden und von anderen, dass man das in den Fürbitten ganz häufig zum Thema hat.

Ich erlebe es dann ein wenig nach den Gottesdiensten, wenn wir uns zum Gespräch zusammenstellen. Aber doch eher am Rande. Eher, wenn ich nachfrage, wird es zum Thema gemacht.

Das Interview führte Katharina Geiger.


Markus Hirlinger / © Hirlinger (privat)
Markus Hirlinger / © Hirlinger ( privat )
Quelle:
DR
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