Wie eine Stiftung den Wassermangel in Äthiopien bekämpft

"Es ist ein Teufelskreis"

In Äthiopien herrscht eine der schwersten Dürren der letzten Jahrzehnte. Die Stiftung "Menschen für Menschen" kämpft unter anderem mit Wiederaufforstung dagegen an. Den größten Erfolg erreicht man jedoch auf einem anderen Weg.

Mädchen an einem Brunnen / © Riccardo Mayer (shutterstock)
Mädchen an einem Brunnen / © Riccardo Mayer ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Wie kritisch ist denn die Situation konkret in Äthiopien? 

Dr. Sebastian Brandis (Vorstand der Stiftung "Menschen für Menschen"): Die Lage ist wirklich kritisch, insbesondere im Osten von Äthiopien. Es gibt da sehr bergige Regionen, wo es viel regnet. Aber es gibt auch wirklich große Landstriche, insbesondere an der Grenze zu Somalia, wo es sehr, sehr dramatisch ist. Es sind ja zum Großteil Nomaden, die vom Vieh leben. Die Frauen und Kinder wohnen in Städten, die Männer ziehen mit dem Vieh umher. Und nicht nur das Trinkwasser fehlt, sondern auch das Wasser für das Vieh. Damit geht die Lebensgrundlage kaputt. Es ist ein Teufelskreis, der sich nach unten fortsetzt. 

Dürre in Äthiopien / © Michael Tewelde/WFP/AP/ (dpa)
Dürre in Äthiopien / © Michael Tewelde/WFP/AP/ ( dpa )

DOMRADIO.DE: Was können Sie tun, um die Wasserversorgung gerade in den ländlichen Gebieten Äthiopiens zu verbessern? 

Brandis: Man muss immer zwei Situationen betrachten. Zum einen die akute Unterstützung und zum anderen die strukturelle Veränderung, sodass sich die Menschen nach unserem Motto "Hilfe zur Selbstentwicklung" selbst versorgen können.

In Somalia oder in Somaliland, dem Teil in Äthiopien, der an Somaliland angrenzt, machen wir Tiefbrunnen-Bohrungen. Das ist die einzige Chance, dort Wasser zu finden. Das sind dann 200 bis 300 Meter tiefe Bohrlöcher. Ich kann berichten, dass wir gestern tatsächlich Wasser gefunden haben, was sehr erfreulich ist. Die Regierung und die dortigen Menschen sind sehr froh.

Jetzt müssen wir das mit einem Schacht ummanteln. Das ist auch ein Unterfangen, weil die Geologie das aushalten muss. Der akute Bedarf wird also durch Brunnen oder Tiefbrunnen ermöglicht. Gleichzeitig muss man aber nachhaltig versuchen, die ganze Struktur, insbesondere das Ökosystem, zu rekonstruieren, damit die Feuchtigkeit besser gehalten werden kann. 

Eine Äthiopierin schöpft Wasser aus einer Zisterne / © Bettina Ruehl (epd)
Eine Äthiopierin schöpft Wasser aus einer Zisterne / © Bettina Ruehl ( epd )

DOMRADIO.DE: Stichwort Wiederaufforstung. 

Brandis: Unter anderem durch Wiederaufforstung. Da kann man es gut erklären. Man kann sich das ja vorstellen. Ein Wald hält die Feuchtigkeit besser, zieht auch wieder das Grundwasser hoch, was sich mit der hohen Dürre absenkt.

Die Leute denken immer, die Wasserkrise ist vielleicht die nächste Ölkrise. Der strukturelle Unterschied zu Öl ist, dass das Öl irgendwann weg sein wird, das Wasser aber immer da bleibt. Wasser wird bestehen bleiben, aber es verteilt sich anders auf der Welt.

Aus der Physik weiß man, dass die Luft mehr Wasser speichern kann, wenn es wärmer wird. Es wird weniger regnen und es werden sehr komplexe neue Kreisläufe entstehen, die wir heute noch gar nicht durchschauen. Der klassische Verdunstungs- und Abwägungsprozess wird nicht mehr so rhythmisch sein und sich so abspielen, wie wir es bisher kennen.

Das hat natürlich auf die Bauern, die direkt von der Ernte leben, dramatische Effekte, sodass wir jetzt versuchen müssen, durch Aufforstungen ganzheitlich aber auch durch die Überwachung der Wassersysteme frühzeitig reagieren zu können. 

Dr. Sebastian Brandis, Vorstand der Stiftung "Menschen für Menschen"

"Wasser wird bestehen bleiben, aber es verteilt sich anders auf der Welt."

DOMRADIO.DE: Ein wichtiger Aspekt bei "Menschen für Menschen" ist es, auch mit den Leuten über die Problematik zu reden, oder?

Ein Imker bei der Arbeit / © santypan (shutterstock)

Brandis: Ja. Es gibt sehr viele Aufforstungsprojekte nach dem Motto "Wir haben eine Million Bäume gepflanzt". Das ist nicht der kritische Erfolgsfaktor. Jeder kann eine Million Bäume pflanzen. Die Kunst ist, die Menschen zu überzeugen, dass sie die Bäume schützen. Denn die Menschen holzen ja die Bäume ab, weil sie davon leben. Entsprechend ist der entscheidende Punkt: Wie kriege ich die Menschen ökonomisch so weit unterstützt, dass sie nicht mehr abholzen müssen?

Also, was machen wir? Ein sehr schönes Beispiel ist, dass wir die Menschen zu Imkern machen. Dann haben sie ein Eigeninteresse, dass der Baum bestehen bleibt, denn nur dann gibt es Bienen. Man muss ihnen auch Öfen geben, dass sie nicht mehr so viel Holz brauchen. Man muss ihnen alternative Einkommensmethoden geben. Dann erst überlebt der Wald.

Dann sind die Menschen selbst so begeistert davon, dass sie die Bäume freiwillig schützen. Das ist der entscheidende Veränderungsprozess. Dann kommen die Geschichten wie "Mein Großvater hat immer erzählt, dass es hier überall Wald gab und jetzt sehe ich, was für ein toller Effekt das ist". Das ist eigentlich das Schöne in der Zusammenarbeit, dass diese Erfahrung so durchschlägt. 

Dr. Sebastian Brandis, Vorstand der Stiftung "Menschen für Menschen"

"Jeder kann eine Million Bäume pflanzen. Die Kunst ist, die Menschen zu überzeugen, dass sie die Bäume schützen."

DOMRADIO.DE: Sie brauchen nach wie vor auch Spenden. Wie schwierig ist es in der derzeitigen Situation mit großer Inflation und mit einem Krieg in der Ukraine die Spenderinnen und Spender davon zu überzeugen, dass diese nachhaltige Hilfe zur Selbsthilfe, die "Menschen für Menschen" macht, sinnvoll ist?

Eine äthiopische Frau teilt gespendeten Weizen in Portionen / © Ben Curtis (dpa)
Eine äthiopische Frau teilt gespendeten Weizen in Portionen / © Ben Curtis ( dpa )

Brandis: Auf der einen Seite gehen die Spenden durch andere Krisen zurück. Das merkt man. Wir merken, dass die Leute auf andere Dinge konzentriert sind. Persönlich muss ich sagen, dass es natürlich auch andere Themen gibt und ich überhaupt kein Wettbewerb erzeugen will. Darum geht es nicht.

Mir geht es eher darum, dass mehr Leute, die vielleicht früher nicht gespendet haben, erkennen, dass in der Welt generell etwas zu tun ist.

Aber wir haben, Gott sei Dank, auch gleichzeitig die Hilfe von Dauerspendern, die erkennen, dass die Dinge miteinander zusammenhängen. Durch die Getreideblockaden in der Ukraine hat es zudem noch eine Nahrungsmittel-Problematik gegeben, sodass auch wieder einige Menschen erkannt haben, dass wir gleichzeitig in Ostafrika was tun müssen und helfen müssen, damit die Menschen dort durch diesen Domino-Effekt nicht erst recht leiden.

Das Interview führte Martin Mölder. 

Äthiopien - Armenhaus am Horn von Afrika

Äthiopien ist mit rund 100 Millionen Einwohnern nach Nigeria das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Trotz eines hohen Wirtschaftswachstums (2015: 10,2 Prozent) lebt fast jeder dritte Äthiopier in extremer Armut. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt im Schnitt bei 590 US-Dollar. Jedes vierte Kind unter fünf Jahren gilt als untergewichtig.

Dieses Jahr erlebte das Land die schlimmste Dürre seit Jahrzehnten, Millionen hungerten. Zuletzt kam es zu Unruhen mit Dutzenden Toten und der Ausnahmezustand wurde verhängt.

Bischofskonferenz: Reise nach Äthiopien / © Jörn Neumann (DBK)
Bischofskonferenz: Reise nach Äthiopien / © Jörn Neumann ( DBK )
Quelle:
DR