Der spanische König Felipe VI. hatte am Montagvormittag noch die Hände vieler Madrider Schulkinder geschüttelt, die am Eingang eines prächtigen Konferenzsaals auf ihn warteten. "Give me five", sagte er ihnen, als er aus dem Madrider Real Casino kam. Er hatte den INVEST IN SPAIN SUMMIT eröffnet. Investoren aus aller Welt waren angereist, um mit Ministern und Unternehmen über Investitionen im Land zu sprechen. Nach einer kurzen Runde ausgetauschter Freundlichkeiten mit den Schülern stieg der hochgewachsene König in seinen Dienstwagen ein, umgeben von Dutzenden Sicherheitsleuten. Die Polizei sperrte um ihn herum alles ab. Ein idyllisches Bild. Nur etwas mehr als zwei Stunden später geht das Licht in ganz Spanien aus.
Fünf Sekunden wurde das Netz durch eine starke Produktionsschwankung so gefährlich belastet, dass auf der gesamten Iberischen Halbinsel der Strom ausgeschaltet werden musste. Fünfzehn Gigawatt Erzeugung - das entspricht etwa sechzig Prozent des Bedarfs des Landes – hätten plötzlich im Netz gefehlt, verkündete Premier Pedro Sánchez später am Abend. Obwohl es kaum noch einer lesen konnte, begannen im Netz die wildesten Spekulationen und damit setzte bei einigen Bürgern die Panik ein. Es könnte eine Cyberattacke gewesen sein und der Stromausfall könnte fünf Tage dauern, schrieb die Internetzeitung OkDiario, obwohl offizielle Stellen bereits von maximal zehn Stunden sprachen und eine Cyberattacke eher ausschlossen.
Ein Tag für die Familie
Das alles hat nicht nur zu einem enormen Schaden der spanischen Wirtschaft geführt, sondern auch dem Ruf der Iberischen Halbinsel als Referenz für erneuerbare Energie, niedrige Strompreise und Hort der Sicherheit geschädigt. Der Ruf der Kirche wurde jedoch nicht geschädigt durch den Blackout, weil sie klarmachte, wie wichtig in der Krise ihre Seelsorge und Obhut ist. Manche Kirchenvertreter dürfte sich auch insgeheim gefreut haben, dass die Schäfchen mal auf andere Gedanken kamen als immer nur vor dem PC oder Fernsehen zu sitzen.
Viele spanische Christen kritisieren, dass die Familien zu wenig Zeit miteinander bringen und die Kinder zu sehr von sozialen Netzwerken abhängen. Dank des Stromausfalls waren die Parks jedoch plötzlich bis zum Sonnenuntergang überfüllt. Väter und Mütter waren früher nach Hause gekommen und spielten Basket- und Fußball mit ihren Kindern. Die Hunde wurden freigelassen und amüsierten sich, während die Menschen auf den Straßen zusammen standen und miteinander berieten, was nun zu tun sei. Einige Nachbarn mit Gasherd kochten für die Kinder anderer und manche blieben bei den Freunden, bis das Licht wieder anging in den späten Abendstunden. Jeder wollte plötzlich das Tageslicht nutzen, bevor es dunkel wird. Einige hatten ein Transistorradio mit Batterien im chinesischen Kiosk ergattert und hörten es auf einer Bank sitzend. Andere setzten sich dazu. Niemand wollte allein sein.
Kirche zeigt sich unbeeindruckt vom Stromausfall
In vielen spanischen Kirchen war der schicksalhafte Montag eigentlich vorgesehen gewesen, um im Anschluss an die historische Beerdigung von Papst Franziskus in Rom Messen für die Seele des Papstes zu halten. Einige verschoben die Messen auf den Folgetag, andere wie in Burgos hielten die Gedenkgottesdienste mit Kerzen ab. Im Süden des Landes, in Andalusien blieb es dunkel bis in die Abendstunden, aber bei Kerzenlicht und mit einem Megafon-Mikrofon in der Hand spendete Rafael Zornoza, der Bischof von Cádiz, einer Gruppe junger Menschen in der Kirche La Palma in Algeciras dennoch wie geplant das Sakrament der Firmung. In vielen spanischen Dörfern wurden die Glocken wieder per Hand geläutet, wie in Eslida, in der Nähe von Valencia, wo der gelernte Klöckner Jose Vicente Manzana zur Hilfe kam.
Das spanische staatliche Radio (RNE), das von Anfang an als fast einziges Sprachrohr über den Stromausfall, seine Folgen und nützliche Hinweise berichtet, hatte dabei eine enorme Leistung vollbracht, weil es vielen älteren allein lebenden Menschen in den einsamen Stunden zu Hause im Dunkeln in den Schlaf begleitet hat. Metro wie Züge fielen aus und das Rote Kreuz war vor allem in den Bahnhöfen im Einsatz, wo Hunderte von Reisenden gestrandet waren, weil der Verkehr vom Stromausfall bis Dienstmorgen ausgesetzt worden war. Einige Züge, wie in Valencia geschehen, wurden sogar auf der Fahrt gestoppt und die Passagiere mussten evakuiert werden.
Keine kriminellen Vorkommnisse oder schwere Unfälle
Es erinnerte an die Flut in der Eifel und an der Ahr, aber die Stimmung war viel zivilisierter und fröhlicher, wie es das Naturell der Spanier ist. Nur der Madrider-Verkehr war ohne Ampeln chaotisch. Es passiert jedoch nichts Schwerwiegendes. "Wir können mit Freude mitteilen, dass es zu keinen besonderen Unfällen oder Ereignisse wegen fehlender Sicherheit gekommen ist," ließ Ministerpräsident Pedro Sánchez in einer seiner vielen Pressekonferenzen und Ansprachen wissen.
König Felipe VI. als Staatsoberhaupt und Chef des Militärs musste dagegen nach der Pandemie, dem Schnee-Chaos in Madrid, dem Vulkanausbruch auf Palma und der Flut in Valencia erneute den Kopf hinhalten. Er leitete die Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates im Regierungssitz, dem Moncloa-Palast, am Dienstagmorgen. Einige wie die vielen chinesischen Kioske in Spanien, dürften sich allerdings über den Stromausfall insgeheim gefreut haben, da ihnen die Nachfrage bis in die späten Abendstunden nach Batterien, Wasser, Radios und Essen einen Rekordumsatz verschaffte.