DOMRADIO.DE: Hat der deutsche Jakobsweg einen "Papa"?
Beate Steger (Autorin und Pilgerexpertin): Ja, den Paul Geißendörfer. Das war ein evangelischer Gemeindepfarrer im Heilsbronner Münster in Franken. Er ist mittlerweile 90 Jahre alt und erfreut sich bester Gesundheit. Er hat immer Gemeindefahrten angeboten zu anderen Klöstern, denn in Heilsbronn gab es im Mittelalter ein Zisterzienserkloster.
So kam er nach Vézelay in Burgund. Das ist ein berühmter Wallfahrtsort, wie wir heute wissen. Aber er wusste es damals nicht. Vézelay lag und liegt auf einem Jakobsweg, es ist ein ganz wichtiger Ort auf dem Weg nach Santiago de Compostela.
Bei der Reise war eine Studentin dabei, Angela Treiber. Sie hat sich dort mit einem Pfarrer unterhalten und Geißendörfer hat sie danach gefragt: "Angela, worüber hast du denn mit dem Pfarrer gesprochen?" Und dann hat sie gesagt: "Ich habe mit ihm über die Jakobswege gesprochen. Mir geht es nur um die Jakobswege, nicht um die Zisterzienser, deshalb bin ich überhaupt mitgekommen."
DOMRADIO.DE: Das heißt, der gute Mann wusste das eigentlich gar nicht und wird jetzt "Vater der deutschen Jakobswege" genannt?
Steger: Ja. Er kam dann wieder nach Hause und hat erst fünf Jahre später, 1990, angefangen, alles Mögliche über den Jakobsweg zusammenzutragen. Er wusste, das Heilsbronner Münster ist Maria und Jakobus geweiht, und er wusste, dass es in Nürnberg und in Rothenburg ob der Tauber auch Jakobskirchen gibt.
Er hat weiter recherchiert und dann herausgefunden, dass es auf dieser Strecke zwischen Nürnberg und Rothenburg ob der Tauber sechs Jakobskirchen gibt. Dann hat er die Vertreter eingeladen und so haben sie entdeckt, dass es im Mittelalter schon einen Weg gegeben haben muss, und haben dann tatsächlich einen Prospekt herausgebracht. Damals musste man sich als Pilger den Weg noch selbst suchen, es waren nur die Stätten dazwischen aufgeführt. So kam es, dass er praktisch der Vater der deutschen Jakobswege wurde.
DOMRADIO.DE: Er wird viel zitiert und es wurde viel über ihn geschrieben. Unter anderem gibt es im Magazin "Der Pilger" eine Sonderausgabe über das Pilgern vor der Haustür. Hatte denn Herr Geißendörfer selbst auch ein Lieblingsstückchen Weg?
Steger: Er ist natürlich diese Strecke, die irgendwann zwischen Nürnberg und Rothenburg auch richtig ausgearbeitet wurde, mehrfach gelaufen. Das sind jetzt mittlerweile 99 Kilometer. Für ihn ist es, glaube ich, gar nicht so wichtig, wo er unterwegs ist. Er ist immer unterwegs mit diesem Bibelwort aus dem Hebräerbrief: "Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir." Das ist für ihn das Wichtigste am Pilgern.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.