Wie der Abschied vom Leben gelingen kann

Mit mehr Leichtigkeit dem Ende entgegen

Jeder wird einmal sterben. Dennoch fällt es den meisten Menschen schwer, über ihre Vorstellungen am Lebensende nachzudenken und zu sprechen. Ein neues Buch will eine Brücke schlagen und dem Thema die Schwere nehmen.

Autor/in:
Angelika Prauß
Eine Betreuerin sitzt mit einer Seniorin zu Hause am Tisch / © Julia Steinbrecht (KNA)
Eine Betreuerin sitzt mit einer Seniorin zu Hause am Tisch / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Der Gedanke an den eigenen Tod oder den von lieben Menschen wird gerne verdrängt. "Zu schwer scheint uns das Thema, um damit unser schönes Leben zu belasten", schreibt Christine Kempkes. Die Trauerbegleiterin und Buchautorin plädiert dafür, "dem Tod möglichst angstfrei, unerschrocken und mutig ins Gesicht zu schauen" und ihm mit mehr Leichtigkeit zu begegnen. Ihr Buch "Abschied gestalten" gibt dabei hilfreiche Anregungen.

So sei es am Lebensende ratsam, mit den schwindenden Kräften zu haushalten und sich und dem Umfeld den Druck zu nehmen, noch jeden Moment gut nutzen zu müssen. Kempkes ermutigt dazu, Termine abzusagen, wenn sie einem zu viel werden, und sich mit Menschen zu umgeben, die einem gut tun. Auch eine Liste mit kleinen Kraftquellen könne helfen, den Blick darauf zu lenken, was noch möglich ist - etwa das Erfüllen letzter Wünsche. Hilfreich für Angehörige sei dabei auch die Frage: "Was würdest du nach dem Tod deines geliebten Menschen bereuen, nicht getan zu haben?"

Rituale, wenn die Worte fehlen

Sprechen über die eigenen Gefühle und Bedürfnisse hilft - das gilt auch beim Thema Sterben und Tod. Die meisten fühlten sich für solche Gespräche "zu jung, zu lebendig, zu verliebt, zu beschäftigt, zu müde, zu krank, zu alt. Und irgendwann ist es dann zu spät", beobachtet Kempkes.

Palliativmedizin und Hospizbewegung

Palliativmedizin ist die Behandlung von Patienten mit einer nicht heilbaren, weit fortgeschrittenen Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung, beispielsweise Krebs, Demenz oder Aids. Ziel ist dabei nicht mehr die Heilung, sondern die Linderung von Schmerzen und die Sicherung möglichst hoher Lebensqualität. Dazu gehört nicht nur Schmerztherapie, sondern auch die psychologische und spirituelle Begleitung der Patienten und ihrer Angehörigen.

Palliativmedizin in Deutschland (dpa)
Palliativmedizin in Deutschland / ( dpa )

Aber wie dieses sensible Thema ansprechen, wenn die Eltern alt sind oder der Partner eine lebensverkürzende Diagnose bekommen hat? Die Trauerbegleiterin nennt nicht nur sensible Formulierungshilfen, sie verweist auch auf Rituale, wenn die Worte fehlen. So könne eine besondere Kerze angezündet werden - als Zeichen, dass das Gegenüber etwas auf dem Herzen habe.

Spiritualität spielt am Lebensende oft eine Rolle

Vor allem, wenn Konflikte schon lange schwelen, wenn Menschen unversöhnt sind und die Beziehung zerrüttet, ist es aus Sicht der Expertin am Lebensende Zeit für eine Aussprache. Sie sei wichtig, um sich gut verabschieden zu können - in den eigenen Tod, aber auch in das Leben nach dem Versterben des Konfliktpartners. Kempkes stellt das hawaiianische Vergebungsritual Ho'oponopono - "etwas in Ordnung bringen" - vor. Kernelemente sind die Formulierungen "Es tut mir leid. Bitte verzeih mir. Ich liebe dich. Danke."

Auch das Thema Spiritualität taucht aus Erfahrung Kempkes am Lebensende oft wieder auf. Für manche Menschen sei es eine tröstliche Vorstellung, dass nach ihrer Leidenszeit schlicht alles vorbei ist. Andere finden nach Beobachtung der Trauerbegleiterin Trost in dem Gedanken, geliebte Verstorbene bald wiederzusehen oder geborgen bei Gott zu sein. Die Autorin, die ehrenamtlich Sterbende begleitet, erlebt nach eigenen Worten aber auch, "dass Menschen, die sich nie als gläubig bezeichnet haben, im Angesicht des Todes doch noch einmal ins Nachdenken kommen. Plötzlich weiten sich die Gedanken, bisher Undenkbares wird vorsichtig angedacht."

Gemeinsame Erinnerungen schaffen

Was soll von mir bleiben, was möchte ich meinen Lieben hinterlassen? Fragen, die sich Menschen an ihrem Lebensende stellen. Kempkes lädt ein, durch gemeinsame Unternehmungen schöne Erinnerungen zu schaffen - noch einmal ans Meer fahren oder ein Abschiedsfest mit lieben Menschen feiern: "Die Erinnerung von morgen ist das Tun von heute." Auch persönliche Briefe, eine Playlist mit der Lieblingsmusik oder eine Sammlung der Lieblingsrezepte können später für die Hinterbliebenen eine Brücke sein, sich mit dem Verstorbenen zu verbinden.

Kempkes wirbt dafür, das Leben bis zum letzten Atemzug in Würde zu gestalten. Ein Anliegen ist es ihr dabei, auf die vielfältigen Möglichkeiten palliativer Unterstützung hinzuweisen. Diese ist aus ihrer Erfahrung hierzulande inzwischen überall möglich - nicht nur im Krankenhaus, Pflegeheim und Hospiz, sondern durch mobile Angebote auch im vertrauten Umfeld. Für die letzte Lebensphase hat Kempkes wertvolle Tipps, welche Berührungen und Worte dem Sterbenden helfen.

Auch ungewöhnliche Wege beschreiten

Die "Schleusenzeit" bis zur Beisetzung sollten die Hinterbliebenen in ihrem Tempo nutzen und nicht alle Aufgaben an Bestatter abgeben. Für die Trauerfeier könne beispielsweise eine eigene Kerze gestaltet werden, die später zu Hause in einer Erinnerungsecke entzündet werden kann.

Kempkes lädt auch hier ein, ungewöhnliche Wege zu beschreiten: Warum die Abschiedsfeier vom Fußballer nicht im Heim des Sportvereins oder die des Bandmitglieds im Proberaum stattfinden lassen? Sind Angehörige und Freunde weit verstreut, organisiert sie auch Online-Gedenkfeiern.

Lebenslanger Prozess

Die Urne kann unterdessen von einem Hinterbliebenen - und nicht vom Bestatter - zum Grab getragen werden. Manche Krematorien ermöglichen es aus Kempkes' Erfahrung, dass Hinterbliebene vor der Einäscherung noch eine kleine Zeremonie abhalten und dabei sein können, wenn der Sarg dem Feuer übergeben wird.

Sich vom eigenen Leben oder dem von nahestehenden Menschen zu verabschieden - für Kempkes ist das ein lebenslanger Prozess. Es gelte, die vielen kleinen und großen Abschiede des Lebens bewusst zu erleben und das eigene Leben "so zu gestalten, dass es jederzeit enden könnte". Dazu zählt für die Trauerbegleiterin die Bereitschaft, mit sich selbst im Reinen zu sein - ohne ungelöste Konflikte oder ungeklärte Beziehungen. Eine ehrliche Bestandsaufnahme über offene Lebensthemen helfe nicht nur am Lebensende, Prioritäten neu zu setzen und Überflüssiges loszulassen. Der Lohn für diese Bilanz - neue Lebendigkeit und Leichtigkeit.

Quelle:
KNA