Wie das Kloster Ettal Geschädigten individuell helfen will

Telefonate um Mitternacht

Die oberbayerische Benediktinerabtei Ettal hat den Opfern von Missbrauch und Gewalt individuelle und kompetente Hilfe zugesagt. Außerdem sollen die Strukturen im Kloster so verändert werden, dass solche Übergriffe nie wieder geschehen könnten.

Autor/in:
Barbara Just
 (DR)

Mit dem beschaulichen Klosterleben in der Idylle der oberbayerischen Bergwelt ist es in Ettal seit Ende Februar vorbei."Es sind harte Tage für uns", gibt der zurückgetretene Prior und frühere Schulleiter Pater Maurus Kraß am Freitag unumwunden zu. Zu schwer wiegen die Vorwürfe sexueller und gewalttätiger Übergriffe, die Benediktiner in den zurückliegenden mehr als 40 Jahren Schülern des Internats zugefügt haben sollen. Von mehr als 100 Opfern ist die Rede und von zehn Tätern, von denen vier bereits gestorben sind. Gegen drei Ordensleute ermittelt derzeit die Staatsanwaltschaft.

Um so wichtiger ist den Benediktinern jetzt, sich um die Geschädigten individuell zu kümmern, wie der derzeitige Vakanz-Administrator Pater Emmeram Walter betont. Vor allem der zurückgetretene Abt Barnabas Bögle und Pater Maurus Kraß stehen neben den von der Erzdiözese München-Freising eingesetzten Ombudsleuten für Gespräche zur Verfügung. Die beiden Patres, die ihre Ämter im Laufe der Aufklärungsarbeit unter Druck des Erzbistums niederlegten, wollen sich ihrer Verantwortung stellen, wie sie betonen. "Wir schmücken uns mit barocken Benediktinerautoren, nun müssen wir auch die dunkle Seite der Geschichte annehmen", so Bögle.

Oft bleibt es nicht bei einem Anruf
Manchmal klingelt spät in der Nacht das Telefon bei ihm oder Pater Maurus. Um 23.30 Uhr, als die drei Kinder im Bett sind und auch die Ehefrau schläft, traut sich ein Betroffener endlich zu reden. In den 1970er Jahren musste er sexuelle Übergriffe in Ettal erdulden. Seine Eltern glaubten ihm nicht, ja schimpften ihn sogar, solche Behauptungen aufzustellen. Seither hat er nie wieder mit einem Menschen darüber gesprochen - bis zu dieser Nacht. "Als er mich drei Tage später noch einmal anrief, erzählte er, nun auch mit seiner Frau geredet zu haben", sagt Kraß.

Oft bleibt es nicht bei einem Anruf. Und die Gespräche dauern lang. Die Geschädigten wollten reden und ernst genommen werden. Da Mönche keine Psychologen sind, haben die Ettaler unter anderem die Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie München als Fachleute gewinnen können. Wer eine Therapie braucht oder bereits eine hinter sich hat, dem wollen die Benediktiner auch finanziell helfen. "Aber es soll nicht der Eindruck vermittelt werden, dass wir uns freikaufen wollen", betont Bögle.

Doch da sind auch noch die Täter, mit denen die Ordensleute zusammenleben. Wie etwa jener Pater, der sich dieser Tage selbst anzeigte, weil er kinderpornographische Bilder auf seinen Computer heruntergeladen hatte. "Ich sitze ihm jeden Tag beim Essen gegenüber", erzählt Pater Maurus. Die Stimmung nach all den bekanntgewordenen Verfehlungen in dem rund 50 Mitglieder umfassenden Konvent schwanke zwischen Empörung und Mitleid. "Aber auch Enttäuschung", gibt der Vakanzadministrator zu. Die Frage nach der Berufung steht da bei manch einem auch im Raum. Womöglich werden nicht alle bleiben.

Und dann ist da die Erkenntnis, nicht alles allein regeln zu können.
Manchmal seien Fachleute dringend hinzuziehen, betont der Übergangsverwalter. Die neu gewonnene Offenheit, "die wir schmerzhaft einüben mussten", wolle der Konvent deshalb in den Alltag retten. Erste Schritte sind getan. So soll eine externe "Vertrauensstelle" eingerichtet werden. Eine Rechtsanwältin wird für Schüler und Mitarbeiter der Klosterbetriebe als Ansprechpartnerin zur Verfügung stehen, wenn Fälle körperlicher Gewalt und sexuelle Übergriffe auftreten. Sie informiert dann auch die Ordensleitung sowie die Staatsanwaltschaft.

Jüngst setzten sich die Mönche an einen Runden Tisch, zu dem sie Vertreter der Caritas, des Kinderschutzbundes und von der Opferorganisation "Weißer Ring" gebeten hatten. Eine Schülermutter und ein Mitglied der "Wir sind Kirche"-Bewegung waren auch dabei. Ein weiterer Termin steht schon fest. Die jungen Leute gelte es stark zu machen, sind sich die Beteiligten einig. Damit sie lernen, auch "Nein" zu sagen.