Wie das Katholische Büro den Wahlausgang in NRW einordnet

"Ein Heimspiel ist das nie"

Nordrhein-Westfalen hat gewählt. Dabei konnten sowohl CDU und Grüne Stimmen hinzugewinnen, während SPD und FDP Verluste hinnehmen mussten. Wie blickt das Katholische Büro NRW auf den Wahlausgang und die geringe Wahlbeteiligung?

Die Spitzenkandidaten der NRW-Parteien am Abend der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen / © Fabian Strauch (dpa)
Die Spitzenkandidaten der NRW-Parteien am Abend der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen / © Fabian Strauch ( dpa )

DOMRADIO.DE: Nur 55 Prozent der Wahlberechtigten haben ihre Kreuze gemacht. Wie erklären Sie sich diesen historischen Negativrekord?

Antonius Hamers / © Nicole Cronauge (Katholisches Büro NRW)

Dr. Antonius Hamers (Leiter des Katholischen Büros NRW in Düsseldorf): Ich finde es grauenhaft. Ich finde es auch wirklich sehr, sehr enttäuschend, dass sich nur gut die Hälfte der Bevölkerung auf den Weg gemacht hat, um zu wählen.

Die Bischöfe haben auch extra nochmal einen Wahlaufruf gestartet. Unser eigenes Klientel, also die Kirchgänger, haben auch eine sehr hohe Wahlbeteiligung, glaube ich.

Aber diese insgesamt in der Bevölkerung so geringe Wahlbeteiligung, finde ich wirklich erschreckend. Es ist sicherlich auch ein Resultat der zunehmenden Individualisierung innerhalb der Gesellschaft. Wir erleben das ja, dass gerade auch große gesellschaftliche Gruppen darunter leiden, dass sich immer weniger Menschen dort engagieren und auf diese Weise deutlich machen, dass sie sich für das Gemeinwohl, für die Gesellschaft einsetzen wollen.

Dr. Antonius Hamers

"Ich glaube, dass ein nicht unerheblicher Teil der Menschen mehr oder weniger privatisiert"

Ich glaube, dass ein nicht unerheblicher Teil der Menschen mehr oder weniger privatisiert und sagt, mir reicht das, was um mich herum ist und dann noch nicht einmal dazu in der Lage ist oder nichtmals dazu willens ist, mit der Wahlbeteiligung deutlich zu machen, dass sie auch eine Verantwortung für das große Ganze, für das Land und für den Staat haben.

DOMRADIO.DE: Die CDU gewinnt die Wahl mit einem Ministerpräsidenten, der erst seit dem vergangenen Oktober in diesem Amt ist. Hatten Sie schon viel mit ihm zu tun?

Hamers: Ja, auch vorher schon gab es mehrere Berührungspunkte, mehrere Begegnungen. Er war Verkehrsminister. Das war zunächst mal ein Ressort, wo wir als katholische Kirche nicht so unmittelbare Bezüge zu haben. Aber auch in seiner Rolle als Parlamentarier, bevor er Verkehrsminister geworden ist, da gab es mehrere Begegnungen und Berührungspunkte, in seiner Rolle als Verkehrsminister sicherlich weniger.

Aber seit er jetzt Ministerpräsident ist, gibt es eine ganze Reihe Berührungspunkte, weil auch die Staatskanzlei, das Amt des Ministerpräsidenten, für die Fragen der Religionen und Kirchen zuständig ist. Insofern gab es da einige Anknüpfungspunkte, Berührungspunkte mit ihm, die durchaus positiv waren.

DOMRADIO.DE: Die Koalition schwarz-gelb ist rechnerisch nicht mehr möglich, ist also definitiv abgewählt. Angenommen, die CDU bliebe in der Regierungsverantwortung, was im Moment am wahrscheinlichsten ist. Würde das für Sie ein Heimspiel bedeuten?

Dr. Antonius Hamers

"Ein Heimspiel ist das natürlich nie, weil es durchaus mit der CDU auch Themen gibt oder auch teilweise auch Ansichten gibt, die jetzt nicht immer unbedingt mit uns einhergehen"

Hamers: Es gibt zumindest eine ganze Reihe Anknüpfungspunkte, ohne Frage. Aber ein Heimspiel ist das nie, weil es durchaus mit der CDU auch Themen gibt oder auch teilweise auch Ansichten gibt, die nicht immer unbedingt mit uns einhergehen. Insofern ist ein Heimspiel ein bisschen weit gegriffen. Es gibt gute Anknüpfungspunkte und es gibt verlässliche Beziehungen in die CDU und in die Regierung. Insofern können wir da an vieles anknüpfen.

DOMRADIO.DE: Die grüne Spitzenkandidatin Mona Neubauer will die Verwaltungsgebühr für Kirchenaustritte abschaffen. Das solle aber kein Anreiz zum Kirchenaustritt sein, hat sie im DOMRADIO.DE-Interview gesagt. Wie sehen Sie eine Abschaffung der Austrittsgebühr?

Hamers: Diese Gebühr ist eine staatliche Gebühr. Damit haben wir als Kirche im Grunde gar nichts zu tun. Dadurch, dass wir Körperschaft des öffentlichen Rechtes sind, muss die Möglichkeit geschaffen sein, auch im staatlichen Wirkungskreis aus der Kirche auszutreten, um damit zum Beispiel die Kirchensteuern loszuwerden. Das ist wiederum eine staatliche Aufgabe, für die der Staat eine Gebühr erhebt. Insofern ist es auch Sache des Staates, auf diese Gebühr zu verzichten oder nicht. Für uns als Kirche spielt das im Grunde keine Rolle.

Der Kirchenaustritt insgesamt ist natürlich für uns wesentlich, und mehr bewegt uns auch die Forderung der Grünen, dass der Kirchenaustritt insgesamt erleichtert werden soll und dass das zum Beispiel auch zukünftig digital möglich sein soll. Das ist für uns eine größere Herausforderung als die Kirchenaustrittsgebühr.

Das ist nicht das einzige Thema, wo wir mit den Grünen Berührungspunkte haben. Es gibt Gott sei Dank auch eine ganze Reihe positiver Berührungspunkte mit den Grünen, sowohl persönlich wie auch thematisch.

DOMRADIO.DE: In Baden-Württemberg gibt seit einigen Jahren ein stabiles grün-schwarzes Bündnis. Ist es in NRW ein bisschen schwieriger zwischen Schwarz und Grün?

Dr. Antonius Hamers

"Dass Schwarz und Grün im Moment die wahrscheinlichste Konstellation ist, das glaube ich schon."

Hamers: Das ist wohl wahr. Ich habe vorgestern noch mit jemandem gesprochen, der die Situation in Baden-Württemberg ganz gut kennt. Da ist der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann der überzeugteste Katholik in der gesamten Landesregierung. Das wird hier wahrscheinlich eher nicht der Fall sein.

Aber erst einmal muss geguckt werden, welche Konstellation sich überhaupt durchsetzt. Dass Schwarz und Grün im Moment die wahrscheinlichste Konstellation ist, glaube ich schon. Aber es dauert auch noch etwas und bis dahin wird noch einiges Wasser den Rhein runter fließen, bis dann eine Regierung steht.

Geschichte von Nordrhein-Westfalen

Am 23. August 1946 trat die britische Militärverordnung 46 in Kraft, mit der der nördliche Teil der früheren preußischen Provinz Rheinland und die frühere preußische Provinz Westfalen zum Bundesland Nordrhein-Westfalen zusammengefasst wurden. Ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Nazidiktatur stellte die britische Militärregierung in ihrer Besatzungszone damit die Weichen für einen demokratischen Neuanfang an Rhein und Ruhr. 1947 kam das Land Lippe als dritter Teil zum Bundesland hinzu.

Flagge mit dem Landeswappen von Nordrhein-Westfalen  / © Rolf Vennenbernd (dpa)
Flagge mit dem Landeswappen von Nordrhein-Westfalen / © Rolf Vennenbernd ( dpa )

DOMRADIO.DE: Hendrik Wüst hat jetzt den Auftrag, eine Regierung zu bilden. Aber Kevin Kühnert, Generalsekretär der Bundes-SPD, sieht einen klaren Auftrag für eine Ampel-Regierung in NRW, so wie es der Bund vorgemacht hat. Würden Sie das teilen?

Hamers: Wenn ich den SPD-Spitzenkandidaten Thomas Kutschaty gestern in seinen Äußerungen richtig verstanden habe, sieht er diesen ganz klaren Regierungsauftrag so nicht mehr. Insofern glaube ich, dass das sicherlich nicht ausgeschlossen ist. Das ist sicherlich auch eine Option, die verhandelt wird.

Alle demokratischen Parteien müssen selbstverständlich miteinander sprechen und Thomas Kutschaty ist ein Mann von großer Verantwortung. Der wird es sicherlich auch tun.

Aber ich glaube, dass die wahrscheinlichere Konstellation im Moment jedenfalls ein schwarz-grünes Bündnis ist. Aber es ist natürlich gut, dass sich auch die SPD ihrer Verantwortung bewusst ist und selbstverständlich auch Regierungsverantwortung übernehmen könnte.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Quelle:
DR