DOMRADIO.DE: Sie setzen pastorale Schwerpunkte. Was genau bedeutet das?
Simon Schmidbaur (Bereichsleiter Strategie und Evangelisierung im Erzbistum Köln): Im Kern geht es um Prioritäten. Der Begriff klingt vielleicht etwas technisch, aber letztlich fragen wir: Was wollen wir in Zukunft tun und was lassen? Es geht darum, mit unseren begrenzten Ressourcen möglichst wirksam zu sein.
DOMRADIO.DE: Es ist ein Prozess, der schon seit über einem Jahr läuft. Das Erzbistum Köln ist damit die erste größere kirchliche Institution, die so etwas in dieser Form macht. Was heißt das jetzt konkret?
Schmidbaur: Solche Strategieprozesse sind in größeren Organisationen oder Unternehmen ganz normal.
Dort stellt man sich regelmäßig die Frage: Wo setzen wir Schwerpunkte? Wo sehen wir die größten Chancen? In der Wirtschaft geht es dabei oft um Gewinnmaximierung.
In der Kirche geht es um etwas anderes: Wenn wir über Strategie sprechen, fragen wir zuerst, wozu es uns heute als Kirche überhaupt gibt. Das ist nicht mehr für alle selbstverständlich. Wir schauen auf das, was sich über viele Jahre entwickelt hat und überlegen, was davon auch für heute und morgen sinnvoll ist. Es geht also nicht um Gewinn, sondern um Wirkung – darum, wo wir mit dem, was wir tun, wirklich Menschen erreichen.
DOMRADIO.DE: Ihnen ist auch besonders wichtig, dass das kein abgeschlossener Prozess ist, sondern dass ganz im Sinne von Papst Franziskus synodal zugehört wird. Wie haben Sie das gemacht und wie geht dieser Weg weiter?
Schmidbaur: Wenn nicht die Gewinnmaximierung im Zentrum steht, sondern die Frage, wozu es uns als Kirche gibt, können wir diese Frage nur beantworten, wenn wir Gott mit ins Spiel bringen.
Die Kirche ist ja kein Unternehmen, das irgendwann von Menschen gegründet wurde. Wir glauben, dass die Kirche ein Werkzeug Gottes ist, um in der Welt zu wirken. Deshalb versuchen wir, dem auf die Spur zu kommen.
Kardinal Ratzinger hat einmal gesagt, dass der Heilige Geist uns nicht einfach etwas ins Ohr flüstert – aber es geht darum, aufmerksam zu sein: für das, was mir im Gebet aufgeht, und für das, was andere sagen. Wir haben uns dabei an der Methode der Weltsynode orientiert. Eine geistliche Begleitung von außen hat uns unterstützt, wirklich anders zu beraten – nicht auf Durchsetzung eigener Positionen, nicht auf Mehrheiten, sondern durch Hören, Stille, Gebet.
Gleichzeitig haben wir das mit praktischen Methoden aus der Wirkungsorientierung und Wirkungsmessung verbunden, wie sie aus dem Non-Profit-Bereich bekannt sind. Denn es ist auch unsere Verantwortung, die vorhandenen Mittel so einzusetzen, dass sie möglichst viel bewirken.
DOMRADIO.DE: Insgesamt wurden als Ergebnis fünf Schwerpunkte festgelegt. Bildung ist da unter anderem ganz wichtig. Aber auch die internationale katholische Seelsorge. Warum hat man sich genau für diese Schwerpunkte entschieden?
Schmidbaur: Rein formal kann man sagen, dass das die Ergebnisse eines intensiven Beratungsprozesses sind. Über anderthalb Jahre hinweg haben wir in vielen verschiedenen Gremien über genau diese Fragen mit dem Diözesanpastoralrat, der Pfarrerkonferenz und der Erzbischöflichen Beratungskonferenz gesprochen. Leider konnten wir nicht jedes Thema mit allen besprechen, dafür ist das Erzbistum zu groß und die Themen sind zu vielfältig. Aber wir haben versucht, möglichst viele Perspektiven einzubeziehen.
Natürlich gab es auch kontroverse Diskussionen. Aber die fünf Felder haben sich aus allen Beratungen klar als Schwerpunkte herauskristallisiert. In der abschließenden Beratung in der Erzbischöflichen Beratungskonferenz wurde dazu ein Konsens gefunden. Das hat es dem Kardinal ermöglicht, sich diese Schwerpunkte als Entscheidung zu eigen zu machen.
Inhaltlich haben wir uns für Felder entschieden, in denen wir besonders viel Potenzial sehen. Bildung ist ein gutes Beispiel. Von den Kitas über die Schulen bis hin zur Hochschularbeit haben wir über Werteerziehung, Gewissensbildung und Orientierung viele Möglichkeiten, mit unserer Bildungsarbeit in die Gesellschaft hineinzuwirken.
Und die internationale katholische Seelsorge betrifft einen wachsenden Teil der Menschen im Erzbistum, die eine andere Muttersprache als Deutsch haben. Wir wollen sie stärker mit den deutschen Gemeinden vernetzen, weil wir darin große Chancen zur gegenseitigen Bereicherung sehen.
DOMRADIO.DE: Ihnen geht es auch darum, Orte gezielt zu stärken und zu fördern, an denen Glaube lebt und Neues entsteht. Was sind das denn konkret für Orte?
Schmidbaur: Es ist nicht leicht, da einzelne Beispiele zu nennen, weil es viele solcher Orte gibt. Wenn man aufmerksam hinschaut, merkt man schnell, dass sich überall im Erzbistum Menschen aus dem Glauben heraus für andere engagieren. Ob das Menschen sind, die sich um sterbende Obdachlose kümmern oder Kindern eine Ferienfreizeit ermöglichen, die sonst keine hätten – solche Orte gibt es.
Genau darum geht es uns bei der pastoralen Schwerpunktsetzung, nämlich eine geistliche Vision für das Erzbistum zu verwirklichen. Das Herzstück dieser Vision sind Erfahrungsorte des Glaubens. Ich freue mich, dass viele Gemeinden schon heute nach Material dazu fragen und damit arbeiten wollen. In Wuppertal, Bonn, Bedburg und an vielen anderen Orten überlegen Menschen ganz konkret, was das für sie vor Ort heißt. Wo wird Glaube in der Beziehung zu Gott, aber auch im Einsatz für den Nächsten lebendig? Und wie können wir diese Orte stärken?
Das Interview führte Annika Weiler.