Wie Büttenredner Leitschuh Karneval mit Kirche verquickt

Das "K" spielt mehrfach eine große Rolle

Wie viel Humor verträgt die Kirche? Der Büttenredner Marcus Leitschuh aus dem Bistum Fulda würde gerne manchmal das, was er beim „Synodalen Weg“ erlebt, gleich humorvoll in einer Büttenrede umsetzen. Was hindert ihn daran?

Marcus Leitschuh / © Dr. Arnulf Müller (privat)
Marcus Leitschuh / © Dr. Arnulf Müller ( privat )

Himmelklar: Mit Weiberfastnacht beginnen die jecken Tage in den Karnevalshochburgen wie Düsseldorf, Köln oder Mainz – aber auch bei Ihnen im Bistum Fulda. Sie sind im Karneval aktiv als "FulleFischer" in Kassel. Was bedeutet Ihnen der Karneval?

Marcus Leitschuh (Katholischer Religionslehrer, Autor, Delegierter beim "Synodalen Weg" in Deutschland und Büttenredner im Karneval): Das ist zum einen eine Kindheitserinnerung an meine Kirchengemeinde. Zur damaligen Zeit gab es tatsächlich noch einen Gemeindekarneval. Es gab richtige Büttenreden: Der Pfarrer machte eine, die Pfarrsekretärin und auch der Pfarrgemeinderatsvorsitzende – und der war tatsächlich in einem Karnevalsverein Präsident und hat mich dann irgendwann gefragt, nachdem wir ein-, zweimal zusammen beim Gemeindekarneval aufgetreten waren, ob ich nicht auch dort im richtigen Karnevalsverein mit dabei sein will. Dann haben wir ein Zwiegespräch gemacht als zwei Fischer. Daraus ist dann diese Rolle des "FulleFischers" erwachsen.

Himmelklar: Die Karnevalstage sahen in den vergangenen Jahren wegen der Corona-Pandemie anders aus. Jetzt wird wieder gefeiert. Wie sieht die Session 2023 im Bistum Fulda für Sie persönlich aus?

Leitschuh: Wir haben tatsächlich sehr unterschiedliche Hochburgen, also die Fuldarer und auch die in Fritzlar, das sind die alten katholischen Hochburgen, die feiern auch sehr viel Straßenkarneval. Da gibt es die großen Umzüge. Das gibt es in Kassel so nicht. Wir haben einen kleinen, bescheidenen Rathaussturm am Karnevalssamstag. Wir machen viel Saalkarneval – und da vor allen Dingen Tanz. Ich bin da als Büttenredner immer noch eine Besonderheit, zumal als politischer Büttenredner. Viele nehmen dann doch irgendwelche Bücher und schreiben nicht selbst.

Wir haben durch die Corona-Pandemie auch sehr viel digital erlebt und gemacht. Die Orden wurden etwa an der Hauseingangstür an die Mitglieder überreicht. Wir sind ganz dankbar und froh, dass jetzt tatsächlich so eine Art Normalität eingetreten ist. Es gibt wieder richtige Sitzungen, es gibt wieder richtige Treffen – das war aber alles lange nicht klar. Wir wussten gar nicht: Schaffen das die Tänzerinnen und Tänzer, zu trainieren?

Das zu erleben, dass man so im Gemeinschaftsgefühl diese Corona-Krise überwunden hat und jetzt wieder Auftritte und Publikum hat, das ist schon was Besonderes. Auch wenn die Zeiten immer noch nicht normal sind – Stichwort Krieg, darauf muss man auch eingehen, gerade als politischer Büttenredner. Das beschäftigt uns natürlich nach wie vor.

Himmelklar: Warum gehören der Humor und der Karneval an sich auch unweigerlich zur Kirche?

Leitschuh: Die Bütt, das umgedrehte leere Weinfass – dieses alte Symbol, ich glaube, es kommt aus der Mainzer Gegend: Da gab es dann diese große Redefreiheit. Diese Redefreiheit war die Redefreiheit vor dem weltlichen und vor dem kirchlichen Herrscher.

Ich habe mal ein bisschen nachrecherchiert, woher das alles kommt. Es gab auch immer ein Kinder-Prinzenpaar und es gab auch jemanden, der den Bischof dann quasi imitierte. Also man hat nicht nur das Prinzenpaar als Herrscherpaar, sondern auch der Kurfürst und auch der Bischof wurden dort zur Schau gestellt und wurden mit einer Person imitiert.

Diese Redefreiheit ist ja etwas ganz Besonderes. In unserer demokratischen Gesellschaft ist das manchmal auch in Vergessenheit geraten. Aber kirchlich und auch demokratisch alles sagen zu dürfen mit Humor, ist noch mal eine Besonderheit. Ich glaube immer, wer Humor versteht, der will auch hinhören, der will auch zuhören und der freut sich eigentlich auch, wenn etwas überspitzt wird.

Für mich ist das eine richtig katholische Angelegenheit, dass man diese Bütt und sein Mikrofon hat und Menschen zum Lachen bringen will. Das ist ja ein Lachen, was nicht auslachen heißt. Das will ja zum Mitlachen anregen. Für mich ist ein großes Vorbild dieses Derblecken in München in der Paulaner Brauerei: Wer da nicht in der Büttenrede vorkommt und wer nicht imitiert wird, der regt sich ja hinterher eigentlich auf, weil es den dann eigentlich gar nicht gibt.

Das finde ich auch schön, dass man über Humor nicht nur zum Lachen bringen kann, sondern vielleicht auch nachdenkliche Themen anstimmt. Ich versuche das zumindest in meinen Reden. Das sind jetzt keine Klamaukreden, sondern das ist tatsächlich auch Ernst, was ich da so sage.

Himmelklar: Der Krieg in der Ukraine beschäftigt uns jetzt beinahe seit einem Jahr. Die jecken Tage in dieser Zeit gerade gehen einher mit schrecklichen Meldungen, zum Beispiel auch vom Erdbeben in der Türkei und in Syrien. Können Sie da unbeschwert feiern?

Leitschuh: Wir haben da in Nordhessen auch besondere Erfahrungen gemacht. Es gab schon mal bei einem Karnevalsumzug hier, kurz vor Rosenmontag, ein schreckliches Attentat oder einen Unfall, der sich hinterher so dargestellt hat. Wir haben das Attentat auf unseren Regierungspräsidenten Walter Lübcke hier in Nordhessen gehabt, der sehr oft auch Gast im Karneval war.

Natürlich gab es auch andere große Krisen, ich weiß noch, dass im Zuge des Irak-Krieges damals Karneval ausgefallen ist. Die Frage, ob man feiern kann und ob man auch öffentlich feiern darf, stellt sich doch eigentlich jedes Jahr. Sie stellt sich bei jeder Krise. Und wenn es nicht eine so ganz direkte Betroffenheit ist, wie wenn im Nachbarort ein solcher Unfall oder ein solches Attentat bei einem Faschingsumzug ist, dann finde ich, gehört auch dazu, Freude am Leben zu haben, um Kraft zu tanken und in diesen schrecklichen Situationen trotzdem den Mut nicht zu verlieren.

Ich würde da immer tatsächlich trennen zwischen der individuellen Betroffenheit vor Ort, dann kann man manchmal auch nicht feiern und dann musste auch bei uns schon Karneval ausfallen – und natürlich war auch Corona so ein Thema. Aber Humor, Freude und Gemeinschaftsgefühl stärken auch eine Gesellschaft. Ich glaube, dass Menschen, die gemeinsam lachen, auch nicht aufeinander schießen. Von daher kann Humor auch dazu beitragen, dass wir als Gesellschaft zusammenwachsen, womöglich wieder zusammenwachsen an einigen Stellen.

Karneval kommen alle zusammen. Da kommen Leute, die haben sich impfen lassen und nicht impfen lassen. Maskenverweigerer und Maskenfans feiern jetzt wieder gemeinsam und hören sich aber womöglich auch in Büttenreden ein bisschen selbstkritisch dieses Thema an. Das finde ich ganz demokratisch und ganz gut.

Himmelklar: Jetzt sind Sie natürlich nicht nur im Karneval unterwegs und erst recht nicht das ganze Jahr, sondern sind auch Religionslehrer und Autor. Sie haben schon viele Bücher veröffentlicht. Sie engagieren sich darüber hinaus auch sozial, politisch und eben kirchlich. Wie kriegen Sie das alles unter einen Hut?

Leitschuh: … manchmal auch vielleicht nicht. Ich werde auch älter. Ich merke, die Energie war tatsächlich vor 20 oder 30 Jahren noch stärker, aber vieles verbindet sich ja. Wenn man so manchmal beim "Synodalen Weg" sitzt, kommen einem auch ganz gute Ideen für eine Büttenrede, die man am liebsten sofort halten würde, aber das passt dann in dem Rahmen nicht.

Umgedreht hat natürlich Religionsunterricht auch etwas damit zu tun, wie ich Kirche erlebe in der eigenen Kirchengemeinde, aber auch beim "Synodalen Weg" oder bei Sitzungen. Von daher finden Sie immer so einen roten Faden in meinem Leben und auch in meinem Engagement. Da spielt das "K" eine große Rolle: Der Karneval, die Kirche und auch die Küche manchmal, weil ich ganz gern koche und esse.

Himmelklar: Über zwei Jahre geht der Synodale Weg schon. Wie sind Sie da reingegangen? Gab es zu Anfang vielleicht auch gewisse Hoffnungen? Wie gucken Sie jetzt mittlerweile zurück auf das, was bisher gewesen ist?

Leitschuh: Wenn ich nicht Hoffnung hätte, würde ich nicht dabei sein. Dann wäre ich auch nicht bereit, ehrenamtlich beim Synodalen Ausschuss weiter mitzumachen. Ich habe tatsächlich Liebe zur Kirche und zu dem, was mir in meiner Kindheit auch ganz viel Positives geschenkt hat – und auch jetzt als Erwachsener noch schenken kann, auch seelsorgerlich. Ich bin in dieser Kirche gern engagiert, ich möchte auch durch mein Engagement zurückgeben, was ich Positives erlebt habe, aber die Kirche macht es halt manchmal schwer. Ich bin mit Hoffnung dabei, und mit Liebe und Hoffnung in dieser Kirche.

Ich habe mit den Ordensleuten beim "Synodalen Weg" ein Buch zusammen herausgegeben, das heißt "Wir können auch anders". Diesen Buchtitel können Sie bei mir fast als Motto auch auf die Stirn schreiben. Ich glaube, Kirche kann anders. Das ist meine Hoffnung. Der Rückblick bei den Ordensleuten zeigt in ihrer Ordensgeschichte, dass es da Äbtissinnen gab – die waren im Rang vergleichbar zu einem Bischof, außer dass sie eben gewisse formale Dinge nicht erfüllten, weil sie eben beispielsweise keiner Eucharistiefeier vorstehen konnten. Aber diese Äbtissinnen haben riesige Klöster geleitet, die manchmal gar nicht unbedeutend in der Kirchengeschichte waren und sind. Wir können anders und wir könnten anders und da möchte ich gerne weiter mitarbeiten – und ich glaube, das geht.

Im Blick zurück bei dem, was schon mal ging, gab es etwa den Zölibat tausend Jahre lang nicht als Pflicht. Der ist ziemlich genau vor tausend Jahren als Pflicht eingeführt worden vom deutschen Kaiser mit dem Vatikan zusammen. In dem Fall, weil man die Machtpolitik regeln wollte. Man wollte den Flickenteppich lösen. Es gab die Verheirateten und es gab die Unverheirateten, und man wollte es lösen. Ich glaube, nach tausend Jahren kann man es wieder anders lösen.

Himmelklar: Was bringt Ihnen persönlich Hoffnung?

Leitschuh: Hoffnung bringt, dass ich glaube, es geht anders. Es geht auch anders und wir können anders. Ich glaube, dass wir den Humor nicht verlieren dürfen. Im Gegenteil, wir brauchen vielleicht sogar viel mehr Humor.

Ich glaube, meine Hoffnung besteht darin, wenn ich zusammen lache und wenn ich noch Lust habe, mit jemandem über ihn und über mich selbst zu lachen, dass ich dann am Ende auch einen Schritt weiterkommen werde.

Das Interview führte Katharina Geiger.

Information der Redaktion: Das Interview ist ein Ausschnitt des gesamten Gesprächs.

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