Theologe Marcus Leitschuh zu "Luther"

"Er hat eine Mission, aber er ist unglaublich einsam dabei"

"Luther", das Pop-Oratorium über den Reformator wurde am Wochenende in Dortmund uraufgeführt. Theologe und Musicalexperte Marcus Leitschuh spricht im domradio.de-Interview von einer bombastischen und überzeugenden Inszenierung.

Pop-Oratorium Luther: Mehr als 3.000 Sängerinnen und Sänger / © Monika Skolimowska (dpa)
Pop-Oratorium Luther: Mehr als 3.000 Sängerinnen und Sänger / © Monika Skolimowska ( dpa )

domradio.de: Ein erster Gesamteindruck?

Marcus Leitschuh (Theologe und Musicalexperte): Bombastisch! Am gleichen Ort waren ja auch schon die "Zehn Gebote" vom gleichen Autoren- und Komponistenteam zu sehen. Ähnliches gelingt auch jetzt wieder: Man kommt in die Halle, man hat einen Chor mit 3.000 Menschen, man hat ein großes Orchester, eine Band. Man hat über zehn Leute aus dem "who is who" des deutschen Musicals auf der Bühne. Das ist einfach schon sehens- und hörenswert. Bevor der erste Ton erklungen ist, ist man schon überwältigt, was die Creative Kirche als Veranstalter hier geleistet hat.

domradio.de: Im Mittelpunkt steht Martin Luther, der Reformator. Was für ein Bild wird denn von Luther gezeichnet?

Leitschuh: Wir haben hier ein Pop-Oratorium, es ist ja kein klassisches Musical. Dementsprechend hat man auch darauf verzichtet, allzusehr in einer musicalhaften Weise eine Handlung zu erzählen. Es sind eher Stationen aus seinem Leben, es wird auf Texte von ihm Bezug genommen. Er ist ein Typ - wie übrigens alle anderen auch - der in Alltagsklamotten auf der Bühne auftaucht. Es gibt also keine historischen Bezüge, keine historischen Kutten. Er hat eine Mischung aus schwarzem Sakko, dunkler Hose und Kapuzenpulli an. Damit wird dann ab und zu mal das Mönchische sehr interessant angedeutet, indem er die Kapuze nach vorne zieht. Aber er könnte so auch auf jeder Einkaufsstraße unterwegs sein. Was sehr gut gelingt ist die Transformation seiner Rolle in den Alltag, nicht nur durch die Optik, auch inhaltlich. Er ist sehr oft alleine auf der Bühne oder wird umringt vom restlichen Ensemble. Die sitzen auf Stühlen am Rand der Bühne, werden immer in neuen Formationen präsentiert. Also die Mischung aus einsamer Mönch, einsamer Denker und dann mittendrin im Geschehen - sowohl im Sinne von Verehrung, aber eben auch besonders der Ablehnung - das wird ausgesprochen gut rübergebracht.

domradio.de: Jetzt weiß man ein bisschen aus der Geschichte, dass Luther sehr eigensinnig war und nicht immer nur ein angenehmer Zeitgenosse. Aber so differenziert gibt es gar keinen Raum, über Luther zu erzählen?

Leitschuh: Darsteller Frank Winkels ist schon von der optischen Erscheinung nicht der klassische Luther. Es ist nicht der hagere, großgewachsene Mensch. Er kommt sehr gemütlich auf die Bühne. Man ist erstmal überrascht: Ach, das soll jetzt Luther sein? Gerade das ist auch eine spannende Geste. Er ist nicht der Revoluzzer, der wild gestikulierend über die Bühne rennt. Es gibt beindruckende Szenen, wo ganz viel Nebel auf einer riesigen Treppe zu sehen ist. Auf dieser Treppe steht er umringt von Nebel und es wird deutlich: Er hat eine Mission, er will etwas erreichen, aber er ist unglaublich einsam dabei.

domradio.de: Gab es denn für dich einen Höhepunkt des Abends?

Leitschuh: Ein solches Oratorium zu inszenieren ist ja durchaus schwierig. Das gelingt Andreas Gergen hervorragend. Das zeigen Kleinigkeiten - zum Beispiel ganz am Ende des Oratoriums, wenn Luther die Bibel übersetzt. Dann wird auf diese Treppe ein riesiger roter Stoff gespannt. Auf den ist zunächst ganz groß "Am Anfang war das Wort" geschrieben. Und dann wird es immer kleiner und kleiner. Man hat den Eindruck, dass am Ende dort die ganze Bibel mit kleinen Buchstaben auf diesem Transparent zu sehen ist. Und Luther schreitet dann auf seiner Bibel-Übersetzung ins Finale. Das sind unglaublich starke Momente.

Das Interview führte Birgit Schippers.


Quelle:
DR