Sozialpfarrer Meurer plädiert für Überzeugung statt Impfpflicht

"Wenn wir eine Impfpflicht durchsetzen, gibt es Krawall"

In Deutschland nimmt die Diskussion über eine Impfpflicht Fahrt auf. Der Kölner Sozialpfarrer Franz Meurer warnt vor Belehrung von oben. Ratsamer sei stattdessen, Vorbild zu sein und zu vermitteln - das gelte auch für die katholischen Bischöfe.

Diskussion über Corona-Impfungen / © Sven Hoppe (dpa)
Diskussion über Corona-Impfungen / © Sven Hoppe ( dpa )

DOMRADIO.DE: Der Kabarettist Jürgen Becker hat gerade in einer Fernsehsendung gesagt: "Ich will eine Impfpflicht für alle, sonst gibt es Mord und Totschlag." Wie erleben Sie das in Ihrer Gemeinde? Heizt sich da die Stimmung gerade auf? 

Franz Meurer (Kölner Sozialpfarrer): Bei uns gibt es immer mehr Leute, die allmählich umschwenken. Ich kenne zum Beispiel mehrere Kranke, mit denen ich fast jeden Tag telefoniere. Da sind einige dabei, die sich auf keinen Fall impfen lassen wollten. Die wollen jetzt umschwenken. Das müssen wir natürlich organisieren.

Ich selber war ja schon vor vielen Wochen für eine Art Lockdown für Ungeimpfte. Also ich habe gesagt: 2G zum Beispiel in Straßenbahnen und Gaststätten. Das heißt, ich war schon immer sehr streng. Ich bin aber noch immer knapp vor einer Impfpflicht, und zwar aus einem Grund, der mit Krawall zu tun hat. Ich glaube, wenn wir eine Impfpflicht durchsetzen, dann gibt es Krawall. Wir müssen uns fragen, was können wir durchsetzen? Was können die Leute verstehen? Ich würde sozusagen gerne noch einen letzten Trommelwirbel haben, der ja im Moment auch passiert. Ich würde sagen: Leute, werdet vernünftig und Herrgott, schmeiß noch bisschen mehr Hirn vom Himmel. Das wäre meine Position. 

DOMRADIO.DE: Aber was ist denn mit den Folgen? Sie sind ja wirklich mit den Ärmsten der Armen in Köln unterwegs. Und die Pandemiefolgen können ja gerade diese Leute in wirtschaftlicher Sicht unglaublich treffen. Wäre da nicht der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen durch das Impfen das kleinere Übel, auch mittelfristig. 

Meurer: Ja, sicher ist das das kleinere Übel. Unsere Leute haben aber jetzt schon riesige Probleme, weil sie eben Strom nachzahlen sollen. Nächstes Jahr wird wahrscheinlich Horror, weil die allermeisten hier eine Stromrechnung bekommen, die sie umhaut. Schließlich sind bei uns 26 Prozent aller Haushalte überschuldet.

Meine Sorge ist immer: Wenn man den Menschen nicht vermittelt, was vernünftig ist, befürchte ich, dass die Zahl derer, die sich nicht belehren lassen, zu groß ist, um sie noch bewältigen zu können. Ich bin hin und hergerissen. Ich würde mal sagen, ich bin 99,8 Prozent für eine Impfpflicht. Aber noch ein ganz kleiner Teil von mir sagt: Kann man da nicht noch mehr überzeugen? Wenn sogar Jürgen Becker das jetzt sagt, oder zum Beispiel auch die Bischofskonferenz. Die sagt zwar, man solle sich aus Gründen der Gerechtigkeit, Solidarität und Nächstenliebe impfen lassen. Aber das muss man ja übersetzen - nicht nur armen Menschen, sondern auch Leuten, die irgendwelchen Verschwörungstheorien hinterher hängen.

Ich bin ja eigentlich ein Praktiker und eher ein Vermittler. Ich bringe mal ein Beispiel: Wenn die Leute keine Hundekot-Tüten benutzen - wir haben ja hier selber 34 Hundekot-Tüten-Automaten aufhängt - dann bringt es nichts die anzubrüllen. Da muss man sagen: "Ach, Ihr Hund kann heute aber schlecht lesen." Dann fangen die an zu lachen. Das heißt, ich würde gerne einen Weg finden, einen Zugang zu gewinnen, um der Vernunft Raum zu geben. 

DOMRADIO.DE: Sie haben gerade selbst angesprochen, wie sich die Kirchenoberen positionieren. Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands, Annette Kurschus, hat sich ja schon für eine Impfpflicht ausgesprochen. Die katholischen Bischöfe haben zum Impfen aufgefordert, aber sich noch nicht für eine Impfpflicht ausgesprochen. Sollten die das machen?

Pfarrer Franz Meurer: Nein, die sollten erstmal Vorbild sein. Sie sollten zum Beispiel ihre Dienstwagen umstellen, damit die für den Klimawandel nicht ganz so schlecht sind. Das heißt, man muss heute als Vorbild agieren. Das bringt am allermeisten. Die müssten sich mit aufgerolltem Ärmel beim Impfen oder beim Booster-Impfen fotografieren lassen. Das müsste vorne auf der ersten Seite der Kirchenzeitung stehen. Sowas finde ich total wichtig und gut.

Es geht darum, nicht zu viel Allgemeines zu verbreiten. Das glaubt uns Kirchenleuten, gerade uns katholischen, kaum noch einer. Bei der Frage "Wem schenken Sie Vertrauen" wird die Feuerwehr an erster Stelle genannt, die evangelische Kirche ist Nummer 42 und wir sind auf Platz 84. Das ist nichts, wo man sich groß wichtig machen darf. 

DOMRADIO.DE: Also glauben Sie, es nützt nichts, wenn man mit der christlichen Ethik argumentiert und sagt, der Mensch solle sein eigenes Leben nicht unnötig aufs Spiel setzen. Sie meinen, es bringt nichts, wenn man das den Leuten erzählt. Das ist zu allgemein. 

Pfarrer Franz Meurer: Es bringt nichts, wenn man nur das macht. Es kommt heutzutage auch auf die Formatierung an. Die Leute wollen von uns Kirchenleuten nicht belehrt werden. Die wollen natürlich mitbestimmen. Die wollen vor allen Dingen, dass sie sich was von unserer Art zu leben abgucken. Also nur Gerechtigkeit, Solidarität und Nächstenliebe zu propagieren reicht nicht. Es müssen Vorbilder her. 

Das Interview führte Heike Sicconi.


Franz Meurer / © Smilla Dankert (Erzbistum Köln Presse)
Quelle:
DR
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