Weniger Ökumene beim Thema Lebensschutz

Wo sind die Schnittmengen?

Die Evangelische Kirche in Deutschland ist aus der ökumenischen "Woche für das Leben" ausgestiegen. Das Beispiel macht deutlich, wie schwer es den Konfessionen fällt, sich in Lebensschutz-Fragen gemeinsam zu positionieren.

Autor/in:
Benjamin Lassiwe
Ökumene / © Harald Oppitz (KNA)
Ökumene / © Harald Oppitz ( KNA )

Den Ausstiegs-Beschluss fasste der Rat der EKD auf seiner Tagung vorletzte Woche in Berlin. Die bundesweite Aktionswoche gibt es bereits seit 1991. Sie wurde ursprünglich vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und der katholischen Deutschen Bischofskonferenz gegründet. 1994 kam dann die EKD dazu.

Inhaltlich beschäftigt sich die Woche mit dem Schutz des menschlichen Lebens in seiner Gesamtheit: Zu den Themen gehörten etwa der assistierte Suizid, Spätabtreibungen oder das Leben mit Behinderungen. In diesem Jahr stand die Veranstaltungsreihe unter dem Motto "Generation Z: Pandemie, Klima, Krieg - Wie leben in Erwartung weiterer Krisen?" 

Annette Kurschus (m.), Ratsvorsitzende der Evangelische Kirchen in Deutschland (EKD), und Johannes Wübbe (r.), Weihbischof in Osnabrück, beim Ökumenischen Gottesdienst zur Eröffnung der Woche für das Leben 2023 im Osnabrücker Dom / © Detlef Heese/epd (KNA)
Annette Kurschus (m.), Ratsvorsitzende der Evangelische Kirchen in Deutschland (EKD), und Johannes Wübbe (r.), Weihbischof in Osnabrück, beim Ökumenischen Gottesdienst zur Eröffnung der Woche für das Leben 2023 im Osnabrücker Dom / © Detlef Heese/epd ( KNA )

Immer weniger Schnittmengen

Doch zwischen der EKD und der katholischen Kirche gab es in ethischen Themen zuletzt immer weniger Schnittmengen. Denn in vielen Fragen nehmen die Protestanten deutlich liberalere Positionen ein. Und zuweilen gelingt es ihnen auch schlicht nicht, eine einheitliche evangelische Position hervorzubringen.

Ein Beispiel: Sämtliche katholische Stimmen zum assistierten Suizid - von der Deutschen Bischofskonferenz über die Caritas bis hin zum ZdK - sprachen sich in den vergangenen Tagen für den vom SPD-Bundestagsabgeordneten Lars Castelucci vorgelegten Gesetzesentwurf aus. Aus katholischer Sicht wirkt dieser am ehesten der Tendenz entgegen, "dass sich der assistierte Suizid als selbstverständliche Form der Lebensbeendigung durchsetzt".

Der Rat der EKD dagegen erklärte in der vergangenen Woche, dass es für Grenzsituationen des Lebens keine Regelungen geben könne, "die sie einfach und nach allen Seiten befriedigend auflösen". Weiter heißt es in einer Stellungnahme: "Freiheit im christlichen Verständnis ist immer relationale Freiheit, gebunden an die Verantwortung vor dem eigenen Gewissen, vor den Mitmenschen und vor Gott."

Diakonie spricht sich für gesetzliche Regelung aus 

Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Evangelischen Werkes fuer Diakonie und Entwicklung und Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege. / © Christian Ditsch (epd)
Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Evangelischen Werkes fuer Diakonie und Entwicklung und Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege. / © Christian Ditsch ( epd )

Ganz anders äußerte sich allerdings Diakonie-Präsident Ulrich Lilie, der es durchaus für möglich hält, zu einer gesetzlichen Regelung zu kommen. "Bei einer gesetzlichen Regelung des assistierten Suizids müssen Selbstbestimmung und Lebensschutz gut ausbalanciert werden, sagte er

Menschen mit Suizidwünschen seien ernstzunehmen und anzunehmen: "Eine gesetzliche Regelung darf aber nicht zu einer Normalisierung des assistierten Suizids führen." Eine klare Empfehlung für einen der beiden Gesetzesentwürfe gab freilich auch Lilie nicht ab.

Bischöfe: "Können Ausstieg nicht nachvollziehen"

Die ethischen Differenzen sind aus katholischer Sicht indes kein Grund, das gemeinsame Projekt aufzugeben. "Die Deutsche Bischofskonferenz bedauert, dass der Rat der EKD den Ausstieg aus der ökumenischen Woche für das Leben beschlossen hat", sagte der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp.

Und weiter: "Wir sind traurig, dass eine der ältesten ökumenischen Initiativen in Deutschland, die sich seit fast 30 Jahren als wichtiger Beitrag zur Bewusstseinsbildung für den Wert und die Würde des menschlichen Lebens einsetzt, für die EKD keine Relevanz mehr hat." Und weiter: "Wir können nicht nachvollziehen, dass die EKD dieses gemeinsame Projekt, bei dem wir als Kirchen mit einer Stimme in der Öffentlichkeit aufgetreten sind, verlässt."

Eingang zum Büro für den Kirchenaustritt im Amtsgericht in Bonn / © Harald Oppitz (KNA)
Eingang zum Büro für den Kirchenaustritt im Amtsgericht in Bonn / © Harald Oppitz ( KNA )

Die ethischen Probleme werfen indes die Frage auf, ob es auch andernorts ökumenische Absetzbewegungen gibt. Deutlich wurde so etwas in letzter Zeit etwa bei der Veröffentlichung der Kirchenmitgliederstatistik. Seit 2022 geben die beiden großen Kirchen die Zahlen nicht mehr zum selben Stichtag heraus - die Protestanten veröffentlichen ihre im Frühjahr, die Katholiken im Sommer.

Gute Zusammenarbeit in Flüchtlingsfragen und vor Ort

Man wolle sich weniger stark in den Strudel der katholischen Missbrauchsfälle hineinziehen lassen, hieß es hinter den Kulissen der EKD. Doch tatsächlich gibt man den Medien nun gleich zweimal im Jahr Gelegenheit, über das Schrumpfen der Kirchen zu berichten.

Trotz Unterschieden auch bei den Themen der Frauenordination, der Trauung für gleichgeschlechtliche Paare oder des Zölibats scheint dagegen die ökumenische Zusammenarbeit an anderer Stelle weiter gut zu funktionieren - und das nicht nur in vielen Gemeinden vor Ort: So besuchten in der vergangenen Woche die Flüchtlingsbeauftragten beider Konfessionen, der evangelische Berliner Bischof Christian Stäblein und der katholische Hamburger Erzbischof Stefan Heße, gemeinsam Flüchtlingsprojekte in Mecklenburg-Vorpommern.

Und in dieser Woche wollen beide großen Kirchen den dritten Ökumenischen Bericht zur Religionsfreiheit vorstellen. In beiden Fällen handelt es sich allerdings um keine kontroversen Themen. Sie sind sozusagen der "kleinste gemeinsame Nenner der Ökumene".

 

Ökumene

Der Begriff "Ökumene" stammt aus dem Griechischen und heißt wörtlich übersetzt "die ganze bewohnte Erde". Gemeint sind die Bemühungen um die Einheit aller getrennten Christen. Die Ökumenische Bewegung ging zunächst von evangelischer Seite aus; als Beginn gilt die Weltmissionskonferenz von Edinburgh im Jahr 1910. Sie führte 1948 zur Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen (Weltkirchenrat, ÖRK) mit Sitz in Genf. Ihm gehören heute 349 reformatorische, anglikanische und orthodoxe Kirchen mit 560 Millionen Christen in 110 Ländern an.

Bewegung in der Ökumene / © Paul Sklorz (KNA)
Bewegung in der Ökumene / © Paul Sklorz ( KNA )
Quelle:
KNA