Theologe bedauert EKD-Austritt aus Woche für das Leben

"Das gemeinsame Zeugnis wird nicht mehr wahrgenommen"

Knapp 30 Jahre haben die evangelische und die katholische Kirche die "Woche für das Leben" gemeinsam getragen. Jetzt hat die EKD das Projekt verlassen. Der Ökumene-Experte Burkhard Neumann sieht darin durchaus ein Problem.

Eröffnung der Woche für das Leben 2019 / © Jens Schulze (epd)
Eröffnung der Woche für das Leben 2019 / © Jens Schulze ( epd )

DOMRADIO.DE: Kam die Ankündigung dieses Ausstiegs der EKD aus der "Woche für das Leben" überraschend oder haben Sie schon vor einiger Zeit Signale dafür wahrgenommen?

Dr. Burkhard Neumann, Fachreferent Ökumene des Erzbistums Paderborn
 / © privat
Dr. Burkhard Neumann, Fachreferent Ökumene des Erzbistums Paderborn / © privat

Dr. Burkhard Neumann (Privatdozent am Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik in Paderborn): Ich habe keinerlei Signale wahrgenommen. Ich war völlig überrascht, als ich diese Meldung gelesen habe.

Ich hatte ehrlich gesagt auch nicht damit gerechnet, dass der Rat der EKD einfach so aus der "Woche für das Leben" aussteigen würde, ohne die Deutsche Bischofskonferenz zu konultieren, ohne Rücksprache zu halten, ohne sich zu verständigen.

DOMRADIO.DE: Welches Signal für die Ökumene in Deutschland sehen Sie dadurch, angesichts der schwierigen Situation, in der sich die beiden großen Kirchen im Augenblick befinden?

Burkhard Neumann

"Dass das grundlegend gemeinsame Zeugnis für Lebensschutz, der beiden großen Kirchen, jetzt nicht mehr so wahrgenommen wird, finde ich nicht gut."

Neumann: Das eine ist das Formelle. Ich denke, so etwas hätte eigentlich in Absprache und Rücksprache geschehen können. Man hätte ja auch diskutieren können, ob und inwieweit man neue Formen findet, die "Woche für das Leben" in der Gesellschaft bekannter zu machen und die Wahrnehmung zu stärken. Das ist der eine Aspekt.

Der andere Punkt, den ich sehr bedauere, ist, dass jetzt vor allem die Differenzen zwischen den verschiedenen Kirchen betont werden. Die Diskussion um Lebensschutz in seiner ganzen Breite wird derzeit in der Gesellschaft und der Politik geführt. Die Debatte um Abtreibung. Die Debatte um den assistierten Suizid.

Dass das grundlegend gemeinsame Zeugnis für Lebensschutz der beiden großen Kirchen jetzt nicht mehr so wahrgenommen wird, finde ich nicht gut.

DOMRADIO.DE: Der Präsident des päpstlichen Einheitsrats, Kardinal Kurt Koch, bemüht immer wieder ein Leitwort der Ökumene-Bewegung der 80er Jahre: "Glauben trennt, Handeln eint." Das habe sich heute ins Gegenteil verkehrt, da zwar auf der einen Seite viele theologische Fragen geklärt seien, es aber auf der anderen Seite in ethischen Fragen immer wieder zu Differenzen kommt. Konnte man das auch in dieser "Woche für das Leben" wahrnehmen?

Burkhard Neumann

"Ich habe den Eindruck, dass man versucht hat, mit einer Verkürzung der Frage des Lebensschutzes, nur auf die Fragen von Abtreibung oder Suizid einzugehen."

Neumann: Ich habe, um ehrlich zu sein, keinen Überblick darüber, wie in den fast 30 Jahren die Fragen des Lebensschutzes oder des Umgangs mit dem Leben behandelt worden sind. Ich habe den Eindruck, dass man versucht hat, mit einer Verkürzung der Frage des Lebensschutzes nur auf die Fragen von Abtreibung oder Suizid einzugehen; und darüber versucht hat, die Vielfalt des Lebensschutzes, und das, was es bedeutet, für das menschliche Leben einzutreten, in das ökumenische Bewusstsein innerhalb der christlichen Kirchen und der Gesellschaft zu rufen.

Dass es natürlich Differenzen gab und gibt, weiß man. Hier muss man aber auch ehrlicherweise sagen, dass das Differenzen sind, die nicht nur zwischen den Kirchen bestehen, sondern auch innerhalb der christlichen Kirchen und die so teilweise auch zu Kirchenspaltungen geführt haben. Auch zwischen Kirchen, die weltweit organisiert oder strukturiert sind.

DOMRADIO.DE: Könnte sich die katholische Kirche hinsichtlich des Lebensschutzes jetzt mehr profilieren, da sie nicht mehr auf einen Partner angewiesen ist, auf den sie Rücksicht nehmen muss?

Neumann: Ich persönlich hätte es für sinnvoll gehalten und halte ich es für sinnvoll, in dieser Frage so weit wie möglich gemeinsam zu sprechen. Ich glaube, dass eine Profilierung auf Kosten anderer christlicher Kirchen erfolgen würde.

Die christlichen Kirchen versuchen ja auch gemeinsam ein christlichen Menschenbild in die Gesellschaft zu tragen. Ich glaube, da wäre eine solche Profilierung eher kontraproduktiv. Ich hätte mir da ein gemeinsames Zeugnis gewünscht, etwas Verbindendes.

Es gibt ökumenische Texte, die in den letzten Jahren erarbeitet worden sind und sehr deutlich machen, dass unser Fundament ein gemeinsames christliches Menschenbild ist. Das müssen wir betonen, bei allen Unterschieden in den Einzelfragen und in den einzelnen Bewertungen. Dieses gemeinsame Zeugnis halte ich persönlich für wichtiger.

DOMRADIO.DE: Die EKD hat die geringe öffentliche Wirkung der Aktion betont. Sollte man diese Woche jetzt ganz aufgeben oder sollte die katholische Kirche alleine diese Woche weiter fördern und sich gegebenenfalls auch nach einem neuen Partner umschauen? Welche Zukunft sehen Sie für diese "Woche für das Leben", wenn sie möglicherweise nicht mehr ökumenisch sein wird?

Burkhard Neumann

"Die Zusammenarbeit mit einem breiteren ökumenischen Umfeld ist aber sehr schwierig; nicht wegen inhaltlicher Unterschiede."

Neumann: Das ist sehr schwer einzuschätzen für jemanden, der nicht direkt in die Diskussionsprozesse eingebunden ist. Ich glaube, dass die öffentliche Wirkung der "Woche für das Leben" geringer wird, wenn sie von der katholischen Kirche alleine weitergeführt wird. Die Zusammenarbeit mit einem breiteren ökumenischen Umfeld fände ich sehr schön, ist aber sehr schwierig; nicht wegen inhaltlicher Unterschiede, sondern aufgrund der unterschiedlichen Organisationsstrukturen der verschiedenen christlichen Kirchen hier in Deutschland.

Ich würde von einer "Woche für das Leben" träumen, die von der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen gestaltet wird. Das lässt sich aber organisatorisch sehr schwer machen. Es gab 1989 ja das Dokument "Gott ist ein Freund des Lebens", bei dem die Mitgliedskirchen der ACK dem Text zugestimmt haben. Selbst das war ein sehr schwieriger Diskussionsprozess. Insofern kann ich von so etwas träumen, weiß aber wie schwer das umzusetzen ist.

Ich persönlich glaube, dass es sinnvoll wäre, dass die katholische Kirche weiterhin deutlich macht, wie sie für das Leben und den Lebensschutz eintritt und wie sie den umfassenden Lebensschutz versteht. Ich glaube aber auch, dass die Außenwirkung dadurch beeinträchtigt ist, dass man das eben nicht mehr gemeinsam mit der Evangelischen Kirche in Deutschland macht.

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.

"Woche für das Leben" zur Generation Z (2023)

Die jährliche "Woche für das Leben" ist eine bundesweite Aktion der katholischen und der evangelischen Kirche in Deutschland. Damit treten sie gemeinsam für den Schutz menschlichen Lebens in all seinen Phasen ein.

Aktion "Woche für das Leben" der Kirchen  / ©  Julian Stratenschulte (dpa)
Aktion "Woche für das Leben" der Kirchen / © Julian Stratenschulte ( dpa )
Quelle:
DR