DOMRADIO.DE: Nach zwölf Jahren der Vorbereitung endet für Sie mit der Priesterweihe nun ein langer Weg. Mit welcher inneren Haltung gehen Sie dem großen Moment entgegen, mit dem Sie sich ganz in den Dienst der Kirche stellen?
Carlo Cincavalli (Weihekandidat): Ich fühle mich ein bisschen wie vor dem Sprung ins berühmte kalte Wasser, weil ich nicht weiß, welchen Herausforderungen ich zukünftig begegne und ob ich sie meistern werde. Von daher spielt da auch ein großes Stück Demut mit hinein. Gleichzeitig bin ich total entschieden, dass das genau der Weg ist, den ich gehen will; dass ich ganz für Christus leben und den Menschen das Evangelium, die Frohe Botschaft, verkünden will. Im Moment erfüllt mich eine Mischung aus positiver Anspannung, tiefer Dankbarkeit und großer Vorfreude. Es ist wie bei einer langen Wanderung: Man spürt die Müdigkeit, aber der Gipfel vor Augen lässt einen alle Anstrengung vergessen. Gleichzeitig weiß ich: Das Ziel ist nicht das Ende, sondern erst der Anfang.
DOMRADIO.DE: Gebürtig stammen Sie aus Apulien in Süditalien. Über die Gemeinschaft des Katechumenalen Weges haben Sie Ihre Ausbildungsjahre im Erzbischöflichen Priesterseminar Redemptoris Mater in Bonn absolviert. Welche Erlebnisse in der dortigen Gemeinschaft – so fernab der Heimat – waren besonders prägend? Immerhin stand schnell fest, dass Sie der Einzige sein würden, der 2025 im Erzbistum Köln zum Priester geweiht wird…
Cincavalli (lacht): Zunächst war das ein Kulturschock: Meine Heimatstadt Bari steht für Sonne, Meer und Pasta. In Bonn gab es dagegen erstmal Regen, Kälte und ein gewöhnungsbedürftiges Bier. Ich fühlte mich – wie wir Italiener sagen – "come un pesce fuori d’acqua", wie ein Fisch ohne Wasser, also außerhalb seines natürlichen Lebensraums. Aber im Ernst: Meine Gemeinschaft des Neokatechumenalen Wegs in Düsseldorf wurde zu einer neuen Familie für mich. Und im Priesterseminar – auch das hat mir sehr geholfen, mich in einem fremden Land zurechtzufinden – traf ich auf Mitbrüder sehr unterschiedlicher Kulturen, denen es nicht anders erging als mir, weil sie aus Südamerika, Afrika, aber natürlich auch anderen europäischen Ländern wie Polen oder Spanien kamen. Am Anfang waren diese vielen neuen Eindrücke nicht einfach, aber letztlich sitzen wir doch alle im selben Boot. Das heißt, wir haben zusammen gelacht, geweint, manchmal auch gestritten und uns dann – ganz wichtig – wieder miteinander versöhnt.
Ich bin ohne Vater aufgewachsen; er ist gestorben, als ich ein Jahr alt war. Von daher war ich früh auf mich gestellt und gewöhnt, meine eigenen Entscheidungen zu treffen. Im Seminar gab es dann feste Regeln, Autoritäten und einen Regens. Das war eine große Umstellung, weil ich dort viel lernen musste – auch, mich selbst zurückzunehmen und etwas viel Größeres in den Mittelpunkt zu stellen, nämlich statt meines eigenen Egos und eigener Pläne die Suche nach Jesus Christus.
Was mich aber am meisten geprägt hat, war die Erkenntnis: Ich muss kein Superheld der Theologie, sondern nur ich selbst sein, um geliebt zu werden. Und auch umgekehrt: Ich habe gelernt, den anderen so anzunehmen, wie er ist: mit allen seinen Stärken, aber auch Schwächen und Macken. Im Seminar sind wir alle Geschwister im Geiste. Dass ich der einzige Kandidat in meinem Weihejahrgang bin, war sicher für alle neu, nicht zuletzt für mich selbst. Und klar, manchmal hat es mir an einer Austauschmöglichkeit gefehlt, aber die Gemeinschaft im Seminar hat das wunderbar kompensiert. Am Ende habe ich das mit Humor genommen, und inzwischen mache ich sogar Witze darüber: Carlo, Du hast keine Konkurrenz, der ganze Applaus gilt alleine Dir!
DOMRADIO.DE: Missionseinsätze haben Sie nach Tansania, aber auch in den Osten Deutschlands, nach Chemnitz, geführt. Was bedeutet eine solche Erfahrung, einmal über den eigenen Tellerrand hinaus zu blicken?
Cincavalli: Tansania war wie ein kostenloses Fitnessstudio für die Seele. Man wacht auf, und eigentlich fehlt es an allem: Es gibt keinen Strom und kein fließendes Wasser. Es war ein einfaches Leben ohne jeden Luxus. Trotzdem strahlen die Menschen dort, denn sie haben die Sonne im Herzen. In Afrika habe ich erlebt, dass die Freude der Menschen nicht von einem Bankkonto abhängt, sie allein von ihrem Gottvertrauen leben. Während wir uns hier in der westlichen Welt bis zur Besinnungslosigkeit in unserem Hamsterrad drehen, gibt es Menschen in einem anderen Teil der Welt, die wirklich gar nichts von dem haben, was für uns selbstverständlich ist. Und trotzdem zeichnet sie eine unglaubliche Lebensfreude und Zufriedenheit aus. Das ist schon faszinierend. Auch ohne ein Handy oder konkrete Zukunftspläne können die Menschen glücklich sein, obwohl ich dort beispielloses Elend, eine immense Armut, erlebt habe.
Und Chemnitz mit seinen Plattenbauten im DDR-Charme und einer großen Skepsis gegenüber allem, was mit Kirche zu tun hat, war dann das absolute Kontrastprogramm dazu. Trotzdem habe ich auch dort eine riesige Gastfreundschaft kennengelernt. Denn seit ein paar Jahren gibt es mitten in einer weitgehend atheistisch geprägten Gesellschaft über den Neokatechumenat eine Mission, und ich habe die Erfahrung gemacht: Überall wartet Gott – gerade da, wo du es am wenigsten vermutest. Die Menschen fragen dich wirklich ahnungslos nach dem nackten Mann am Kreuz, weil sie von Jesus Christus noch nie etwas gehört haben, oft nicht einmal ansatzweise Kenntnisse vom christlichen Glauben haben. Im Osten Deutschlands habe ich gelernt, den Menschen, die nach der Wende noch einmal ganz von vorne anfangen mussten, vor allem zuzuhören und ihnen nahe zu sein.
DOMRADIO:DE: Seit September 2023 sind Sie als Praktikant und Diakon in St. Andreas, Leverkusen, im Einsatz, wo Sie zuletzt das Projekt "Pilger der Hoffnung" mitgestaltet haben. Was genau haben Sie da gemacht?
Cincavalli: Vor allem ging es darum, Pilgern als geistliche Bewegung zu entdecken: Dazu gehören Aufbruch, Vertrauen, Unterwegssein – mit Gott und miteinander. Die thematische Spannbreite reichte von Abraham als Urbild des Glaubens über Mose in der Wüste, Maria als Berufene bis hin zu Carlo Acutis, dem "Cyber-Heiligen", dessen Geschichte gerade junge Teilnehmer sehr bewegt hat. Besonders eindrücklich war unsere Pilgerfahrt nach Banneux – ein Tag voller Stille, Gebet, Tränen und Trost. Die Einheiten bestanden vor allem aus Begegnungsräumen: mit der Bibel, mit den Lebensgeschichten anderer Teilnehmer, mit Gott. Rückblickend war dieses Projekt ein gelebter Ausdruck dessen, dass Gott in unserem Leben immer mitgeht – in Krisen, aber auch bei allem, was in unserem Leben gelingt – und beim Suchen, wenn wir noch nicht so recht wissen, wohin es gehen soll. Darin sehe ich auch unseren Auftrag als Kirche heute: nicht zu belehren, sondern mitzugehen, Hoffnung zu pflanzen, wo Mut fehlt, zuzuhören, wo Worte fehlen. Und den Raum zu öffnen, in dem Gott wirken kann.
DOMRADIO.DE: Wie gehen Sie damit um, dass in der Kirche gerade viel im Umbruch ist, ihr viele Menschen den Rücken kehren, Sie selbst auch immer wieder Kritik aushalten müssen und der Austausch über Gott und den eigenen Glauben zunehmend weniger ein Selbstläufer ist?
Cincavalli: Irgendwann habe ich mir gesagt: Ich bin nicht der Pressesprecher der Kirche, sondern nur ein Pizzabote: Ich bringe das Evangelium. Und fertig! Kritik? Klar, die Kirche ist wie eine große italienische Familie. Es gibt immer jemanden, dem etwas nicht passt und der etwas anders haben will. Und natürlich gibt es auch schwarze Schafe. Und trotzdem liebst du deine Schwestern und Brüder. Nicht umsonst heißt es, die Familie sucht man sich nicht aus, Freunde schon. Das heißt, ich kann nicht alles rechtfertigen, was in der Kirche passiert ist oder schief läuft. Aber am Ende bleibt sie doch immer meine Familie, und ich würde mir auch nie eine andere suchen. Daher habe ich mir angewöhnt, was im Argen liegt und zu Recht kritikwürdig ist, nicht persönlich zu nehmen. Ich bleibe da, höre zu, weine vielleicht mit und lade dazu ein – um im Bild zu bleiben – gemeinsam eine Pizza zu essen.
DOMRADIO.DE: Gibt es so etwas wie eine Initialzündung für Ihre Berufung, ein sogenanntes Schlüsselerlebnis?
Cincavalli: Ich bin sicher: Ohne die Madonna von Lourdes wäre ich heute nicht hier. Ihr und ihrem Sohn habe ich mich anvertraut. In Lourdes habe ich mich entschieden, Priester zu werden. Es gab in meinem Leben Momente der Dunkelheit, des Zweifels, der Müdigkeit. Und immer wieder kam dann die Gottesmutter – ganz leise und mütterlich – auch wenn sie mich nie mit großen Zeichen überrascht hat, sondern mit ihrer Treue. In Lourdes habe ich erfahren: Gott ist zärtlich. Und Maria führt immer zu ihrem Sohn. Nach meiner Priesterweihe werde ich daher auch als erstes nach Lourdes fahren, um für diese zwölf Jahre ihrer Begleitung zu danken.
Was ich außerdem in meinem Herzen trage, ist ein Weihnachtsfest in Bethlehem. Immer wenn mir Zweifel kommen, denke ich an diese wunderschönen Tage im Heiligen Land zurück. Was wir sonst zu Weihnachten nur als Evangelium hören, konnte ich dort eins zu eins nachempfinden. An diesem Ort habe ich mit allen Sinnen die Botschaft von Weihnachten und diese grenzenlose und in jeder Hinsicht kostenlose Liebe Gottes erlebt. Davon zehre ich noch heute.
DOMRADIO.DE: Apropos: Welche Botschaft möchten Sie den Menschen vermitteln?
Cincavalli: Es gibt nur eine Botschaft, und die heißt Jesus Christus. Dabei geht es nicht um schöne Worte, Programme oder moralische Appelle – sondern ausschließlich um ihn; um seinen Trost, seine Nähe, seine Freude. Ich selbst habe erfahren, dass der Glaube im Leben nicht on top kommt, sondern das Herzstück ist. Davon möchte ich etwas abgeben.
DOMRADIO.DE: Wie muss der Priester von morgen sein, damit er das erlebt, was in der Bibel als ein "Leben in Fülle" beschrieben wird?
Cincavalli: Er muss zuallererst Mensch sein; er sollte ein Herz und offene Ohren haben. Und – nicht zu vergessen – Humor! Er sollte keine Angst haben zu lachen, zu weinen oder auch mal zuzugeben: Ich weiß es auch nicht. Er sollte jemand sein, der mehr zuhört als redet. Und vor allem sollte er sich selbst nicht so wichtig nehmen, sondern Christus groß machen. Vielleicht wie ein Kellner, der eine dienende Funktion hat: Er bringt das Essen – aber gekocht hat das Menü ein anderer. Und noch etwas ist ganz wichtig: Er sollte Espresso trinken. Das hilft! Jedenfalls mir. Gott und ein guter Espresso retten jeden Tag!
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.