DOMRADIO.DE: Wie können wir dieses unglaubliche Ereignis, dass Gott Mensch wird, überhaupt begreifen? Dass er, wie Sie schreiben, "endlich, verletzlich, mit Leib und Seele, eingebunden in die Zeit" wird?
Dr. Dominikus Schwaderlapp (Weihbischof im Erzbistum Köln): Es ist auch nicht zu begreifen. Rein vom Verstand her ist das eine Verbindung von Gegensätzen, die gegensätzlicher nicht zu denken sind. Und das waren auch die Auseinandersetzungen in den ersten Jahrhunderten. Kann Gott Mensch werden? Das war für viele unerträglich. Für die griechischen Philosophen war es undenkbar. Wir haben in diesem Jahr das 1700-jährige Jubiläum des Konzils von Nicäa gefeiert. In dem Konzil wurde festgehalten, dass Gott wahrer Mensch ist, Jesus Christus wahrer Mensch und wahrer Gott ist. Das, was undenkbar ist, ist geschehen.
DOMRADIO.DE: Also, eine wahre Skandalbotschaft?
Schwaderlapp: Man kann es noch weiter auf die Spitze treiben: ein Gott, der in die Windeln macht – wie passt das denn?
DOMRADIO.DE: Die Geburt Jesu ist ein Ereignis, das bis in unsere Zeit wirkt. Gott weiß auch heute Wunder zu wirken, schreiben Sie in Ihrem Buch. Inwiefern?
Schwaderlapp: Ich meine damit alltägliche Wunder in den Herzen der Menschen. Ich habe in der vergangenen Woche ein solches Wunder miterleben dürfen. Eine Person, die aus der Kirche ausgetreten war, hat die Wahl unseres Papstes im Fernsehen gesehen und war sehr berührt von seinen Worten, "der Friede sei mit euch allen". Dieser Friedensgruß hat sie ins Herz getroffen und war für sie der Start einer Umkehr. Sie ist dann in die Heilige Messe gegangen, hat dort einen Priester kennengelernt. Der Priester hat sich mit ihr getroffen und ich durfte sie letzte Woche wieder in die Kirche aufnehmen. Das war ein Wunder, das Gott gewirkt hat.
DOMRADIO.DE: Im zweiten Teil Ihres Buches werden Sie gewissermaßen selbst zum Schriftsteller. Sie schlüpfen in die Rolle der Protagonisten der Weihnachtsgeschichte, von denen jedoch nichts in der Bibel steht. Sie lassen Jakob, den Hirten lebendig werden, oder auch einen römischen Soldaten und andere erfundene Personen. Darf man das?
Schwaderlapp: Diese Betrachtungen sind in den letzten Jahren im Rahmen meiner Weihnachtspredigten in der Heiligen Nacht gewachsen. Da gab es in der Tat die Reaktionen, woher ich das denn wüsste, wo das in der Bibel stünde, wer mir das gesagt hätte. Das sind natürlich fiktive Geschichten. Das Evangelium erzählt die Weihnachtsgeschichte nur sehr kurz und knapp. Sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war. So schreibt es Lukas. In diesem einen Satz ist ein ganzes Drama enthalten.
Diese verschiedenen erfundenen Personen, die dabei waren, die erwähnt werden – oder auch nicht erwähnt werden, wie der römische Soldat – sollen einfach eine Hilfe sein, selbst nicht nur Zuschauer, sondern Beteiligter des Ganzen zu werden. Diese Herangehensweise muss nicht jedermanns Sache sein. Ich wurde auch schon gefragt, ob man nun auch einen römischen Soldaten an die Krippe stellen müsse. Es ist ein Hilfsangebot, nichts weiter. Es gibt die sehr beeindruckende Serie "The Chosen", in der das Leben Jesu aus der Sicht der Apostel geschildert wird. Auch sie geht natürlich weit über die Evangelien hinaus. Es ist einfach eine Hilfe, um Christus und das, was geschehen ist, für uns lebendig zu machen, damit ein bisschen Fleisch daran kommt.
DOMRADIO.DE: Ihr Buch heißt "Auf nach Bethlehem". Wie machen Sie sich persönlich auf nach Bethlehem?
Schwaderlapp: Ich habe eine Tradition, der ich jedes Jahr folge. Es beginnt morgens hier im Kölner Dom mit der Heiligen Messe und der Beichte, die ich höre. Dann fahre ich zur JVA nach Wuppertal und feiere dort mit den Gefangenen die Heilige Messe. In der JVA wird die Christmette bereits morgens um 11 Uhr gefeiert, weil die Inhaftierten schon ab dem frühen Nachmittag in ihren Zellen und Hafträumen eingeschlossen werden. Und dann gehe ich noch mit dem Vertreter des Gefängnisvereins zu den Inhaftierten in die Zellen und bringe eine kleine Weihnachtsgabe. Danach geht es in meinen Heimatort Ransbach-Baumbach, wo ich abends die Christmette um 18 Uhr feiere. Und anschließend bin ich bei meiner Familie, bevor es dann zur Mitternachtsmesse geht.
DOMRADIO.DE: Wie ist die Resonanz bei den Inhaftierten. Kommen viele zur Messe?
Schwaderlapp: Es kommen ziemlich viele. Vor unserem katholischen Gottesdienst um 11:00 Uhr, wird der evangelische Gottesdienst gefeiert. Für die Inhaftierten ist das eine Abwechslung an diesem Tag, der im Gefängnis trister ist als andere Tage. Die Gefangenen vermissen ihre Familien, das bedrückt sie. Wenn sie die heile Welt einer Familie nie erlebt haben, dann ist da auch eine Sehnsucht, die an diesem Tag besonders stark ist. Ich möchte die Begegnungen und die Messe in der JVA nicht missen, das gehört für mich ganz fest zu diesem Tag.
DOMRADIO.DE: Welche Botschaft bringen Sie den Gefangenen mit?
Schwaderlapp: Jeder kann mit einem Schlüssel ihre Hafträume betreten, nur die Inhaftierten selbst haben keinen Schlüssel. Sonst kann jeder dort hinein. Aber es gibt eine Tür, durch die niemand gehen kann – nur wenn man es erlaubt. Das ist das eigene Herz. Nur, wenn man sein Herz öffnet, kann jemand dort hinein. Christus hat keine Probleme, alle Mauern und verschlossenen Hafträume zu überwinden. Aber er respektiert unser Herz und wenn wir es ihm öffnen, kann er Einzug halten, auch in einer Zelle. Wenn wir ihm unser Herz aber verschließen, bleibt er außen vor; in der Zelle, aber auch in der Welt draußen.
Das Interview führte Johannes Schröer.