Pfarrer Kossen fordert Impfungen für Arbeitsmigranten

Weg mit der Wegwerf-Menschen-Mentalität

Während Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in Aussicht stellt, die Impfpriorisierung im Juni aufzuheben, fordert der katholische Pfarrer Peter Kossen, schnell die Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten der Fleischindustrie zu impfen.

Autor/in:
Hilde Regeniter
Pfarrer Peter Kossen / © Lars Berg (KNA)
Pfarrer Peter Kossen / © Lars Berg ( KNA )

Die Frauen und Männer, die meist aus Südosteuropa kommen, sind in Folge besonders schwerer Arbeit und weiter prekärer Wohnverhältnisse stark gefährdet, an Covid-19 zu erkranken. Die hohen Inzidenzzahlen rund um Großschlachthöfe in den niedersächsischen Landkreisen Cloppenburg, Oldenburg und Vechta sprächen für sich, sagt Kossen. Mittlerweile lägen viele der betroffenen Fleischarbeiterinnen und Fleischarbeiter auf den Intensivstationen, auch zahlreiche Todesfälle habe es schon gegeben.

Als Wegwerfmenschen werden sie verschlissen

"Wir müssen diese Menschen als Angehörige einer klaren Risikogruppe informieren und ihnen eine Impfung anbieten!" meint Kossen und sieht die Unternehmen in der Pflicht. Impfungen über die Betriebsärzte, so denkt er, wären am unkompliziertesten. Dabei müssten Dolmetscher parat stehen, um die Arbeiter und Arbeiterinnen in ihren Sprachen - vor allem Bulgarisch und Rumänisch ­– zu begleiten und sie über alles aufzuklären. "Die Totalerschöpfung dieser Menschen ist die Normalität. Als Wegwerfmenschen werden sie verschlissen und in großer Zahl infiziert!"

Und das, obwohl seit Beginn des Jahres das so genannte Arbeitsschutzkontrollgesetz in Kraft ist. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hatte es gegen heftige Widerstände durchgedrückt - als Folge mehrerer schwerer Corona-Ausbrüche in der Fleischindustrie im vergangenen Sommer. Die Empörung über die unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten schlug damals hohe Wellen, der Minister versprach Besserung per Gesetz.

Grundsätzlich sei das natürlich eine positive Entwicklung, findet Kossen, der schon seit Jahren gegen diese moderne Form von Sklaverei in der Fleischindustrie kämpft. Allerdings habe sich in der Praxis bisher kaum etwas geändert. Seit dem 1. April sind Werkverträge in Schlachtung und Zerlegung verboten und auch Leiharbeit soll grundsätzlich nicht mehr möglich sein.

Viele haben inzwischen einen Vertrag

Tatsächlich haben in den großen Konzernen viele jetzt einen Vertrag bekommen. "Aber oft wurden auch die Vorarbeiter mit übernommen - und damit deren gewohnter Stil des Unter-Drucksetzens, des Erpressens, des Anschreiens, des Demütigens", beklagt Kossen. Die Haltung gegenüber den Arbeitenden habe sich grundsätzlich nicht geändert. "Man versucht weiter, möglichst viel aus ihnen herauszupressen."

Positiv bewertet Kossen vor allem, dass die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) jetzt auch für die osteuropäischen Angestellten der Fleischindustrie zuständig ist. "Ich bin froh, dass die NGG die skandalösen Praktiken öffentlich machen!" Verhandlungen über einen Tarifvertrag für die Beschäftigen blieben bisher allerdings ohne Ergebnis. "Die Arbeitgeber haben schäbige 10,50 Euro angeboten - für die Schwerstarbeit, die dort gemacht wird. Darauf konnte die Gewerkschaft sich nicht einlassen", bilanziert Kossen. Warnstreiks an vielen Orten waren in der zu Ende gehenden Woche die Folge.  

Auch die gesetzliche Verordnung, Arbeitszeiten elektronisch zu erfassen, wertet Kossen grundsätzlich als Schritt in die richtige Richtung. Allerdings zeige die Praxis, dass ein und dieselbe Person mit zwei unterschiedlichen Chips einchecken und so viel mehr Stunden als eigentlich erlaubt arbeiten könne. "Da werden wir sehr genau hinschauen müssen, inwieweit diese Zeiterfassung manipulationssicher gestaltet ist."

Schaffung neuer und bezahlbarer Wohnungen

Außerdem bedauert der katholische Menschenrechtsaktivist, dass die gesetzliche Besserstellung längst nicht für alle Mitarbeitenden in der Fleischindustrie gelten, sondern lediglich für die in den Bereichen Schlachtung und Zerteilung Tätigen. "Aber was ist mit dem Mann, der als Reinigungskraft auf dem Schlachthof an sieben Tagen die Woche elf Stunden Schweineblutlachen aufwischt?" Kossen kennt genügend solcher Fälle – die Betroffenen sitzen regelmäßig in der Praxis seines Bruder, der als niedergelassener Arzt in Niedersachen immer wieder die eine Diagnose stellen muss: Totalerschöpfung.  

Mit Blick auf die prekären Wohnverhältnisse hätte sich längst vieles verändert haben sollen. Schon vor den gesetzlich geforderten Mindeststandards für Gemeinschaftsunterkünfte hatte es einen Erlass des Bundesarbeitsministers gegeben, der nur Paare und Familien in einem Raum zulässt. "Ich kann überhaupt nicht erkennen, wo das kontrolliert wird, wo das sicher gestellt wird", sagt Kossen. Er fordert nicht nur systematische Kontrollen, sondern auch die Schaffung neuer, menschenwürdiger und bezahlbarer Wohnungen: "Ich vergleiche das manchmal mit dem, was im 19. Jahrhundert im Ruhrgebiet geschaffen worden ist, um die Zechen und Hütten herum. Etwas Ähnliches brauchen wir!"

Nach wie vor beobachtet Kossen also, wie die deutsche Gesellschaft die Fleischarbeiterinnen und -arbeiter letztlich als Menschen zweiter Klasse ansieht und behandelt. "Wir nehmen in Kauf, dass sie schwere körperliche und psychische Schäden nehmen."  Die Frauen und Männer aus Bulgarien und Rumänien würden noch immer verschlissen und nach Hause geschickt, wenn sie nicht mehr könnten. Diese Mentalität, Menschen wie Wegwerf-Menschen zu behandeln, müsse endlich ein Ende haben. Dafür kämpft Peter Kossen weiter.


Arbeiter in der Fleischindustrie (shutterstock)
Quelle:
DR