Geht es nach Pastor Luke Barnett, dann werden schon bald "10.000 Charlie Kirks auf den Campus-Geländen in ganz Amerika aufstehen und die Wahrheit Jesu Christi verkünden". Der Influencer habe "einen Drachen entfesselt". In der Tat stellt sich gut eine Woche nach dem Mord an Charlie Kirk die Frage, was aus dessen Erbe wird.
Wie aufgeladen und aufgeheizt die Debatte um Kirk ist, zeigt sich auch in Deutschland wo ZDF-Journalisten wegen ihrer kritischen Berichterstattung über die Person Kirk bedroht und beschimpft werden.
Präsident Donald Trump hält ihn dagegen für einen Märtyrer der Meinungsfreiheit. Dass anschließend Journalisten mit Visa-Entzug bedroht werden, weil sie genau das tun, nämlich ihre Einschätzung und Meinung über Kirk abzugeben, scheint Trump nicht anzufechten.
Der konservative, rechte Flügel des Christentums in den USA, der inzwischen von einem immer größer werdenden Anteil evangelikaler Kirchen dominiert wird, hofft auf eine weitere Stärkung. Kirk hatte mit seinen bisweilen provokanten Aussagen dieses Milieu beliefert, das sich in einer in Fragen der Wirtschafts- und Migrationspolitik nach links gerückten katholischen Kirche nicht mehr heimisch fühlt.
Junge konservative Menschen galten in linken Studentenkreisen als Feindbild und Spottobjekt. Bis Charlie Kirk kam und die heimatlose Gruppe abholte. Konservative Stimmen werfen linken Medien und NGO's vor eine Art Sprachgefängnis errichtet und damit eine Hoheit darüber besessen zu haben, was gesagt und was gedacht werden dürfe. Kirk habe sie von diesen Zwängen befreit.
Trauer weicht Kritik und Denunziantentum
Das passiere, wenn man jemanden zum Märtyrer mache - man ermutige alle, die dieselben Überzeugungen haben, sagt die christlich-konservative Autorin und Podcasterin Allie Beth Stuckey in ihrem Podcast. Sie gehört jenem Lager an, das fest davon überzeugt ist, dass aus der Trauer im konservativen Amerika eine Art Kirk-Bewegung entsteht "Charlie und die Wahrheit, für die er stand, werden sich weiter und weiter verbreiten als je zuvor", sagte Beth Stuckey laut "New York Times".
Nachdem in den ersten Tagen vor allem die Trauer im Vordergrund stand, wächst aber auch die Kritik an den Äußerungen Kirks. Einige Experten bezeichnen sie als rassistisch, frauenfeindlich, homophob, andere, darunter auch einflussreiche afroamerikanische Influencer mit großer Reichweite sprechen ihn vom Rassismus-Vorwurf frei.
Tatsächlich hat sich aber schon jetzt eine Art Gedankenpolizei auf den Weg gemacht und durchforstet die sozialen Netzwerke nach kritischen Äußerungen zu Kirk. Anschließend werden die Urheber geoutet und Druck auf die Arbeitgeber ausgeübt. Mit freier Debattenkultur und Meinungsfreiheit, die die Republikaner einfordern, hat das wenig zu tun.
"Sie haben keine Ahnung, was Sie ausgelöst haben"
Eine Schlüsselrolle kommt nun Kirks Witwe Erika zu. Deren erster öffentlicher Auftritt klang wie eine Kampfansage. "Ich werde 'Turning Point' zur größten Sache machen, die dieses Land je gesehen hat", sagte Erika Kirk während ihrer Ansprache unter Tränen. Direkt an den mutmaßlichen Täter gerichtet, den sie namentlich nicht erwähnte, sagte sie: "Sie haben keine Ahnung, was Sie gerade in diesem ganzen Land und dieser Welt ausgelöst haben."
"Turning Point USA" ist die von Kirk gegründete konservative christliche Jugendbewegung, die US-Präsident Donald Trump während seiner Präsidentschaftswahlkämpfe unterstützte. Die Organisation fand in den letzten Jahren an Universitäten und High Schools immer mehr Zulauf. Charlie Kirk reiste zu den Universitäten, um dort mit der studentischen Linken seine bisweilen hoch umstrittenen Standpunkte zu diskutieren. Er galt als einer der wichtigsten Stimmensammler für Trump.
Auf die Kirche kommen Herausforderungen zu
Nur wenige Tage nach dem weltweit beachteten Mordanschlag verzeichneten die sozialen Netzwerke starken Zulauf. Allein bei Instagram und Tiktok kamen weitere vier Millionen Menschen dazu. Sie alle werden in den nächsten Monaten und Jahren Content erwarten.
Vor allem auf die katholische Kirche kommen dann Herausforderungen zu, der Begeisterung der jungen konservativen Bevölkerung etwas entgegenzusetzen und eigene Angebote zu machen. Vielleicht ist der amerikanische Papst Leo XIV. mit seiner zurückhaltenden Art dann auch genau der richtige Gegenentwurf zum schrillen und lauten Kirk-Kosmos.
Schon jetzt lebt Kirk digital weiter, werden seine Aussagen von Befürwortern und Kritikern gepostet und insgesamt hunderte Millionen Mal abgerufen. Entscheidend wird dann sein, für welchen Kurs sich Erika Kirk entscheidet.
Für den eher versöhnlichen wie von Utahs republikanischem Gouverneur Spencer Fox oder für den rachsüchtigen von Präsident Trump, der derzeit alles andere tut, als Brücken zwischen den polarisierten Lagern zu bauen. Wie umstritten Kirks Aussagen bisweilen auch waren, er hatte auf den Dialog mit seinen Kritikern gesetzt. Der von ihm unterstützte starke Mann im Weißen Haus tut das nicht.